In der zweiten Liga

73. Filmfest Venedig bleibt den einst dort entdeckten Regisseuren treu. Über eine ziemlich mediokre Politik
Ausgabe 36/2016

Die Baugrube ist nicht mehr da. Nicht dass ich sie kannte, denn ich bin das erste Mal hier. Aber alle haben über die asbestverseuchte Grube geschrieben, die seit Jahren auf dem Festivalgelände geklafft hat. Das ließ sich prima symbolisch verstehen für das älteste der großen Festivals, das in jeder Hinsicht schon bessere Zeiten gesehen hat. Nun steht da in Biennale-Knallrot ein Gebäude, und es sieht behelfsmäßig aus. Die Bohlen am Boden sind nicht ganz stabil. Der Name: Sala Giardino, Schauplatz einer Reihe, die entsprechend Cinema nel Giardino heißt und, so mein Eindruck, die Filme aufnimmt, die für die offiziellen Sektionen zu schlecht sind, die zu präsentieren es aber einen Grund außerhalb der Kunst gibt: also zum Beispiel James Francos Steinbeck-Verfilmung In Dubious Battle, die mich nicht interessiert.

Nicht dass die offiziellen Sektionen frei wären von Filmen, die für sie eigentlich zu schlecht sind. Vor allem der Wettbewerb ist ein begrenztes Vergnügen, seit auf den selbst schon kompromissbereit agierenden Cinephilen Marco Müller vor vier Jahren der in jeder Hinsicht mediokre Alberto Barbera (von 1998 bis 2002 schon mal Leiter) gefolgt ist. Mit dem Eröffnungsfilm hatte das Festival dieses Mal einerseits Glück. Das Musical La La Land ist kein Desaster, sondern der gelegentlich hinreißende, meistens etwas angestrengte Versuch, dem klassischen Hollywood-Musical neues Leben zu geben. Dass Ryan Gosling kein Gene Kelly ist: geschenkt. Nur leider ist Regisseur Damien Chazelle kein Vincente Minelli.

Das ist andererseits nämlich schon ein Venedig-Problem. Zur Festivalpolitik gehört die Entdeckung von Regisseuren, denen man treu bleibt. Der Cannes-Wettbewerb droht gelegentlich an seiner Nibelungentreue zu einstigen Größen zu ersticken, kann andererseits alle haben. Das hilft. Locarno setzt derzeit (im Wettbewerb) gezielt auf ästhetische Radikalität. Die richtungslosen Berliner Idiosynkrasien haben seit ein paar Jahren gerade in ihrer Richtungslosigkeit ihren Reiz. Venedig aber muss sich mit der zweiten Liga begnügen, schon gar in der Konkurrenz mit dem wettbewerbslosen und teils zeitgleichen Festival von Toronto, das die Aufmerksamkeit nicht nur der nordamerikanischen Öffentlichkeit vom Lido abzieht.

Zweite Liga: Das betrifft Damien Chazelle, auch wenn der bestimmt einige Oscars abräumen wird. Viel schlimmer noch ist Tom Ford. Der zweite Film des Modedesigners, Nocturnal Animals, ist überkonstruiert, selbstgefällig, an keiner Wirklichkeit interessiert, misogyn und verheizt Michael Shannon, Jake Gyllenhaal und sogar Amy Adams, die wiederum in Dennis Villeneuves wunderbar kommunikations- und sprachphilosophischem Alien-Wettbewerbsbeitrag Arrival großartig ist.

Daneben aber: Derek Cianfrance oder Emir Kusturica oder Wim Wenders. Oder, Problem für sich, die italienischen Filme. Den Mut, auf Regisseurinnen oder Regisseure abseits des Arthouse- und Independent-Mainstreams zu setzen, hat Alberto Barbera vergleichsweise selten. Immerhin bekommt Lav Diaz mit seinem vier Stunden kurzen The Woman Who Left nach Berlin nun den zweiten großen Wettbewerbsauftritt des Jahres.

In den Nebenreihen findet man oft die interessanteren Filme. Also zum Beispiel Katell Quillévérés unaufdringlich grandioses Quasimelodram Réparer les vivants; es ist in der Reihe „Orizzonti“ zu sehen. Ein Film der Zugewandtheit zu seinen Figuren. Mit feinem Auge für alle Details und dramaturgisch kühn erzählt Quillévéré von einem jungen Menschen, der stirbt, und einer Frau, die dank seines Herzens eine Chance zum Weiterleben erhält. Es ist Quillévérés dritter Spielfilm, sie ist noch jung, aber ihrer Mittel schon auf souveräne Art sicher. Ein Armutszeugnis, dass ein solcher Film nicht im Wettbewerb läuft, der an Belanglosigkeit reich ist und trotzdem im Aufmerksamkeitsregime der Kritik an erster Stelle rangiert.

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Geschrieben von

Ekkehard Knörer

Redakteur Merkur, Mitherausgeber Cargo. Autor bei Freitag, taz.

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