Nachrichtenwüste Portugal

Lissabon Das Kommunikations-Defizit der portugiesischen Politik und Medien in der COVID-Pandemie

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Der Leser tappt beständig im Dunkeln was die COVID-Lage in Portugal angeht. Regierungsstellen und Presse schicken den Bürger durch einen undurchsichtigen Zahlenwald.
Ein aktuelles Beispiel: 38 Todesfälle, 691 Neuinfizierte und, die frohe Botschaft darf nicht fehlen, 3230 Genesene an einem Tag. Dazu ein Wust absoluter Zahlen Infizierter nach Regionen, Geschlecht und Alterklassen. Insgesamt 65.793 aktive Fälle. Das sei die niedrigste Zahl seit zwei Monaten. Aber ist das nun Anlass zum Aufatmen? Wie war denn die Situation Ende Dezember? Schlimm oder schlimmer? Vor dem Lockdown, ab Mitte Januar, jedenfalls, war Portugal das Land mit der weltweit höchsten Infektions-, und Todesrate. Immerhin, eine Tendenz lässt sich ausmachen. Die Zahlen sinken. Wen wundert's.
Schlagzeile: "Die Zahl der COVID-Intensivpatienten ist das erste mal seit Ende Oktober auf knapp unter 2000 gesunken". Das klingt zunächst nach froher Botschaft. Vergleicht man die Zahlen aber mit Deutschland, ist es wohl eher eine schlechte Nachricht. Denn hier liegen „nur“ rund 2800 COVID Patienten auf der Intensivstation, bei acht mal mehr Einwohnern, und einem wesentlich besser ausgestatteten Gesundheitssystem. Die Zahl lässt aber noch einen anderen Schluss zu, nämlich, dass die Lage in Portugal bereits Ende Oktober kritisch war. Damals glaubten aber Viele noch, in Portugal sei alles nur halb so schlimm. Denn über die Situation in den portugiesischen Krankenhäusern schweigt sich die Regierung generell aus.. Wenn überhaupt, werden die Hiobsbotschaften vom Krankenhauspersonal durchgestochen. Mediziner warnen, dass die Überlastung der Krankenhäuser auch fatale Auswirkungen auf die Vorsorge und die Versorgung insbesondere Schwerkranker ohne COVID habe. Mit anderen Worten: Mittel-, und langfristig noch mehr Tote.
Zuletzt habe es in Portugal 70 Infizierte je 100.000 Einwohner gegeben. Zusammenhanglos aufs Papier geworfen. Dabei ist die Inzidenz gar nicht so schlecht, wenn man sie einzuordnen weiss. Außerdem ist die Zahl der COVID-Toten in der Region Lissabon derzeit am höchsten, gefolgt vom Norden, Zentrum und dem Alentejo. Am geringsten ist sie in der Algarve. Aha!
Auf Landkreisebene derselbe undurchsichtige Zahlendschungel. R-Wert, Inzidenzen, vergleichende Einordnung, um die Lage zu veranschaulichen, Fehlanzeige. Dazu kommen immer wieder Unstimmigkeiten über Zahlen, die auf nationaler oder lokaler Ebene veröffentlicht werden. Madeira registrierte kürzlich 38 Neuinfizierte. Aber Lissabon veröffentlichte am selben Tag 140 Neuinfizierte für Madeira. Beileibe kein Einzelfall. Warum? Methode? Schlamperei? ...Schweigen.
Eine Diskussion über die wesentlich infektiösere britische Corona-Variante findet praktisch gar nicht statt. In Deutschland wird währenddessen bereits über eine Parallel-Pandemie spekuliert. Dabei ist anzunehmen, dass das britische Coronavirus in Portugal stärker wütet, als in Deutschland. Wäre es da nicht angebracht aufzuklären?
Die Botschaften sind konfus und unvollständig. Sie reichen von numerischer Belanglosigkeit, Ambivalenz bis hin zu Durchhalteparolen.
So mahnt Ministerpräsident Antonio Costa die Portugiesen eindringlich zur Lock Down Disziplin, denn was im Januar passiert sei, könne sich wiederholen. Und die Gesundheitsministerin Marta Temido warnt, die Situation habe sich noch nicht beruhigt. Allein, es fehlt die Kongruenz der message.
Kein Wunder also, dass laut einer Studie von PsiQuaren10, über 80 Prozent der befragten Portugiesen pandemiemüde sind. Nicht nur ein bisschen, sondern erheblich. Frauen mehr als Männer, und Jüngere mehr als Ältere. Allen schwirrt der Kopf. Und das, obwohl Portugal im Sommer noch relativ glimpflich durch die erste Welle gekommen war. Das Ergebnis sei alarmierend meint Ivone Patrao vom ISPA Institut. Daher sei eine gute Kommunikationspolitik notwendiger denn je.
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