(A)politischer Streik

Arbeitskampf Heute, am 27. März 2023, wird der Zug-, Bus- und Flugverkehr bestreikt. Gefordert wird eine Lohnerhöhung von mindestens 10,5 Prozent. Die Rufe, das ohnehin schon schwache Streikrecht einzuschränken, werden dabei immer lauter.

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Alle Räder stehen still: am heutigen Montag, den 27. März 2023, rufen die Gewerkschaften ver.di und EVG zum bundesweiten Streik auf. Der Fernverkehr wird komplett gestreikt, der Öffentliche Personennahverkehr in einigen Bundesländern. Auch der Flugverkehr soll mehrheitlich bestreikt werden. Der von bürgerlichen Medien als „Mega-Streiktag“ bezeichnete Ausstand ist eine Reaktion auf stockende Gespräche bei Tarifverhandlungen der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Während die Gewerkschaften eine Lohnerhöhung von 10,5 Prozent beziehungsweise mindestens 500 Euro verlangen, blocken die Kapitalist*innen ab und argumentieren, dass dies aufgrund der derzeitigen Lage unmöglich sei. Angesichts der immensen Ungleichheit zwischen Kapitalist*innen und Arbeiter*innen wirkt diese Aussage wie ein blanker Hohn. Besonders die Deutsche Bahn wird von den Gewerkschaften kritisiert, die ein „Scheinangebot“ vorgelegt hätte, das eine Beleidigung für die Arbeiter*inne darstellt.

Mit dem Warnstreik, der die öffentliche Infrastruktur betrifft, regt sich Widerstand: besonders der rechte und kapitalnahe Flügel der Unionsparteien – die CDU-Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) – will das ohnehin schon eingeschränkte Streikrecht in der BRD noch weiter zerschlagen. Rückenwind bekommt sie von Mitgliedern der Union und Bündnis 90/Die Grünen. Anfang März erhob die MIT eine Umfrage, ob das Streikrecht eingeschränkt und strengere Bedingungen aufgestellt werden sollen. Während sich selbst die radikalliberalen Freien Demokrat*innen zu 26 Prozent gegen eine Einschränkung des Streikrechts aussprachen, waren es bei Unionsmitgliedern und Grünen nur 18 beziehungsweise 19 Prozent. Bei der Einführung von strengen Vorbedingungen (darunter Schlichtungsmaßnahmen und ein Vorlauf von mindestens vier Tagen, bevor der Streik beginnen darf) sprechen sich 53 Prozent der Grünen aus – vier Prozentpunkte vor der Union. Auffällig ist indes, dass sich die rechtsnationale Alternative für Deutschland (AfD) als Freundin der Arbeiter*innen inszeniert und noch vor der Linkspartei mit 33 Prozent die Einschränkung des Streikrechts ablehnt. 15 Prozent der AfD-Mitglieder sprechen sich für ein Komplettverbot aus; die Linkspartei zu 17 Prozent.

Wie erwähnt, ist das Streikrecht in der BRD ohnehin schon stark eingeschränkt. Im Vergleich zu den Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union (EU) stehen die BRD und Dänemark am Schlusslicht, was das demokratische Grundrecht auf Arbeitsniederlegung betrifft. Zwar wird den Arbeiter*innen zugestanden, im Rahmen der rein ökonomischen Verbesserung die Arbeit niederzulegen. Allerdings muss dieser Kampf von politischen Forderungen abgegrenzt werden, was besonders der herrschenden Klasse in der BRD zugutekommt, die ein Interesse daran hat, die Ökonomie von der Politik zu trennen. Die Festlegung, dass politische Streiks verboten sind, liegt bereits 71 Jahre zurück: 1952 entschied ein Gericht, dass der Arbeitskampf von Zeitungsbetrieben, die für mehr Rechte im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes streikten, verboten sei. Dabei wurde jedoch betont, dass der politische Streik per se nicht „verfassungswidrig“ sei, sondern „rechtswidrig“. Diese semantische Spielerei scheint für die herrschende Klasse jedoch keine Rolle zu spielen, denn besonders die Kapitalseite interpretiert diese vermeintliche Rechtssprechung als Argument, den politischen Streik vollumfänglich für verboten zu halten. Was in der Debatte besonders pikant ist, ist, dass das Gericht sich auf ein Gutachten bezog, das von einem ehemaligen faschistischen Juristen verfasst wurde: Hans Carl Nipperdey.

Nipperdey war maßgeblich daran beteiligt, eine faschistische Rechtswissenschaft zu etablieren, die unter anderem den Versuch unternahm, das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) durch ein „Volksgesetzbuch“ zu ersetzen. Darüber hinaus war Nipperdey in der „Aktion Ritterbusch“ involviert, deren Aufgabe es war, eine faschistische Geisteswissenschaft zu erarbeiten, die Ausdruck des „deutschen Wesens“ sein sollte. Diese vermeintliche juristische Expertise wurde nach der Befreiung Europas vom deutschen Faschismus in den Dienst der jungen BRD gestellt. Besonders die arbeiterfeindliche Rechtswissenschaft fand Eingang in das BRD-Arbeitsrecht. So geht das Verbot des politischen Streiks maßgeblich auf ihn zurück, der diese Auffassung auch 1958 rigoros gegen einen Streik der IG Metall anwandte. Während diese juristische Auffassung bis in die heutige Zeit verteidigt wird, wirkt auch Nipperdeys Haltung zu Whistleblower*innen bis heute nach: in der Europäischen Union gibt es bis heute keinen Schutz für Whistleblower*innen.

Dass man diese Spuren so weit wie möglich verwischen möchte, wird besonders im Landesgeschichtlichen Informationssystem von Hessen deutlich: Nipperdeys Werdegang zwischen 1925 und 1954 wird völlig ausgelassen. Stattdessen wird unter dem Punkt „1925-1968“ erwähnt, dass er „ordentlicher Professor für Bürgerliches Recht, Handels- und Arbeitsrecht“ in Köln gewesen war. Dass das reaktionäre Verbot des politischen Streiks auch international stark kritisiert wird, ist hinlänglich dokumentiert: 1998 rügte beispielsweise der Europarat das Verbot und meinte, dass die Forderung der International Labour Organisation (ILO) zur Versammlungsfreiheit auch in der BRD vollumfänglich Anwendung zu finden hat. Bis zu diesem Schritt scheint es jedoch noch einen längeren Weg geben, denn selbst die Gewerkschaften in der BRD halten sich eher an die „Sozialpartnerschaft“ mit den Kapitalist*innen. Zwar informiert die Gewerkschaftsbürokratie über das politische Verbot, definiert es allerdings als gesetzt und macht keine Anstalten, etwas daran ändern zu wollen. Der sogenannte “Frieden” mit der herrschende Klasse scheint eine höhere Priorität zu haben, als die Forderungen der Arbeiter*innen in einen übergreifenden Arbeitskampf zu übersetzen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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