Autoritäre Geschichtsschreibung

EU-Resolution Ein Antrag von Konservativen, Sozialist*innen, Liberalen und Rechtspopulist*innen setzt Kommunismus mit Faschismus gleich. Es ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit.

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Der 19. September 2019 war für viele kein außergewöhnlicher Tag. An diesem Tag wurde vom EU-Parlament eine Resolution mit dem primär unscheinbaren Titel „Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas“ angenommen. Es handelt sich hierbei um einen „gemeinsamen Entschließungsantrag“ der drei größten Fraktionen Europäische Volkspartei (EVP), Progressive Allianz der Sozialdemokrat*innen (S&D) und Renew – vormals die Allianz der Liberalen und Demokrat*innen (ALDE) – sowie der zweitkleinsten Fraktion Europäische Konservative und Reformer*innen (EKR). Der Antrag beziehungsweise die angenommene Resolution will im Namen der Freiheit der Europäischen Union (EU) die in der BRD entwickelte „Totalitarismus-Theorie“ mit einer juristischen Wirkmächtigkeit in den Staaten der EU verankern. Unter diesem Begriff subsumiert sich nicht nur eine Gleichsetzung des Faschismus und des Kommunismus. Die Intention der Resolution hat schlechterdings eine subtile Umschreibung der Geschichte des letzten Jahrhunderts zur Folge, welche ein besonderes Augenmerk auf die Russische Föderation legt. Diese Entwicklung ist alles andere als neu, sondern vielmehr Resultat eines konsensuellen Rechtsrucks in den herrschenden Parlamenten sowie Zuspitzung eines „antiextremistischen“ Ausdrucks.

Obgleich der Antrag sich auf die allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (UN) bezieht, hat dieser Vorstoß eine Revision jener zur Folge. Innerhalb der letzten 15 Jahren wurden mehrere Entschließungen verabschiedet, welche zentral die Gleichsetzung des Faschismus mit dem Kommunismus kommunizierten, welches nonchalant unter „Totalitarismus“ subsumiert wird. Es wird zwar in Einzelfällen vom Stalinismus gesprochen, was eine Differenzierung mit dem Kommunismus naheliegen könnte. Doch in der Realität ist dieser Begriff jederzeit austauschbar und dient im Kontext des schleichenden Geschichtsrevisionismus der EU mehr der Personalisierung als einer wirklichen systematischen Analyse. Es wird besonders auf postsozialistische Staaten im Osten der EU verwiesen, in denen kommunistische Symbole oder jene, die als solche definiert werden, verboten sind. Das wären Ungarn, Estland, Lettland, Litauen und Polen, gleichwohl es immer wieder Versuche gab und gibt, solche Entscheidungen zu Fall zu bringen. Die BRD als Dreh- und Angelpunkt der sogenannten „Aufarbeitung“ des Kommunismus besitzt eine besondere Rolle, so auch der Ribbentrop-Molotow-Pakt zwischen dem faschistischen Deutschland und der Sowjetunion.

Ungeachtet der politischen, historischen und gesellschaftlich-objektiven Begebenheiten, welche während der Zeit bis 1945 herrschten, erfolgt besonders durch die Resolution und ihrer Interpret*innen eine vom heutigen Standpunkt aus verstandene Deutungshoheit. Es wird schlechterdings Russland vorgeworfen, keine Aufarbeitung der Sowjetunion vollzogen zu haben, womit konstatiert wird, dass es sich bei dem Staat um ein semi-totalitäres System handelt. Damit wird das politische Werkzeug der „Extremismus-Theorie“ an ihre selbstgesetzten Grenzen geführt, die einzig einen eurozentrisch-liberalen Kompass erlaubt. Diese Entwicklung eruierte bis heute in dem gefährlichen Narrativ, den Antifaschismus in all seinen Facetten zu kastrieren und einzig auf den bürgerlichen Aspekt zu reduzieren. Der Irrsinn der Resolution folgert hiernach die Aufhebung der Logik, in dem subkutan vermittelt wird, antifaschistischen Widerstand mit faschistischem Terror gleichzusetzen. Dies wird besonders in der Wortmeldung des Abgeordneten der Alternativen für Deutschland (AfD), Nicolaus Fest, deutlich, der in der Aussprache zum Antrag einen zusätzlichen Bezug zur Shoa und der Vernichtung der Jüd*innen fordert. Die Besonderheit hierbei ist der polemische Angriff auf Vertreter*innen linker Parteien, denen Fest vorwarf, sie mögen Änderung ablehnen, um dem Parlament zu verdeutlichen, wer die „Antisemit*innen in diesem Haus“ seien.

Der Spagat, den die Resolution treibt, ist ein vorgeschobener. Der faschistische Terror des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion und ihrer Völker wird erwähnt, im selben Atemzug jedoch ausdrücklich betont, „dass Russland noch immer das größte Opfer des kommunistischen Totalitarismus“ sei. Dadurch werden nicht nur die mindestens 27 Millionen sowjetische Tote durch den Faschismus entwürdigt, sondern einer kompletten Epoche und historischen Entwicklung die Deutungshoheit entzogen. Die Gleichsetzung dessen findet hierbei einen neuen Entwicklungsgrad, der ein direkter Angriff auf die selbst erklärte Freiheit der EU und die Menschenrechte ist, denn hier geschieht zweierlei: erstens wird der sozialistische und kommunistische Widerstand gegen den Faschismus mit dem „Totalitarismus“ gleichgesetzt sowie auch jeder Versuch, einen nichtkapitalistischen Weg einzuschlagen; zweitens wird das heutige Russland als undemokratisch bezeichnet als auch unwirksam in der eigenen Aufarbeitung, was eine direkte Einmischung in die staatliche Angelegenheit Russlands darstellt. Ein Parlament, welches von der BRD dominiert wird, der Nachfolgestaat des faschistischen Deutschlands, fordert den Staat auf, seine vermeintliche „totalitäre“ Geschichte aufzuarbeiten, der den größten Blutzoll durch Deutschland zu zahlen hatte. Diese Art des Geschichtsrevisionismus ist der schleichende Weg in den Autoritarismus.

Wenn die EU sich auf den antikommunistischen Konsens, wie in die Resolution und die Hardliner fordern, einigt, wird das einen gefährlichen Einschnitt in die Meinungsfreiheit darstellen, denn ein Verbot der Symbole, die Auschwitz befreiten, wäre unausweichlich. Es würde darüber hinaus nicht nur eine Hoheit über die Geschichtsschreibung haben, sondern auch über elementare Entwicklungen philosophischer und politischer Natur. In einer Zeit, in der der Kapitalismus besonders bedingt durch die Klimakatastrophe an seine Grenzen gelangt, wirkt dieser Antrag wie ein Rettungsreifen autoritären Ausmaßes. In den Punkten 17 und 18 zeigt man sich besorgt, dass „nach wie vor (kommunistische) Symbole totalitärer Regime“ in der Öffentlichkeit gezeigt werden können sowie fühlt man sich unwohl bei der Tatsache, dass es „noch immer Denkmäler und Gedenkstätten gibt“, welche solch Regime „verherrlichen“. Will man dann Erinnerungen an antifaschistische Kämpfer*innen verbieten und aus dem Gedächtnis tilgen, weil sie später Bürger*innen der Sowjetunion, der DDR oder der Volksrepublik Polen waren? Das wird zwangsläufig darauf hinauslaufen. Das Ziel ist es, legitime Kritik am Kapitalismus mit dem Verweis auf eine antikapitalistische Alternative zu kriminalisieren und zu verbieten. Dass auch immer wieder auf den Faschismus Bezug genommen wird, ist löblich, doch die Intention dahinter ist mehr als deutlich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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