Post-pandemische Diskriminierung

Debatte Es gibt keine Maskenpflicht mehr. Dennoch entscheiden sich einige Menschen, sie weiter zu tragen. Dadurch entstehen neue Konflikte und es kristallisiert sich eine neue soziale Diskriminierung heraus.

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Neben der Schutzimpfung wurde seit Ausbruch der Coronapandemie nichts so sehr politisiert wie die Atemschutzmaske. Dabei spielt sie in den vergangenen Jahren eine unterschiedlich gewichtete und unterschiedlich ausgelegte Rolle, die stets Ausdruck der derzeitigen gesellschaftlichen und politischen Lage war und ist. Während aus virologischer Sicht zur Eindämmung des Virus die überwältigende Mehrheit der Wissenschaftler*innen den Nutzen der Maske unterstrich, war die Auseinandersetzung auf politischer und gesellschaftlicher Ebene stets mit Kontroversen begleitet. Als in der BRD die Verpflichtung zum Tragen einer Maske ausgerufen wurde, war es keine Verwunderung, dass sich dagegen Widerstand äußerte, der sich entweder gegen die politischen Pandiemaßnahmen stellte, das Virus an sich leugnete oder in vielen Fällen auch beides. Die hiernach radikalisierte Symbolik der Maske stand stellvertretend für eine temporäre Spaltung in der Gesellschaft, deren Bruch auch in Familien und Freundschaften zu finden war und ist. Menschen dieser Gruppe, die sich politisch in der Querdenker*innen-Bewegung fanden, verstanden sich als vermeintliche Verteidiger*innen eines Freiheitsbegriffs, der die Maske von der Pflicht befreien und zur Freiwilligkeit zwingen soll. Dass das mittlerweile der Fall ist, ist dabei kein Verdienst der Querdenker*innen, sondern eine politische Entscheidung, die anhand pandemischer und virologischer Erkenntnisse Schutzmaßnahmen zurückfuhr, darunter auch die Masken.

Es besteht keine Maskenpflicht mehr. Sie wurde zur Freiwilligkeit und befreit von jedem Zwang. Diese faktische Normalisierung des pandemischen Geschehens führt in die post-pandemische Gesellschaft, die nicht einer virologischen, sondern einer sozialen Definition untersteht: Das Virus bleibt bestehen, woraufhin die Gesellschaft eine unweigerliche Entwicklung vollzog und nun in einem Stadium ist, diedie pandemische, das heißt administrativ-bekämpfende, Phase verlassen hat. Das hat nicht nur zur Folge, dass es keine Maßnahmen mehr gibt, sondern auch, dass es dennoch Menschen gibt, die aus freiwilligen Stücken Schutzmaßnahmen ergreifen. Die Gründe können vielfältig sein: aus Sorge vor Langzeitfolgen, weil man einer Risikogruppe angehört oder auch weil eine eigene Normalisierung nach sich zog, die die Maske nicht nur als Schutz vor Corona, sondern Infektionen selbst darstellt, besonders im engen Raum. Freilich trägt die überwältigende Mehrheit keine Maske mehr und diejenigen, die sie beim Einkaufen oder Zügen tragen, sind an der Hand abzuzählen. Die freie Entscheidung, die seit Ende der Maßnahme so hoch gepriesen wird, erfährt mittlerweile jedoch eine Umkehrung des inhaltlichen Kontextes, will heißen: Die Entscheidungsfreiheit ist an einer latenten sozialen Diskriminierung gekoppelt.

Wenn kaum jemand mehr Masken trägt, fällt man als Maskenträger*in natürlich auf. Wenngleich der Anblick von Masken normalisiert ist und sie keine fremde Erscheinung sind, bleiben sie dennoch nicht unwidersprochen. Während zu der Zeit der Maßnahmen Maskengegner*innen von „Diskriminierungen“ sprachen, ist mittlerweile bemerkbar, dass sich der diskriminatorische Charakter dialektisch anhand der gesellschaftlichen Entwicklung neu aufstellt. Weshalb braucht es noch die Maske, wenn die Pandemie administrativ beendet wurde?, wird unausgesprochen gefragt. Diese Frage bleibt nicht im luftleeren Raum stehen, sondern entwickelt eine schleichende soziale Diskriminierung, die sich in unterschiedlicher Intensität zeigt. Die Blicke, die irritierende, die verurteilende oder auch die, die zur eigenen Belustigung dienen, wird mittlerweile jede*r Maskenträger*in erlebt haben, die sich weiterhin eigener Schutzmaßnahmen bedienen. Die Diskriminierung folgt nicht von den Blicken, sondern den Worten und Taten, die sich daraus entwickeln.

Dem Blick folgt das Wort. Dem Wort die Tat. Sei es Herabwürdigungen, direkte Konfrontationen, oder die Weigerung, wie ein Mensch bedient zu werden. Interessant an dieser Entwicklung ist, dass diese Reaktionen nicht nur von Gegner*innen der ersten Stunde kommen, sondern jenem Teil der Gesellschaft, die das Virus als Gefahr betrachteten, sich an die Maßnahmen hielten und die Normalität an den neuen bestehenden Verhältnissen anpassten. Das scheint auf den ersten Blick nicht verwunderlich: Die Maske steht als Symbol des Übergangs der pandemischen zur post-pandemischen Gesellschaft und erfüllt hiernach die soziale Konfrontation des Freiheitsbegriffs, der positiven und negativen Auslegung. Die Freiheit von der Maske steht im Widerspruch zur Freiheit zur Maske. Dieser Konflikt eines liberalen Freiheitsbegriffs hat unweigerlich Auswirkung auf die Gesellschaft, wenngleich nicht in einer strukturellen Diskriminierung. Und eine Mehrheit der Gesellschaft, die sich gegen die Maske entschieden, anerkennt die Freiheit jener, die sich für die Maske entscheiden. Und doch ist eine latente Entwicklung nicht zu leugnen, die den Konflikt immer wieder zum Ausdruck bringt, sei es durch den Blick, das Wort und der Tat. Es ist noch zu wenig Zeit vergangen, um zu erahnen, wie sich eine post-pandemische soziale Diskriminierung entwickelt und langfristig ausmachen wird. Menschen, die von der Normalität ausbrechen, sei es gewollt oder ungewollt, fallen immer auf. Man möchte meinen, dass eine Freiheit, die die Freiheit anderer nicht einschränkt, die Freiheit eines jeden ist. In diesem Fall entsteht jedoch ein Kampf um die Deutungshoheit, wessen Freiheit die freiere ist. Doch dieser Kampf ist einseitig, denn diejenigen, die die Maske tragen, stellen für niemanden eine Gefahr dar. Der Selbstschutz stellt keine Einschränkung Unbeteiligter dar.

Ob und wie lange ich eine Maske trage, sollte niemanden interessieren. Es ist meine Entscheidung und stellt für niemanden ein Hindernis dar. Die Maske wird für einige als Provokation wahrgenommen, was dazu führt, eine soziale Ächtung zu erfahren, für etwas, was vor wenigen Monaten noch Normalität war. Man forderte, jeder solle selbst entscheiden, ob man eine Maske trägt. Gut. Und jetzt ist es auch wieder nicht recht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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