Der Aufstieg der Grünen

Partei der Mitte Wie konnten die Grünen zur zweitstärksten Kraft werden? Sie steht selbst für Sozialabbau, die Verschärfung des Klassenkampfes und das Kokettieren mit dem Großkapital.

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Dem aktuellen Sonntagstrend von RTL/n-tv zufolge würden Bündnis 90/Die Grünen 19% der Wähler*innenstimmen bekommen, noch vor der SPD (16%) und AfD (14%). Die berechtigte Frage, die sich hier stellt ist nun, wie sich das entwickeln konnte. Ein sehr wichtiger Punkt ist die Klassenzugehörigkeit der Grünen. Sie bedient - ob das nun realpolitisch und/oder in theoretischen Papieren tatsächlich reflektiert wird ist irrelevant - eine sich selbst ernannte linksliberale Schicht, die ein mittelmäßiges Einkommen erhält, dabei sich für umweltpolitische Themen interessiert und ein Interesse daran hat, die sogenannte weltoffene, multikulturelle Gesellschaft beizubehalten. Der Aufstieg der Grünen geht einher mit dem Aufstieg der radikalen Rechten auf Kosten der traditionellen Volksparteien. Die größte Verliererin ist die altehrwürdige Sozialdemokratie, die sich seit Gerhard Schröders Agenda 2010 hoffnungslos ins Aus katapultierte. Dieser Niedergang der europäischen Sozialdemokratie betraf auch Griechenland, Spanien, Italien und Frankreich, die den neoliberalen Wandel mitzogen und damit zur Partei des Kapitals wurden.

Der daraus kolportierte Erfolg der Grünen ist im Kern nicht nachvollziehbar. Sie steht selbst für den Sozialabbau, die Verschärfung des Klassenkampfes und das Kokettieren mit dem Großkapital. Ihre Einzigartigkeit resultiert in dem Kampf für die Umwelt, die im 21. Jahrhundert zurecht eine zentrale Schwerpunktsetzung erfuhr. Der extrem heiße Sommer und die Besetzung des Hambacher Forst waren ein Heimspiel der Grünen, obgleich sie keinerlei Bezug nahmen. In NRW verantworteten sie selbst die Kapitalisierung des Waldes, und somit die Öffnung der Türen für RWE. Doch Grüne Politik scheint davon gefeit, eine reale Quittung zu verarbeiten. Das liegt an zwei Punkten: 1) entwickelt sich die einstige Bewegungspartei der 1980er Jahre zur neuen Stütze des progressiven Bürgertums, nachdem sich die FDP selbst dem außenpolitischen Autoritarismus öffnete und die SPD sich durch einen verbalen Links- und realpolitischen Rechtsschwenk selbst erübrigte und 2) bedient sie klassisch idealistische Werte und vermittelt dadurch den Irrglauben, ein gezähmter Kapitalismus sei im Wohle und Sinne aller.

Dabei ist unbestreitbar, dass die Grünen im Schulterschluss mit der SPD für die erste Beteiligung bundesdeutscher Soldat*innen nach 1945 im völkerrechtswidrigen Jugoslawien-Krieg verantwortlich war, was ihrem pazifistischem Grundwert jegliche Legitimation entzog. Durch die Verabschiedung der Agenda 2010 ordnete sich die Partei bereits bewusst als für sozial und gesellschaftlich höher gestellte Menschen ein und wandte sich gegen die arbeitende und arme Bevölkerung. Durch die Fusion mit Bündnis 90 vereint sie auch - ob zurecht oder nicht sei dahingestellt - das Erbe der DDR-Opposition und sieht sich stets in der Pflicht, die inoffizielle Staatsraison der BRD, den Antikommunismus, im kollektiven Gedächtnis zu halten. Keine andere Partei in der Geschichte der Bundesrepublik vollzog in solch kurzem Zeitraum einen derartigen Rechtsruck wie die Grünen. Sie wurde 1979/1980 einst als linksalternative Gestaltungspartei gegründet, in der sich marxistische Wirtschaftstheorie und konsequenter Antimilitarismus vereinte. Davon ist heute nichts mehr übrig, seit die Grünen die Regeln und Module der sogenannten Sozialen Marktwirtschaft anerkannten.

Weshalb die Partei dennoch von der radikalen Rechte als Zentrum der Linken klassifiziert wird, ist schnell erklärt. Der gesellschaftliche Rechtsruck bedingt die Diskursverschiebung, in dem selbst eine grundliberale Erwähnung wie die Menschenrechte aller zu einer linksradikalen Diktion verkommt. Die Existenz der Grünen ist dadurch unweigerlich an den Charakter des progressiven Bürgertums geknüpft; und damit auch mit dem Bestehen des Kapitalismus. Dadurch muss jede postkapitalistische Gesellschaftsordnung den Grünen ein Dorn im Auge sein, was hernach zwingend zu einem gesellschaftlichen Rollback führen wird. Das führt teilweise zu schizophrenen Situationen, wenn die Partei bspw. zu einer Demonstration gegen Sozialabbau aufruft, doch gleichzeitig in den Parlamenten höchstens Reformen erarbeitet. Eine grundsätzliche Gesellschaftskritik ist dadurch unmöglich. Wenn sich eine sogenannte "Mitte der Gesellschaft" politologisch tatsächlich einordnen und diskutieren lässt, dann sind sie qua ihrem Charakter in Bündnis 90/Die Grünen zu finden: eine schwankende, sich den eigenen Wechselbeziehung stets unterwerfende Partei einer sterbenden Klasse.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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