Die Juden der Rechten?

Antisemitismus Sie gibt sich als Schutzmacht jüdischen Lebens in der BRD, doch empört sich, wenn eine Jüdin sie kritisiert. Die AfD hat ein großes Problem mit Antisemitismus.

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Als am Mittwoch, den 23. Januar 2019 die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, im bayerischen Landtag bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des deutschen Faschismus sprach, mahnte sie auch die Gegenwart. Direkt an die Alternative für Deutschland (AfD) gerichtet hielt sie der Partei vor, die Verbrechen und den Terror der Faschist*innen zu verharmlosen. Viele Mandatsträger*innen und Spitzenpolitiker*innen der AfD betrieben eine geschichtsrevisionistische Verklärung der historischen Verhältnisse, Alexander Gauland beispielsweise mit seiner berüchtigten „Vogelschiss“-Rede. Die AfD stehe gegen die Demokratie und mache die Werte derer verächtlich. „Diese sogenannte Alternative für Deutschland gründet ihre Politik auf Hass und Ausgrenzung“, sagte Knobloch, was ein Großteil der AfD-Landtagsfraktion mitsamt ihrer Vorsitzenden Katrin Ebner-Steiner dazu bewegte, das Plenum zu verlassen. Die inszenierte Empörung ist mittlerweile Standard, wenn es um direkte Konfrontation mit der Außenwirkung und dem widersprüchlichen Selbstverständnis der Partei geht. Dass sie ein Problem mit Antisemitismus hat, belegt nicht nur der Abgeordnete Wolfgang Gedeon in Baden-Württemberg, welchem man eine traditionelle Israelfeindschaft attestieren könnte. Trotz mehrmaliger Bekenntnisse zur Staatsraison der BRD und zum Staat Israel verstrickt sich die AfD in antisemitische Stolperfallen, die für ihre völkische Ideologie jedoch nur konsequent sind. Auch die jüngste Gründung einer jüdischen Arbeitsgruppe (JAfD) in der Partei verschleiert diesen Sachverhalt nicht – ganz im Gegenteil.

Der ehemalige Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg und derzeitige Vorsitzender Bundespartei Jörg Meuthen gab sich äußerst empört über die Äußerungen Gedeons. Eine temporäre Spaltung der Landtagsfraktion folgte. Andererseits verbirgt sich hinter seiner bürgerlichen Maske eine Intellektualisierung der völkischen Idee und hiernach des traditionellen Antisemitismus'. So sehe er mit „mathematischer Sicherheit“ ein Ende des deutschen Volkes, was ihn in ideologischer Nähe zu Björn Höcke und seinen Schüler*innen rückt. Während Gedeon die jüdische Gruppierung in der Partei als Angriff des Zionismus wertet, beglückwünscht Meuthen die Gründung und den „Mut“ der jüdischen Mitmenschen. Ein Blick in die Grundsatzerklärung der JAfD zeigt deutlich, dass es weder der AfD noch ihrer Gruppierung um einen Kampf gegen den Antisemitismus geht. Mit Schlagbegriffen wie „muslimischer Antisemitismus“ und „linker Antizionismus“ wird eine bewusste Orientierung vorweggenommen, die das Judentum und die jüdischen Menschen für die rassistische und nationalistische Ideologie vereinnahmt. Der stellvertretende Vorsitzender der Christen in der AfD (ChrAfD [sic]) Joachim Kuhs, selbsternannter Lebensschützer und Stimme verfolgter Christ*innen, begrüßte die JAfD besonders. Sie sei ein Werkzeug, um dem „Spielzeug der Nazikeule“ zu begegnen. Übersetzt lautet das in jener Logik wohl, dass eine Partei mit einem jüdischen Arbeitskreis per Definition nicht faschistisch oder antisemitisch seien könne.

Das Selbstverständnis der JAfD negiert jedoch im Sinne der Bundespartei den multikulturellen Charakter der jüdischen Menschen. Jüd*innen werden als monolithischer Block betrachtet, wie sie sich beispielsweise in Frankreich „völlig unzimperlich als rechts bezeichnen“ und gleichermaßen innerhalb einer einseitigen Rezeption Israels gleichgesetzt werden. „Linker Antizionismus“ ist für die JAfD nicht nur Kritik an der Regierung Netanyahus, sondern auch der öffentlich-rechtlichen Medien, der Flüchtlingspolitik und in Folge dessen der Realität einer multikulturellen Gesellschaft. Der tatsächliche antizionistische Charakter einiger linksradikaler Gruppen findet ironischerweise keinerlei Erwähnung, sondern es werden islamistische Gruppierungen und Flüchtlingswerke in Palästina unter der diffusen Bezeichnung „links“ subsumiert. Die dadurch bedingte völlige Leugnung der eigentlichen Verhältnisse vor Ort ist kalkuliert und soll so den Antisemitismus verwässern und instrumentalisieren. Linke Jüd*innen oder Kritiker*innen werden nichtsdestoweniger in vulgaristischer Elitenkritik antisemitisch attackiert, wie es im Falle George Soros des Öfteren geschieht. Den strukturellen Antisemitismus kann die Partei nicht negieren, ganz gleich, in welch Oberflächlichkeit sie sich zu Israel bekennt.

Zentral ist die Diskursverschiebung auf muslimische Menschen. Die Kritik am Antisemitismus in der Partei wird auf flüchtende Menschen angewandt, denen eine grundsätzliche Feindschaft gegenüber Jüd*innen attestiert wird. Der dadurch erwirkte philosemitische Charakter ist keine Einzigartigkeit der AfD, sondern jüngste Entwicklung vieler radikalen Rechten in Europa und Nordamerika. Dadurch soll eine Distanz zum Rechtsradikalismus erwirkt werden, um so unter der Maske eines bürgerlichen Anstrichs rassistische Propaganda gegen Muslim*innen zu ermöglichen. Die Instrumentalisierung der Shoa ist die Vereinnahmung und gleichzeitig Negation des traditionellen Antisemitismus, der tief im gesellschaftlichen Diskurs verankert ist. Der israelische Soziologe Moshe Zuckermann bringt dieses Phänomen mit den Worten „Nicht alle Juden sind Zionisten, nicht alle Zionisten sind Israelis, nicht alle Israelis sind Juden“ auf den Punkt, und meint damit den Versuch der herrschenden Klassen, eine Gleichsetzung zu propagieren. Die radikale Rechte und hiernach auch die AfD glaubt sich von ihrem antisemitischen Charakter zu befreien, in dem sie sich zu Israel bekennt. Gegenbeispiele gibt es en masse.

Die AfD in Bayern ist also empört über die Kritik einer Jüdin und verlässt zu einer Zeit den Plenarsaal, als an die schlimmste Zeit des Antisemitismus erinnert wird. Der widersprüchliche Charakter in der Partei erwirkt zwangsläufig widersprüchliche Bekenntnisse. Als völkische Partei steht sie grundsätzlich diametral zu einer offenen und internationalen Gesellschaft, was in der Folge auch weltoffene jüdische Menschen ausschließt. Selbstverständlich gibt es jüdische Rassist*innen und Faschist*innen. Das zu erwähnen ist kein Tabubruch, sondern eine Realität. Anders als die AfD es verstanden haben möchte, sind Jüd*innen kein monolithischer Block, doch auch Jüdischsein befreit nicht automatisch von antisemitischen Ideen und Gedanken. Diese Realität mag die AfD ignorieren und bekämpfen, in dem sie das jüdische Volk in ihrer Vereinnahmung als gegen den Islam, die politische Linke und Aufklärung betrachtet, doch auch ein positiver Bezug der eigenen Agenda wegen ist dadurch abwertend. Der völkische Philosemitismus der Rechten ist dementsprechend eine weitere Spielart des uralten Antisemitismus. Würde in naher Zukunft eine linke Regierung in Israel an die Macht kommen, jedwede rechtsradikale Partei in Europa und Nordamerika würde über Nacht einen antizionistischen Charakter ausarbeiten. Jüd*innen dienen nur der eigenen Propaganda und rassistischen Ausrichtung. Trotz der JAfD ist und bleibt die sogenannte Alternative für Deutschland ein Sammelbecken sowohl für rechte Zionist*innen als auch Antizionist*innen, für Antisemit*innen und Philosemit*innen, die alle dasselbe Ziel eint: eine deutschnationale, abgeschottete und völkische Ideologie.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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