Der Kampf um das Kopftuch

Islamfeindschaft Ein Neofaschist verübt in zwei Moscheen einen Terroranschlag und tötet 49 Menschen, doch man stört sich am Kopftuch Jacinda Arderns und wird damit selbst zum Problem.

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Am 15. März 2019 fand in Christchurch, Neuseeland ein Terroranschlag statt. Der australische Neofaschist T. ermordete in der Al-Noor-Moschee und im Linwood Islamic Centre 49 Menschen. Knapp 50 weitere Menschen verwundete er schwer. Als Hauptmotiv bezog er sich auf eine angebliche „Islamisierung“ und bekannte sich in seinem kruden „Manifest“ zu rechtsradikalen und rassistischen Ideen. Der australische Regierungschef Scott Morrison bezeichnete T. als „extremistischen, rechtsgerichteten [und] gewalttätigen Terroristen“, während Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern mit einem Kopftuch vor Ort ihre Trauer über das Entsetzen bekundete. Als Zeichen „deutlichster Respektsbekundung“ wird diese solidarische Anteilnahme allerdings auch kritisiert, sowohl von rechter als auch liberale Seite. Die Diskussion über Ardern und ihr Kopftuch verschiebt in gefährlicher Weise die Ursachenfindung und legt den Fokus des Terroranschlags auf eine strukturelle Mitschuld der muslimischen Welt. Terror gegen Muslim*innen erfahren grundsätzlich eine diskrepante und teils distanzierte Anteilnahme, da der Islam nicht als Religion, sondern als kollektive Ideologie erklärt wird. Eine Annäherung an den Faschismus ist dabei wesentlich gewollt, was nicht nur dem genuinen Charakter entgegensteht, sondern auch die notwendige Religionskritik entgleisen lässt.

Der Islam steht im Jahre 2019 für eine Zahl vieler antiaufklärerischer, antidemokratischer und misanthroper Ideologien. Diese Grundannahme wird in allen politischen Lagern aus unterschiedlichen Motivationen geteilt. Anstatt als Wesen der Religion wird es dadurch in allen Spektren und Ebenen politisiert, was sich besonders in der Debatte um das Kopftuch manifestiert. Als patriarchales Instrument zur Unterdrückung der Frau* hat das Kopftuch ursprünglich im Islam eine vorbestimmte Funktion, der Unsichtbarmachung und Objektifizierung des weiblichen Geschlechts. In der westlichen Welt ist es dahingehend zu einem Symbol des Islam als Ganzes geworden, welches in deren Vereinnahmung jedoch radikal zweckentfremdet wird und schlechterdings selbst das narrative Moment übernimmt. Muslimischen Frauen* das Kopftuch verbieten ist gleichermaßen reaktionär wie der Zwang dazu. Die Schlüsselfunktion liegt in der inhärenten strukturellen Darbietung, das heißt, das Kopftuch steht und fällt als zentrale Metapher im Islamismus und der Islamfeindschaft. Diese Problematik erlaubt es gerade nicht, den Islam als Religion wahrzunehmen, da die politische Manifestierung vorbestimmt erscheint. Rechten Islamfeind*innen ist das ein wichtiger Moment, die Aversionen gegenüber Muslim*innen in eine grundsätzliche Feindschaft zu sublimieren, bei der die heterogene muslimische Welt auf eine terroristische Singularität zentriert wird.

Wer sich, wie Ardern, das Kopftuch aufsetze, unterwerfe sich dem Islam und macht sich zum Instrument, wird gerne und häufig verbreitet. Die Konstruktion eines „Islamfaschismus“ ist hierbei gängige Methode, um einzig auf emotionaler Ebene den Hass zu radikalisieren, denn selbst der Da’ish („Islamischer Staat“) ist nicht als faschistisch zu definieren. Der Faschismus ist als Bewegungsideologie eine vulgärbonapartistische Ideologie, die sich primär gegen die Arbeiter*innenbewegung stellt, das Kleinbürgertum befriedet und als Führerideologie auftritt. Als das ist im islamistischen Terrorismus nicht erkennbar. Es ist daher beider maßen gefährlich und falsch, von einem „Islamfaschismus“ zu sprechen. Allerdings zirkuliert diese Konstruktion selbst in linken Kreisen, die sich mit einer „Islamkritik“ schmücken, dabei jedoch primär im gefährlichen Schulterschluss mit Rechten muslimische Menschen in Verantwortung zwingen, sich individuell zu „emanzipieren“. Eine folgerichtige Kritik wäre indes, eine Bewusstseinsbildung im Kontext der religiösen und kulturellen Artikulation anzubieten, um den Islam als Religion der Kritik zu unterwerfen, wie sie auch das Christen- und Judentum erfährt. Frauen* das Kopftuch abzusprechen ist hierbei der denklich falsche Weg, denn eine Emanzipation kann niemals von außen erzwungen erfolgen, sondern einzig durch eine Selbstkritik und Bewusstseinsbildung. Das hierbei gerade das patriarchale Symbol des Kopftuches zu einem Werkzeug der Befreiung werden kann, darf nicht ausgeschlossen werden. Somit ist es alles andere als ein Widerspruch, tragen muslimische Feminist*innen und dem wirklichen Wortsinn nach Islamkritiker*innen das Kopftuch.

Die Feindschaft gegenüber Muslim*innen in der BRD ist längst keine Randposition mehr. Laut der sogenannten „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2016 gaben 35% der Befragten an, sich „wie ein Fremder im eigenen Land“ zu fühlen. Dem ergänzend steht eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes desselben Jahres gegenüber, bei der 64% ein „positives Bild von Muslim*innen“ hätten. Es steht also fest, dass etwa 1/3 der in der BRD Lebenden eine strukturelle Feindschaft gegenüber Muslim*innen teilen und argumentieren. Rassistisch motivierte Straftaten gegenüber Muslim*innen werden allerdings erst seit 2017 gesondert erwähnt, wonach das Bundesministerium des Inneren (BMI) alleine in diesem Jahr 1.075 Taten zählte, wovon mindestens 93% klar von Rechtsradikalen und Rechten verübt wurden. Versteckt wird derlei Feindschaften dabei nicht nur von rechter Seite hinter Begriffen wie „Islamkritik“ und „Islamophobie“. Eine Kritik am Islam steht hierbei jedoch diametral zur kollektiven Feindschaft gegenüber Individuen und scheitert bereits am fehlenden intellektuellen und wissenschaftlichen Anspruch. Selbiges gilt für die „Islamophobie“, die sich laut dem bürgerlichen Politologen Armin Pfahl-Traughber auf „Pauschalisierungen“ münzt und folglich wie eine Art des Rassismus darstellt. Die Grundproblematik widerspiegelt sich in dem Anspruch, den Islam zu kritisieren und der Wirklichkeit, ihn nicht zu verstehen, derweil Anhänger*innen der Religion attackiert, bis hin ermordet werden.

Was bleibt ist die Bekämpfung des Rassismus gegen Muslim*innen in all ihren Facetten. Ein Neofaschist ist für einen Terroranschlag in Neuseeland verantwortlich, bei dem knapp 50 Muslim*innen starben, doch die bürgerliche Restvernunft debattiert darüber, ob eine Premierministerin ein Kopftuch tragen dürfe. Diese Diskursverschiebung zeigt eindeutig den fehlenden Willen und das mangelnde Bewusstsein der eigentlichen Problematik und Gefahr, die sich aufbaut. Die Formel ist hierbei relativ simpel, um Max Horkheimer zu bedienen: Wer aber vom Christentum nicht reden will, sollte auch vom Islam schweigen. Die Wesensverwandtschaft und Gemeinsamkeit der monotheistischen Religionen untereinander ist nur dahingehend nicht mehr erkennbar, da der Islam sowohl von Islamist*innen als auch ihren Feind*innen radikal entwurzelt wurde. Es ist hierbei nicht wegweisend, religiöse Grausamkeiten miteinander aufzurechnen, da die Struktur dessen sich nie verändert hat. Nichtsdestoweniger darf die Kultur der Muslim*innen nicht mit der Religion vermengt werden, was in der heutigen Debatte jedoch viel zu häufig getan wird. Es ist das Kopftuch, das der westlichen Welt ein Problem erscheint, nicht die Religion an sich, und auch nicht der Terrorismus gegen sie. Muslimische Menschen werden sowohl von rechtsradikalen Weißen als auch von Islamist*innen unterdrückt und ermordet. Nicht das Kopftuch gehört verboten, sondern die patriarchale Symbolik dahinter bekämpft. Darauf zu schließen, eine Muslimin wäre unterdrückt, weil sie ein Kopftuch trägt, erfüllt dabei ein rassistisches Narrativ, das leider auch bei vielen Liberalen und Linken anzufinden ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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