Der Mythos Wagenknecht

Politik Sahra Wagenknecht tritt kürzer während SPD und Grüne die Chance für ein Mitte-Links-Bündnis sehen. Dabei war ihnen Wagenknecht näher als sie eingestehen wollen.

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Es kam für alle überraschend. Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag und Gründerin der Sammlungsbewegung „aufstehen“ Sahra Wagenknecht kündigte am Montag an, kürzerzutreten. Sie möchte sowohl bei der anstehenden Wahl zum neuen Vorsitz der Bundestagsfraktion nicht mehr kandidieren als auch die „Führung“ bei „aufstehen“ abgeben. Begründet hat sie es mit gesundheitlichen Problemen, die maßgeblich durch den Faktor Stress ausgelöst wurden. Bereits in den letzten zwei Monaten war es ruhig um sie gewesen. Während Marco Bülow, ehemaliges Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und Mitglied von „aufstehen“ davon selbst erst über die Presse Bescheid kam und in Ruhe zur Entscheidungsfindung für die weitere Entwicklung leitet, kann sein ehemaliger Genosse Ralf Stegner die Nachricht kaum fassen und sieht bereits die Weichen für ein mögliches Rot-Rot-Grün-Bündnis gelegt. Sahra Wagenknecht ist fürwahr eine nicht unwichtige Person für die Linkspartei und deren Geschichte und folglich steht und fällt mit ihr auch ein Mythos, der seit Jahren trotz der personellen und politischen Anpassung durch Wagenknecht aufrechterhalten wird. Als unumstrittene Stimme des linken Flügels wird sie als „sozialistisches Gewissen“ der Partei durch die Medien und Debatten gereicht. Dabei ist aus der einstigen Kommunistin eine im strengsten Sinne populistische Sozialdemokratin geworden.

Sowohl Ralf Stegner als auch Katrin Göring-Eckhart von Bündnis 90/Die Grünen begrüßen die Entscheidung Wagenknechts und appellierten an die Linkspartei, die richtige Richtung einzuschlagen. Wagenknecht wird prioritär mit ihrer Position zur Flüchtlingspolitik assoziiert, die von SPD und Grünen „abschottend“ bezeichnet wird, wobei in diesem Kontext die eigene realpolitischen Taten geflissentlich ignoriert werden. Ihre Haltung hierbei hat selbstverständlich einen nationalistischen Einschlag und opfert den Klassenkampf für einen protektionistischen, der das Argument der bürgerlichen Rechte und Rechtsradikalen, die Sozialsysteme zu entlasten, in ihrem Sinne interpretiert. Das Kokettieren mit dem Nationalismus ist eine folgenschwere Problematik der politischen Linken, wenn der konfrontative Klassenantagonismus dahingehend weiter provoziert wird. Auf diese dem Bürgertum offensichtliche Maßnahme, das herrschende Narrativ zu verteidigen, ist Wagenknecht reingefallen, was sich - und das ist die eigentliche Politik Wagenknechts - in der ökonomischen Aufarbeitung und Lösungsfindung wiederfindet. Die artifiziell hochgehaltene Idealisierung Wagenknechts als Stimme eines linken Flügels wird bei näherer Betrachtung konterkariert und stellt die Frage in den Raum, wem diese Ignoranz letztlich vom Nutzen erscheint.

In den 2000er Jahren war sie durchaus eine Vertreterin einer sozialistischen Richtung der Partei, was sich besonders in ihrer Mitgliedschaft in der Kommunistischen Plattform und dem Gründungsaufruf zur Antikapitalistischen Linken niederschlägt. Bis zur Finanzkrise 2007/2008 stand sie dem Kapitalismus skeptisch gegenüber und forderte die Überwindung in eine sozialistische Gesellschaft. Die Mitgliedschaft bei den Kommunist*innen ruht jedoch seit 2010, was als reaktionäre respektive bürgerliche Emanzipation gewertet werden muss. Wer die Politikerin Sahra Wagenknecht verstehen möchte, kommt an ihrem Werk „Freiheit statt Kapitalismus“, welches 2011 veröffentlicht wurde, nicht vorbei. Das theorielastige Werk konzentriert sich maßgeblich auf zwei Punkte: der starke Staat und die soziale Marktwirtschaft. Unter der Begrifflichkeit „kreativer Sozialismus“ fordert sie ein Rückbesinnen auf Ludwig Erhard und präsentiert sich als Apologetin des Godesberger Parteitages, den die damalige sozialistische SPD 1959 abhielt, um die soziale Marktwirtschaft anzuerkennen. De facto schlägt Wagenknecht ein Godesberg 2.0 vor und sieht die moderne Linke im Kampf für staatssozialdemokratische Maßnahme, die in Umverteilungen und Vermögenssteuern sublimiert werden. Den Bürgerlichen erscheint alleine das als Hort des „Linksextremismus“, dabei ist für Wagenknecht allein dies kein Instrument für eine klassenlose Gesellschaft, sondern die Lösung der Problematik im 21. Jahrhundert.

„Es gibt Marktwirtschaft ohne Kapitalismus und es gibt Sozialismus ohne Planwirtschaft“ schreibt sie in ihrem Buch und öffnet quasi die Tore für ein Bündnis mit SPD und Grünen. Es kommt nicht von ungefähr, dass beispielsweise Peter Gauweiler, Mitglied der alles andere als des Sozialismus verdächtigende Christlich-Sozialen Union (CSU), die Ideen und Vorschläge für diskussionswürdig erachtet. Wagenknecht übernimmt wie die SPD 1959 die Gleichung, dass eine sozialistische Gesellschaft (in diesem Sinne die Schaffung eines wohlhabenden Sozialstaats) mit der Marktwirtschaft (früher hätte man gesagt Kapitalismus) einhergehen muss. Damit ist sie dem Flügel der Reformer*innen weitaus näher als den der Kommunist*innen und Antikapitalist*innen, die den Sozialismus noch als das betrachten, was er originär darstellte: eine postkapitalistische, hiernach auch der Marktwirtschaft versagenden Gesellschaftsordnung. Die Diskrepanz zwischen der öffentlichen Person Wagenknecht und der eigentlichen (theoretischen) Politikerin ist bei näherem Betrachten unübersehbar, doch die öffentliche Debatte und Auseinandersetzung tut sich schwer mit diesem selbst geschaffenen Widerspruch. Selbst die Intention hinter „aufstehen“ ist nichts anderes als der Versuch, eben jenes Bündnis zu schmieden, was sie seit fast einem Jahrzehnt theoretisch stets untermauert. Was ihr im Weg steht ist die Vergangenheit und dass sie das in Worte fasste, was SPD und Grünen schon längst verwirklichen: eine restriktive Flüchtlingspolitik.

Die Ankündigung Wagenknechts, quasi die erste Reihe zu verlassen, aber dennoch politisch mitwirkend zu bleiben, stieß auf ein geteiltes Echo. Sevim Dağdelen, eine Vertraute Wagenknechts, kündigte jüngst an, ebenfalls zurückzutreten, womit eine weitere Vertreterin des linken Flügels eine folgenschwere Entscheidung traf. Stefan Liebich hat indes bereits klar gestellt, dass die Blockadehaltung eindeutig bei SPD liegt, die eine irrationale Angst davor hat, mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten. Der Hauch des (Proto)Sozialismus der DDR scheint nach mehr als zwei Jahrzehnten immer noch spürbar, was zusätzlich den medial erschaffenen Wagenknechtismus schleierhaft am Leben erhält. Sahra Wagenknecht postuliert sozialdemokratische Ideen, wie die des starken Staats und der Akzeptanz der Marktwirtschaft, was eigentlich jeden Sozialdemokraten entzücken müsste. Weil man jedoch das Bild einer linken Vertreterin nicht beliebig austauschen kann, abarbeitet man sich an Wagenknecht und kritisiert Positionen, die in jeder sozialdemokratischen Partei - somit auch in der SPD - zu finden sind. Wagenknecht war nie der Grund für die Blockadehaltung, denn es hätte keine bessere Partnerin gegeben. Die Angst eruierte in der Möglichkeit, das eigene Programm zu verwirklichen, womit die Linkspartei mittelfristig jedoch austauschbar wirkt. Ihr Rückzug muss der Versuch folgen, eindeutig Signale zu senden, die das Projekt einer sozialistischen Partei nicht gefährdet. Sie hat Platz gemacht und die subtile Angst ist den Bürgerlichen bereits zu entnehmen, die durchaus verunsichert sind, ob nicht nun tatsächlich eine linke Vertreterin kommen wird. Der Vorschlag sei erlaubt: Lucy Redler, Sprecherin der Antikapitalistischen Linken, die erst jüngst bei „Hart aber fair“ für konsequente Enteignungen eintrat.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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