Der Schatten des Faschismus

Aufarbeitung Ehemalige Nazis in hohen Ämtern, Verstrickungen in rechten Terrorgruppen, faschistoide Kräfte in der AfD: die BRD ist nach 1945 alles andere als entnazifiziert.

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Im letzten Jahrzehnt scheint die radikale Rechte global auf dem Vormarsch. In Europa wurden sogenannte „Rechtsrucke“ in Ungarn, Polen, Tschechien und Österreich sichtbar. Doch auch mit der Wahl Donald Trumps 2017-2021 in den USA konnte die radikale Rechte sich weiter im politischen Betrieb verankern. Blickt man auf Lateinamerika, kommen einem Staaten wie Brasilien, Chile und Uruguay in dem Sinn. Doch auch in Staaten, in denen die radikale Rechte nicht formal in der Regierung sitzt, gibt es rechte Aufstände bis hin zu Putschversuchen, wie in Venezuela, Nicaragua.
Die BRD ist ebenfalls nicht vor einem Rechtsruck gefeit. Spätestens seit 2015, als die Alternative für Deutschland (AfD) nicht nur den formal liberalen Flügel um Bernd Lucke liquidierte und die Flüchtlingsbewegungen in Europa einen neuen Höhepunkt erlangten, wird von vielen Wissenschaftler*innen, Politiker*innen und Historiker*innen eine neue Dimension beschrieben, die einen neuen Rechtsruck manifestiert. Die Debatte darüber ist größtenteils von einem liberalistischen Standpunkt aus geführt, ähnlich fallen die Lösungsvorschläge aus, die eben jene Rechtsentwicklung abstrahiert vom dialektischen Prozess analysieren. Das heißt konkret, dass der Liberalismus und hiernach auch die kapitalistische Produktionsweise als Garant für einen „liberalen Vulgär-Antifaschismus“ herhalten muss. Das geht bisweilen so weit, dass sich der politische Liberalismus in der BRD, gleich, ob in Darstellung der Freien Demokrat*innen (FDP) oder der Grünen, diese Entwicklung dahingehend zu konterkarieren versucht, in dem strukturell Motive und Erklärungsmuster der radikalen Rechte übernommen werden.

Wenn man über die Rechtsentwicklung in der BRD reden will, kommt man um die AfD nicht herum. Doch anders als Ausdruck und Quelle jener Entwicklung, wie es der Liberalismus versucht zu erklären, steht die Konstituierung der AfD als politischen Akteur als Produkt einer seit 1945 stattfindenden Entwicklung dar, die unweigerlich mit der misslungenen Entnazifizierung einhergeht. Neben der offenkundig faschistischen Partei „Sozialistische Reichspartei“, welche im Oktober 1949 gegründet und drei Jahre später verboten wurde, ist die „Deutsche Partei“ (DP) in den Anfangsjahren der BRD ein nicht unwichtiger Kandidat. Im ersten Deutschen Bundestag war die DP mit der Union und der FDP in einer Regierungskoalition. Sie vertrat ein deutschnationalistisches Profil mit monarchistischen Flügeln und verstand sich darüber hinaus als Sprachrohr für ehemalige Wehrmachtsangehörige. Obwohl sie in der Wählergunst wenige Stimmen auf sich vereinen konnte, bestand ein strategisches Interesse, sie in den politischen Betrieb zu integrieren. Es war eine Reaktion auf die Abzeichnung der Systemkonfrontation und der relativen Stärke der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), die retrospektiv betrachtet in den Wahlen immer nach unten gerechnet wurden. Ab den 1960er Jahren festigte sich der Parlamentarismus dahingehend, dass nur noch die „großen Parteien“ vertreten waren. Das heißt jedoch nicht, dass besonders die Unionsparteien frei von rechtsradikalen Flügeln oder Persönlichkeiten waren.

Vergleicht man beispielsweise Äußerungen von Franz-Josef Strauß von der CSU, sind Unterschiede zu heutigen Äußerungen von AfD-Politiker*innen nur sehr marginal. In einem Spiegel-Interview November 1970 bekundete Strauß beispielsweise: „Ich bin ein Deutschnationaler und fordere bedingungslosen Gehorsam“; und auch die Angriffe gegen die
politische Linke wurden mit vulgären Vokabular begleitet, so 1978 in einem Gespräch mit der Springer-Presse, in dem er von „roten Ratten“ sprach, die zurück in ihrer Löcher sollten. Rechts von ihnen dürfe sich keine weitere Partei etablieren. Um diesem Ziel gerecht zu werden, bleiben entsprechende Prozesse und Entwicklungen unausweichlich. Ein weiterer wichtiger Akteur ist freilich die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), welche aufgrund der Stärke der AfD völlig in die Bedeutungslosigkeit katapultiert wurde. Sie war in den auslaufenden 1960er Jahren eine bedeutende Konstituierung der radikalen Rechte, die den faschistischen Einschlag alles andere als leugnete. Ihre Wahlergebnisse glichen denen der frühen AfD, als sie vor 1990 in allen westdeutschen Ländern einziehen konnte, außer in NRW, Schleswig-Holstein und West-Berlin. In dieser Zeit fiel die Konfrontation der Jugend in den 1968er-Bewegungen und die Radikalisierung der politischen Linken, wohingegen die NPD kein politisches Kapital schlagen konnte. Hiernach fiel sie auch relativ bald aus den Parlamenten, derweil sie nach 1990 besonders in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern an Stimmen gewinnen konnte. In den 1990er Jahren bekundete die NPD auch ihre Zusammenarbeit mit offen faschistischen Kräften, die sie als legitime Strömung im politische Betrieb anerkannten. Die Rolle der NPD respektive ihres außerparlamentarischen Einflusses darf besonders in Hinblick auf des Rechtsterrorismus nicht unterschätzt werden. Die Verzahnung von Kameradschaften und politischen Akteuren in der NPD wurde besonders durch die Auflösung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) deutlich.

Zwischen 2000 und 2007 ermordete der NSU zehn Menschen und verübten viermal so viele Mordversuche. Eine der Vorfeldorganisationen der NSU, der Thüringer Heimatschutz, wurde von Tino Brandt, einem Vorsitzenden der NPD, aufgebaut. Ralf Wohlleben, ein enger Vertrauter von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, war ebenfalls im Landesverband der NPD in Thüringen aktiv. Und um noch eine Personalie zu nennen: David Petereit von der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, spendete für den NSU mit den Worten: „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen. Der Kampf geht weiter.“ Es wäre jedoch falsch zu behaupten, die radikale Rechte würde sich nur in Kleinstparteien und Untergrundorganisationen versammeln. Die Geschichte des Rechtsradikalismus ist keine Neuerscheinung. Es soll hier jetzt genauer darum gehen, inwieweit nach 1945 faschistische Kräfte in den bundesrepublikanischen Staatsapparat integriert wurden und bisweilen hohe Ämter zur Verfügung hatte. Der erste Bundeskanzler der BRD, Konrad Adenauer, spielte hierbei eine wesentliche Rolle, der die Integration von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern mit „dreckigem Wasser“ verglich. Man schütte kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines zur Verfügung hat, so das Mantra Adenauers. Es wurde hierbei auch normativ unterschieden zwischen „wirklich üblen Nazielementen“ und jenen Faschist*innen, die den Staatsapparat am Laufen halten müssen. Was genau „üble Nazielemente“ sein sollten, wurde nicht weiter konkretisiert. Der Spielraum war scheinbar ein sehr großer. Konkret: Hans Globke.

Hans Globke wurde nach 1945 ein wichtiger Vertrauter und Stück weit auch Parteitheoretiker der CDU. Er war im engen Kontakt mit Konrad Adenauer und spielte eine essenzielle Rolle für weitere wichtige Entwicklungen in der BRD, darunter die Einrichtung und Ausarbeitung des Inlandsgeheimdiensts, des „Verfassungsschutzes“. Während der faschistischen Diktatur der NSDAP war Globke indes bereits 1933 im Verwaltungsapparat integriert und mitverantwortlich für Gesetze, die die Gleichschaltung vorantreiben sollte. Er spielte eine wesentliche Rolle bei der Erarbeitung von antisemitischen Gesetzen, die die Jüd*innen entrechtete und letztlich dem Terror aussetzte. Er soll darüber hinaus für die Deportation von 20.000 Jüd*innen aus Griechenland verantwortlich gewesen sein. Den Terror, den das faschistische Deutschland nach Griechenland brachte, ist offenkundig und allseits bekannt. Dass er nach 1945 nicht frei des Antisemitismus war, sollte nicht verwundern. 1965 sagte er beispielsweise, dass man die „Macht der Juden“ nach wie vor nicht unterschätzen solle. Die Rolle Globkes während der faschistischen Diktatur war keineswegs unbekannt. Wenn immer sich wer gegen seine Personalie stellte, wurde er von der Regierung gedeckt und in Schutz genommen – sowohl vom Geheimdienst der BRD als auch der US-Amerikaner*innen. Selbst als die israelische Regierung gegen Globke protestierte und eine umfangreiche Aufarbeitung verlangte, weigerte sich Adenauer stur dieser Bitte nachzugehen. Die faschistische Ideologie wurde nach 1945 nie überwunden. Richtig ist mehr, dass sie sich in der BRD unter dem Schutzmantel der herrschenden Klasse und seiner Geheimdienste in Sicherheit wähnen konnte. Das wurde freilich nicht offen nach außen kommuniziert. Dennoch war der Geheimdienst und folglich der deutsche Staat nicht erst seit NSU in rechtsradikalen terroristischen Vereinigungen verankert.

Die sogenannte „Wehrsport Hoffmann“, welche nach dem Führerprinzip aufgebaut war, verstand sich als paramilitärische Gruppe, die „Saalschutz“ für andere rechtsradikale Gruppierungen spielte. Die Verstrickung mit Geheimdienstmitarbeiter sind auch hier bekannt, besonders mit Michael Kühnen. Kühnen war ein bekennender Nationalsozialist, der nach 1945 geboren wurde. Kühnen konterkarierte hiermit das Bild radikal, dass es nach 1945 keine Nazis mehr geben könnte. Auch er baute verschiedene Gruppierungen auf, die sich eher dem Straßer-Flügel nahestehend verstanden. Der Geheimdienst hatte auch zu Kühnen und seinen Verankerungen Kontakt. Ein Bericht beispielsweise enthüllte, dass Kühnen nach Absitzen einer Gefängnisstrafe 1982 von einem PKW des Geheimdienstes des Landes Niedersachsen abgeholt und in seine Heimat Hamburg gebracht hatte. Darauf angesprochen, wie das geschehen konnte, hüllte man sich selbstverständlich in Schweigen und verwies – wie beim NSU-Terror auch – auf bereits vernichtete Akten. Eine weitere große Persönlichkeit in der BRD war Hans Filbinger, Ministerpräsident Baden-Württembergs von 1966 bis 1978. Filbinger wurde kurz nach 1933 bis 1937 Mitglied der SA und wurde danach Mitglied der NSDAP. Als Jurist im deutschen Faschismus war er für die Marine zuständig. In der 1978 ausbrechenden „Filbinger-Affäre“ wurde bekannt, dass er mindestens viermal die Todesstrafe beantragte und/oder verhängte. Nach Rolf Hochhuth, der die Funktion Filbingers im faschistischen Deutschland offenlegte, verbreitete Filbinger nach 1945 in britischer Gefangenschaft ein halbes Jahr weiter Propaganda für den Nationalsozialismus und Hitler. Dass Baden-Württemberg kein gutes Händchen für Ministerpräsidenten hat, zeigt auch Kurt Georg Kiesinger, der vor Filbinger Ministerpräsident war. Er war zwar mehr im Widerstand gegen den faschistischen Terror als Filbinger und sein Eintritt in die NSDAP war keine vollends überzeugende. Dennoch hegte er große Sympathie mit dem Konzept der Volksgemeinschaft der „Revolutionären“, wie er die Faschist*innen nannte.

Die Verankerung von ehemaligen Faschist*innen im Staatsapparat der BRD ist kein Geheimnis mehr. Wenn man den Blick zur heutigen AfD streift, sieht man auch hier viele Mitglieder und Funktionsträger*innen, die Funktionen im Staatsapparat übernehmen oder übernahmen. Sei es Richter*innen, im Polizeiapparat, im Geheimdienst oder im Bildungswesen. Die Kontinuität der Post-1945-Entwicklung ist ungebrochen. Die Krise des Kapitalismus verstärkt diese Entwicklung drastisch. Die staatstragenden Parteien, die zuvor ein inoffizielles Zuhause für Faschist*innen darstelle, sind instabiles Produkt dieser Krise, wovon sich die Bevölkerung keine Hoffnung mehr erhofft. Die Klassenwidersprüche sind Resultat dessen, wovon die radikale Rechte auch profitiert. Doch anders als den Widerspruch anhand der Klassen zu analysieren und entsprechend zu handeln, baut die radikale Rechte auf Volksgemeinschaft und Nationalismus. Migrant*innen, die ebenfalls Teil der proletarischen Klasse sind, werden als Feind*innen bezeichnet, die den sogenannten „sozialen Frieden“ schädigt. Dabei hat die radikale Rechte noch nie ein Interesse daran gehabt, die Hierarchie aufzulösen oder gar das kapitalistische System umzuwerfen. Der Arbeitsfetisch wird dort radikalisiert und der Leistungsgedanke perfektioniert. Schließlich ist aus Sicht der radikalen Rechten aller Couleur der Wert des Lebens anhand seiner Leistung (und Abstammung) zu messen. Auch vermeintlich gesellschaftliche Produktionsweisen stehen im harten Kontrast zu einer wirklich demokratischen Planwirtschaft, in dem die Gemeinheit vollends profitiert. Es ist daher nicht überraschend, dass Kräfte des Kapitals immer dann mit faschistischen Kräften arbeiten, wenn Gefahr besteht, als herrschende Klasse überwunden zu werden. Auch im deutschen Faschismus gab es enge Beziehungen mit Großindustriellen und der Bourgeoisie.

Die radikale Rechte und der Faschismus sind in erster Linie der Feind der Arbeiter*innenklasse und der unterdrückten Bevölkerung. Dahingehend ist auch die Rolle der AfD zu deuten, die den Unmut über die kapitalistische Krise auffängt und vermeintliche Antworten liefert, die jedoch schreiend widersprüchlich erscheint. Da die AfD keine faschistische Partei ist, sondern als pluralistische Kraft der radikalen Rechten zu verstehen ist, gibt es auch unterschiedliche Konzepte. Besonders bekannt ist einerseits ein fehlendes Rentenkonzept, welches durch den marktradikalen Flügel um Meuthen und des völkischen Flügels um Höcke keinen Konsens finden mag. Doch auch die Sozialpolitik sticht hier besonders hervor. Ebenso stehen hier der Marktradikalismus und der völkische Nationalismus als Gegenpole im Zentrum. Diese Zerstrittenheit darf dennoch nicht darüber hinwegsehen, dass die AfD besonders seit 2015 eine permanente Radikalisierung vorantreibt. Der von vielen beschworene „gesellschaftliche Rechtsruck“ ist ein Produkt der Verschiebung des politischen Narratives. Eine zwingende Kausalität ist jedoch zu kritisieren, denn eine Verschiebung des Narratives ist nicht gleichzusetzen mit einem gesellschaftlichen Willen, sondern mehr der Grenze des Sagbaren. Historisch gab es in der BRD schon immer faschistische Ideologien, Parteien und Organisationen, die auch vor Terrorismus nicht halten machen. Ein Erklärungsversuch, der eine Mitschuld an die CDU adressiert, die „nach links“ rückt, wird auch intern in der Partei immer wieder formuliert, was angesichts der strukturellen Radikalisierung in den Unionsparteien ein wenig konterkariert wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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