Der Tag danach

Frauenbefreiung Einmal im Jahr wird der Frauenkampftag begangen. Um die Frau vom Mann zu befreien, muss der 8. März allerdings 365 Tage im Jahr stattfinden.

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Am gestrigen Tag fand der Internationale Frauenkampftag statt. Er soll an die Kämpfe der Frauen im patriarchalen System behandeln und aufzeigen, dass die Frau nach wie vor unterdrückt ist – sowohl vom System als auch vom Mann. Bürgerliche und Liberale schreiben dem Tag einen eher symbolträchtigen Status zu: der Feminismus, wie sie ihn verstehen, besteht in der Beibehaltung des neoliberalen Konkurrenzkampfes und sieht die Gleichheit der Geschlechter in diesem eng gesetzten Rahmen. Frauen in Führungspositionen und elementare bürgerliche Grundrechte markieren hier die Verwirklichung des „Frauenkampfes“, die dann mit Blumen oder der Anerkennung „belohnt“ werden, eben eine Frau zu sein. Das hier gerade das misogyne Narrativ weiter bedient wird, nur in einer positiven Umkehrung, stellt kein Novum dar, sondern ist unmittelbare Konsequenz der Vereinnahmung eines Tages, der seiner Grundintention weitaus mehr war, als die Gleichstellung der Geschlechter. Dass sich nach dem 8. März nichts ändert und das patriarchale System weiterbesteht, macht den Frauenkampftag nicht zu einem Feiertag, sondern einer Erinnerung und Notwendigkeit zugleich, diesen Kampf an allen Tagen des Jahres weiterzuführen und besonders die bürgerliche und liberale Deutungshoheit zu brechen.

Dass der gestrige Tag auf eine Initiative der Arbeiter*innenbewegungzurückgeht, zeigt denn klassenpolitischen Charakter des Tages. 1910 von der Sozialistischen Fraueninternationale ausgerufen und 1921 von Kommunist*innen am 8. März fixiert ist der Frauenkampftag Teil des grundsätzlichen Kampfes zur Befreiung des Menschen durch den Menschen selbst. Der Kapitalismus trennt die Gesellschaft nicht anhand der Geschlechter, sondern der Klassenzugehörigkeit. Der Feminismus ist dabei immer an eine Klasse gebunden und kann – wenn er die Systemfrage nicht stellt – zur eigentlichen Befreiung der Frau wenig beitragen. Dass Frauen in Führungspositionen gelangen und dadurch andere Frauen ausbeuten können, kann keine ernsthafte feministische Forderung sein. Besonders die lohnabhängige Frau ist ökonomisch und politisch doppelt unterdrückt: erst in ihrer Funktion als Arbeiterin und als Frau. Arbeitende Frauen verdienen weniger bei gleicher Qualifikation im Gegensatz zu arbeitenden Männern. Durch die heteronormativ zugeteilte gesellschaftliche Rolle als Frau wird ihr auch die Reproduktionsarbeit zugetragen, die keine Entlohnung findet. Dem zusätzlich ist sie der Gefahr ausgesetzt, sexistische und frauenverachtende Gewalt in jeglicher Form zu erfahren. Diese Gewalt betrifft dabei alle Frauen, nicht nur der lohnabhängigen.

Doch um sowohl die ökonomische als auch sexuelle Gewalt für alle zu überwinden, muss die Befreiung der Frau vom Mann auch die Befreiung vom herrschenden System sein. Sexismus und Frauenverachtung entsteht nicht in einem individualistisch luftleerem Raum, sondern ist Produkt einer gesellschaftlichen Entwicklung, die weit in die Vergangenheit des Menschheitsgeschlechts zurückreicht. Die Entstehung des Patriarchats geht nahtlos einher mit der Sesshaftwerdung des Menschen und der Bildung von hierarchischen Gesellschaften, deren ökonomische Entwicklung zur Produktion über den Eigenbedarf führte. Die Unterdrückung respektive Autorität des Mannes über die Frau ist mit der Entwicklung des Privateigentums an Produkten und Produktionsmitteln geknüpft. Die Kämpfe in der heutigen Zeit können die Frau in ihrer Vielschichtigkeit daher nur zu diesem Punkt befreien, als dass es im Unterdrückungsapparats des Staates gemäß der Klassen zur Gleichstellung kommen kann. In Armut geborene Frauen werden in einer bürgerlichen Gesellschaft nie dieselben Möglichkeiten haben wie eine in Reichtum geborene Frau. Will der Feminismus diese ökonomische Tragweite nicht anerkennen, ist er in seinem Kampf eingeschränkt, das hochgesteckte Ziel zu erreichen. Der herrschenden Klasse ist dies mehr als bewusst, was die Vereinnahmung des 8. März über die letzten 100 Jahre markiert: geboren als Kampftag der proletarischen Frauen wird er heute als „Weltfrauentag“ verstanden.

Errungenschaften der feministischen Bewegung innerhalb des kapitalistischen Systems sind dabei der stetigen Gefahr unterworfen, wieder einkassiert zu werden. Solange die Mehrheit der Bevölkerung, besonders die Frauen, keine demokratische Kontrolle über das System haben, ist jede Besserung, ob ökonomisch, politisch oder privat, stets unter Vorbehalt und den Schwankungen und Vielschichtigkeiten des bürgerlichen Systems unterworfen. Der Internationale Frauenkampftag muss daher über den 8. März hinausgehen und zum grundsätzlichen Kampf zur Überwindung des herrschenden Systems beitragen, das die Vernichtung des Patriarchat miteinbeziehen muss. Individuelles Reflektieren über eigenes sexistisches und frauenverachtendes Verhalten ist dabei ein wichtiger Schritt das Bewusstsein zu schaffen, die institutionelle und gesellschaftliche Unterdrückung zu bekämpfen. So bleibt der Kampf der Gleichstellung der Geschlechter nicht dort stehen, sondern hat die Vereinigung der Kämpfe zur Folge, die die Befreiung der Frau vom Mann als Grundstein legt, um das patriarchale und kapitalistische Gesellschaftssystem zu überwinden. Der 8. März muss international, kämpferisch und 365 Tage im Jahr stattfinden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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