Die Aufgabe der Linken

Coronavirus Die Linke ist angehalten, den Coronaleugner*innen nicht die Straße zu überlassen. Sowohl die Verschwörungstheorien als auch die Politik der BRD gilt es zu kritisieren.

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Seit Wochen gehen samstäglich Menschen auf die Straße, um gegen die Covid-19-Maßnahmen der Bundesregierung zu protestieren. Die Verteidigung der Grundrechte spielt hierbei nur eine Rolle von vielen, die sich in einem Konglomerat aus verschiedenen verschwörungstheoretischen Konzepten widerfinden. Die sich herauskristallisierende Ideologie der „Hygiene-Demonstrationen“ orientiert sich klar an einer rechten bis rechtsradikalen Politik. Berühmte Personen wie XavierNaidoo oder AttillaHildmann zeigen hierbei deutliche Schnittmengen mit teilweise antisemitisch konnotierten Verschwörungstheorien, in denen Bill und Melinda Gates eine zentrale Rolle zu spielen scheinen. Obwohl die Regierung kritisiert wird, definiert sich die Kritik nicht als eine radikale und von unten systematisierte, sondern bedient sich obskurer Elemente, die in einer verfremdeten Widerstandsnostalgie mündet. Die Maßnahmen werden zwar attackiert, doch nicht die daraus folgenden Konstellationen, will heißen: der libertäre und individualistische Freiheitsgedanke steht primär auf der Agenda. Das Dilemma, was sich hier auftut, ist besonders für die politische Linke brisant: es entwickelt sich eine Bewegung, die die Stimme gegen eine autoritäre Entwicklung des bürgerlichen Staates erhebt, ohne den bürgerlichen Staat und die eigentliche Spaltung in der Gesellschaft zu benennen. Der Mund-Nasen-Schutz, die eingeschränkte Kontaktmöglichkeit und der Mindestabstand von 1,5 Metern stehen neben der Diskussion um einen möglichen Impfstoff zentral bei den „Hygiene-Demonstrationen“. Beziehend auf den Impfstoff wird eine Diktatur herbei fabuliert, die einzig in der eigenen Logik kohärent erscheint. Die brennende Frage, die sich hier stellt, ist: wie agiert und handelt die Linke?

Die politische Linke befindet sich in einer schizophrenen Situation. Das tödliche Coronavirus erfordert, um die Verbreitung bis zur Entwicklung eines Gegenmittels einzudämmen, administrative Maßnahmen, die einer wissenschaftlichen Empfehlung folgen. Die Maskenpflicht und der Mindestabstand sind hierbei keine diktatorischen Tendenzen eines Staates, der seine Bürger*innen unterdrücken möchte, sondern notwendige Maßnahmen, um das Virus beziehungsweise daraus entstehende Komplikationen unter Kontrolle zu halten. Diese formal autoritäre Gewalt steht freilich dem liberalen Freiheitsgedanken diametral entgegen. Die raschen Reaktionen von FDP-Politiker*innen und auch AfD-Politiker*innen, relativ schnell die Maßnahmen zurückzufahren, sind dabei nicht verwunderlich. Die Crux, die sich für die Linke nun auftut, ist die Verteidigung der Maßnahmen des bürgerlichen Staates: es findet ein Protest gegen die Maßnahmen auf der Straße statt, die sich auf die Demokratie und Grundrechte stützt, derweil die Linke in einer Schockstarre verweilt. Mechanisch betrachtet ist das Dilemma der Linken offenkundig: entweder sie schließt sich dem Protest an und nimmt die Negation der wissenschaftlichen Erkenntnis in Kauf oder sie trägt die Einschränkung der Grundrechte mit, der wissenschaftlichen Notwendigkeit.

Dass die Linkspartei aus der Covid-19-Pandemie keinen politischen Profit schlagen konnte verwundert ebenfalls nicht. Als pluralistische Parlamentspartei vereint sie verschiedene Strömungen, die die Krise der politischen (antiparlamentarischen) Linken in den Bundestag trägt. Dass man sich nun in dieser Position findet, ist ein Resultat der jahrzehntelangen kapitalistischen Politik aller Staaten dieser Welt, die während der Pandemie weiter vorangetrieben wird. Denn schlechterdings sind die Verordnungen, die die Coronaleugner*innen als „Maulkorb“ und „Diktatur“ bezeichnen ein Instrument der Privilegierten. Arbeiter*innen, die kein Homeoffice machen können oder es vonseiten der Chefs und Unternehmen nicht in Anspruch nehmen dürfen sind der Willkür der BRD-Politik und des Marktradikalismus ausgeliefert. Das Interesse, sogenannte „systemrelevante Berufe“ dementsprechend zu unterstützen, ist praktisch nicht vorhanden. Während die Automobil-Industrie und die Lufthansa lauthals nach staatlicher Hilfe rufen – und diese auch erhalten –, bleiben die Arbeiter*innen links liegen.

Die Lufthansa wird mit 9 Milliarden Euro Staatshilfe „gerettet“, derweil der Mindestlohn nach einigen Stimmen innerhalb der Union nicht erhöht oder gar gesenkt werden soll. Es sei schlicht kein Geld da, Menschen anständig zu entlohnen. Arbeiter*innen, die von einem einen Sub- oder Subsubunternehmen kommen, haben noch viel weniger Rechte. Die Enthüllung über die katastrophalen Zustände in der Fleischindustrie ist hierbei nur die Spitze des Eisbergs, dass eben nicht alle in einem Boot sind und das Virus eben doch zwischen Menschen unterscheidet. Der Unterschied findet sich im Klassengegensatz wieder, denn selbst die einfachsten und notwendigen Hygiene- und Schutzmaßnahmen werden selten eingehalten. Der Fall des insolventen Spargelbetriebs „Ritter“ in Bornheim offenbart die Unterschiede zwischen den Menschen drastisch. Nicht nur wurde die Auszahlung des Lohns verweigert, auch schien die Verpflegung katastrophal gewesen zu sein. Der Grund ist die ökonomische Krise, die durch die Pandemie verstärkt und offenkundig für alle spürbar wurde. Die linke Frage, wer diese Krise zu zahlen hat, ist dabei eine rhetorische, denn die Abrechnung findet bereits statt: die Arbeitslosigkeit lag im April 2020 bei 3,4 Millionen Menschen und für 10,1 Millionen wurde eine „Anzeige für Kurzarbeit“ erfasst. Selbst die Bundesagentur für Arbeit spricht von der „schwersten Rezession der Nachkriegszeit“.

Doch Schuld ist nicht das Virus, nicht der fehlende Impfstoff. Es ist das Wirtschaftssystem, das sich in der Krise befindet. Bei den „Hygiene-Demonstrationen“ wird das selten bis nicht erwähnt, denn es ist nicht Teil der Agenda. Die politische (radikale) Rechte hat kein Interesse daran, das Wirtschaftssystem zu stürzen. Der nationalistische und rassistische Duktus der „Demonstrationen“ hilft dem arbeitslosen Menschen nicht, der um seine Existenz bangt. Es ist nicht der Mundschutz, der seinen Arbeitsplatz vernichtete, sondern die ökonomische Reaktion der herrschenden Klasse. Um den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn stets in kritischer Begleitung politisch umzusetzen, bedarf es nicht einfach des Kontaktverbots im Freien, wenn im Betrieb und der Industrie dieser geflissentlich ignoriert wird. Das ist der Punkt, an dem die Linke ansetzen muss – und hier muss auch die Konfrontation mit der „Hygiene-Demonstration“ stattfinden. In diesen Reihen befinden sich viele bis dato apolitische Menschen, die den rechten Rattenfängern anheimfallen, da sie oberflächlich zur Verteidigung der Demokratie aufrufen. Und wer will das de facto nicht? Doch es geht hier nicht um den Kampf der Demokratie, sondern dem Kampf, Menschenleben zu retten. Und dem längeren Kampf, den Kapitalismus, der erst diese Situation in der Pandemie ermöglichte, zu überwinden.

Es ist für die politische Linke keine einfache Aufgabe, denn der Kampf findet an zwei Fronten statt. Auf der einen muss den Führer*innen und Sprecher*innen der Coronaleugner*innen wissenschaftlich und bestimmt Paroli geboten werden, die nicht bei der Konfrontation bleibt, sondern die Analyse bereithält, was die wirkliche Gefahr der Maßnahmen ist: die Zerstörung ökonomischer Existenzen von Bürger*innen, die katastrophalen hygienischen Verhältnissen in Betrieben und die erweiterte Ausbeutung von nicht-deutschen Arbeiter*innen. Andererseits muss der bürgerliche Staat mit seinen politischen Entscheidungen kritisiert werden, der sich immer mehr vom wissenschaftlichen Stand distanziert und dabei ein gefährliches Sicherheitsgefühl etabliert. Dass gerade der linke Ministerpräsident aus Thüringen, Bodo Ramelow, diese Diskussion ins Radikale hievt, ist bedauerlich und gefährlich. Er bedient hierbei das klassisch liberale Narrativ, dass die Solidarität des Einzelnen in der Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit sei. Ipso facto will Ramelow den schwedischen Weg einschlagen, der retrospektiv keinen Erfolg zeigte. Der Glaube, Menschen würden ohne Verordnungen den Mindestabstand einhalten, ist und bleibt – ein Glaube.

Man könne ja nun ins Schwimmbad gehen oder abends in der Bar mit Freund*innen abhängen, wird die Rechtfertigung sein, wenn es kein faktisches Verbot mehr gibt. Diese Abwägung bleibt ein wichtiges Anliegen der Linken, welche Einschränkung virologisch sinnvoll erscheint und welche nicht. Die Methodik Ramelows indes ist eine, die die Linke ablehnen und kritisieren muss. Dafür muss sie einen Weg aufzeigen, der das Verhältnis zwischen Freiheit und Einschränkung erklärt und die systematische Gesellschaftskritik formuliert. Die Leugnung des Coronavirus ist hierbei in letzter Konsequent irrelevant, denn die tatsächlichen Spaltungsmaßnahmen der herrschenden Klasse sind real und bereits am Laufen. Um die Deutungshoheit des Kampfes zu gewinnen, gilt es für die politische Linke, den Kontakt mit den Schwächsten der Schwachen und den Ärmsten der Armen zu suchen und die Problematik und Gefahr deutlich und bestimmt nach außen zu formulieren. Dies bedeutet auch, die Straße den Coronaleugner*innen nicht kampflos zu überlassen. Aufklärung darüber, welche Gefahr sich hinter den „Hygiene-Demonstrationen“ birgt sowie Aufklärung darüber, wer die Krise in welcher Intention wirklich zahlen muss, ist die dringende Aufgabe der politischen Linken im Kampf gegen die rechten Coronaleugner*innen und die herrschenden Klasse. Und dieser Kampf – das gilt es nicht zu vergessen – ist nicht vorbei, wenn es einen Impfstoff gibt. Denn dann wird die nächste Stufe beginnen, die sich der Frage widmet, wer zu diesem Stoff Zugang haben wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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