Die Linke und das Kurdistan-Dilemma

Syrien Die Erklärungen der Linken zum Abzug des US-Militärs zeigen das fehlende Konzept eines grundlegenden Lösungsvorschlags in der Region um Rojava. Es fehlt der Mut zum Wort.

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Der Antiimperialismus ist ein genuines Instrument kommunistischer Parteien. Die Linkspartei als faktische und juristische Nachfolgeorganisation der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hatte seit ihrem personellen und programmatischen Wandel in den 1990er Jahren ihre widersprüchliche Müh’ damit. Das liegt einerseits an dem selbst auferlegtem pluralistischem Charakter der Partei, bei der sich sowohl reformistische Sozialdemokrat*innen als auch orthodoxe Kommunist*innen wiederfinden; andererseits hat sich der Imperialismus in seiner Funktion deutlich gewandelt und schreckt nicht davor zurück, opportunistische Zweckbündnisse zu schließen. Der Bürgerkrieg in Syrien, welcher 2011 ausbrach und seither von verschiedenen Staaten aufgrund ökonomischer und geostrategischer Interessen interventionistisch befeuert wird, zwang die Linkspartei mit Hinblick auf das Interesse der dort involvierten Kurd*innen zu einer Positionierung, die die Komplexität hinter der Fassade nach außen trug. Die Äußerungen des US-Präsidenten Donald Trump, sein Militär formal aus der Region abzuziehen, bewirkte nun zweierlei: erstens wird von führenden Politiker*innen wie Alexander S. Neu die Entscheidung unter antiimperialistischen Erwägungen begrüßt, andererseits steht nun die Frage im Raum, inwieweit diese wirkmächtige Folgerung Einfluss auf die selbstverwalteten Regionen Kurdistans - wie Rojava - ausüben wird.

Mit diesem Hintergrund ist niemandem geholfen, eine singuläre, im Kern radikale Position zu vertreten, ohne die dadurch auslösenden, dialektischen Schlüsse zu beachten. Neu, Obmann im Verteidigungsausschusses des Bundestags für die Linksfraktion, betont in einer Stellungnahme vom 21. Dezember 2018, dass die USA keinen zu ignorierenden Einfluss auf die Entwicklung in der Region hat. Trotz dessen merkt er auch an, dass „der Rückzug der USA... ein großes Sicherheitsrisiko für die Kurd*innen in Syrien“ mit sich brächte. Als Lösungsvorschlag fordert er eine nicht näher und detaillierter bestimmte „friedliche Zukunft“, bei der sich Syrien „frei von militärischem Präsenz und politischem Druck durch Drittstaaten“ wähnen muss. Dem von den Bürgerlichen häufig mit moralischem Zeigefinger erhobene Vorwurf, die Linkspartei würde eine dezidiert antiamerikanische, vulgo „russlandfreundliche“ Politik verfolgen, konterkariert Neu damit, dass auch Russland und die Islamische Republik Iran ihre Truppen abziehen sollten. Ähnlich argumentiert der Bundesarbeitskreis Revolutionäre Linke am 22. Dezember 2018, der gemäß seiner politischen Positionierung eine radikalere und direktere Sprache an den Tag legt. Die Selbstverwaltung und das rätedemokratische System gelte es zu verteidigen, gleichzeitig wird eine grundsätzliche Kritik am Imperialismus der Mächtigen geteilt.

Einen etwas anderen Ton verlautet ein Aufruf des reformistischen Flügels forum demokratischer sozialismus (fds) vom 7. Oktober 2014. Hierin wird zwar ebenso eine imperialistische Aggression angekreidet, jedoch mit Hinweis auf die Verteidigung des „demokratischen Experiments der autonomen Kurdengebiete in Syrien“ eine nicht näher definierte „dringende Unterstützung im Kampf gegen die IS-Terrormiliz“ zugesagt. Eine latente Unsicherheit ist in beiden Äußerungen zu finden, da es grundsätzlich vermieden wird, den oberflächlichen Worten einen stringenten Plan zu unterweisen. Ein richtiger und wichtiger Schritt war die Anforderung eines wissenschaftlichen Gutachtens zur derzeitigen Lage, speziell mit Blick auf die Rolle der Türkei. Darin ist ein eindeutiges Urteil zu finden. Anders als die wagen Äußerungen der Bundesregierung, die die Situation „fluide“ bezeichnen, betont die Expertise mit Verweis auf die Haager Landkriegsordnung von 1907 die Türkei als Besatzungsmacht auf syrischem Staatsgebiet. Sevim Dağdelen äußerte daraufhin das skandalöse Verhalten der Bundesregierung des faktischen Schweigens. Doch diese gerechtfertigten Angriffe können latent auch an die eigene Fraktion gerichtet werden. Es wird zwar nicht geschwiegen, doch eine konkrete Vorstellung, wie den Kurd*innen solidarisch geholfen werden kann, bleibt einer ebensolcher schuldig.

Das Lavieren der eigenen Stellung ist auch Ergebnis der offiziellen Politik der Bundesregierung, die eine schizophrene Rolle spielt. Kurdisches Engagement, ungeachtet dessen, in welcher Beziehung es zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) steht, unterliegt einer stetigen Kriminalisierung. Dessen Resultat ist der Verbrüderung mit der Türkei schuldig, die durch militärische Exporte nicht nur islamistische Terrorist*innen bekämpft. Diese Binsenweisheit ist allen Beteiligten bewusst. Dennoch herrscht ein beträchtliches Schweigen über die derzeit herrschende Situation. Die Linke steht in der historischen und gegenwärtigen Pflicht, diesen Widerspruch aufzugreifen und sich nicht zu scheuen, einen betont antiimperialistischen Charakter zu formieren, der sich in seiner materialistischen Funktion stets kritisch selbstreflektieren muss. Etwas, wovon sich die politische Linke in naher Zukunft ebenfalls lösen sollte, ist die Schuldzuweisung politischer Entscheidungen, auf die de facto nur ein theoretischer Beitrag möglich war. Vorwürfe, jemand würde den Tod von Kurd*innen verantworten, weil er*sie den Abzug der US-Streitkräfte befürwortet, ist nichts als blanke Polemik. Zynisch dazu, die keinerlei Nutzen und Mehrwert für weitreichende Diskussionen hat. Die dadurch kolportierten Grabenkämpfe sind mitschuldig an der ohnmächtigen Einheit in der Außendarstellung. Der Krieg in Syrien, doch auch der israelisch-palästinensische Konflikt, zeigt diese unüberbrückbare Naivität, die einen toxischen Beigeschmack hat, mehr als nötig.

Der Abzug des US-Militärs ist nur eine Komponente, die zwar einen Einfluss auf die weitere Entwicklung hat, doch in der Funktion nie dazu gedacht war, eine radikale Wende zu vollziehen. Die Verfestigung der imperialistischen Substrukturen in der Region muss die Linke ebenso wahrnehmen, wie daraus folgende Entwicklungen, die einen Weg zu einer antiimperialistischen Positionierung nicht scheuen darf. Das Vokabular mag angestaubt sein, doch die herrschenden Bedingungen sind nichtsdestoweniger hochaktuell und brandgefährlich. Diesen Fehler der einseitigen und fehlenden dialektischen Auseinandersetzung des Gesamtbildes macht auch Alexander Isele im neuen deutschland. In seinem Artikel vom 26. Dezember 2018 nennt er „linke Kurd*innen, mit denen die USA bisher im Kampf gegen den IS verbündet waren“ als im Stich gelassene Menschen. Fraglich ist hierbei die dezidierte Erwähnung des „Linken“, ohne nähere Betrachtung. Es zeigt einmal mehr die Notwendigkeit des Durchbrechens eines tradierten Schwarz-Weiß-Bildes, das als Nachwehen des Kalten Krieges noch immer im politischen Diskurs jeglicher Couleur sein Unwesen treibt. Die politische Linke wird diesen Krieg nicht durch einseitige Positionen beenden, dennoch ist die Analyse und Entwicklung eines Konzepts der Überwindung dieser dem Kapitalismus entwachsenen Barbarei Priorität, bei gleichzeitiger Bewusstwerdung des klassenpolitischen Standpunktes. Dem zusätzlich sollte das Kürzel „IS“ durch das Wort Daesh ersetzt werden. Denn auch Sprache ist eine Werdung gegenwärtiger Klassenpolitik.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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