Die Partei des Bürgertums

AfD Eine MDR-Moderatorin bezeichnet in einer Wahlsendung eine Koalition zwischen CDU und AfD „bürgerlich“. Der Aufschrei ist groß, doch ungerechtfertigt.

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Es sind bereits einige Tage vergangen, als die MDR-Moderatorin Wiebke Binder während der Wahlsendung des Ersten Deutschen Fernsehen im Gespräch mit Marco Wanderwitz von der Christlich Demokratischen Union (CDU) aus Sachsen eine hypothetische Koalition mit der Alternativen für Deutschland (AfD) „bürgerlich“ nannte. Binnen kurzer Zeit entstand eine Empörung, die sich klar dagegen positionierte, die AfD keine bürgerliche Partei zu nennen. Damit übernehme man das Narrativ der Partei, so der Tenor. Der Begriff des Bürgertums scheint in der Debatte wie der heilige Gral behandelt zu werden, ohne ihn mit Leben zu erwecken. In der BRD und der westlichen Welt ist das Bürgertum die selbsternannte „Mitte der Gesellschaft“, hiernach die Vernunft und liberale Demokratie. Es ist der Zustand, welche als unkritiserbar anerkannt und erstrebenswert gilt. Mit peniblem Verweis auf die Phase der Weimarer Republik wird das Bürgertum stets als Opfer sowohl des Faschismus als auch des Kommunismus gebrandmarkt und faktisch nach dem Zweiten Weltkrieg eine Scheinrealität konstruiert, die nicht nur den Klassenstandpunkt negiert, sondern historische und gesellschaftliche Wurzeln vollends ignoriert. Die Reaktion auf die Aussage ist einerseits ein erklärbarer Schutzmechanismus als auch Produkt einer idealistischen Weigerung der Selbstkonfrontation als Klasse. Wenngleich die AfD keine faschistische Partei ist, so bietet sie dennoch Raum für dahingehenden Tendenz, besonders verankert im „Flügel“ unter Björn Höcke und Andreas Kalbitz.

Um das Bürgertum zu entlasten, wie es politisches Narrativ der herrschenden Klasse ist, gilt es seine soziale Rolle und historische Grundlage völlig zu verzerren. Doch nicht erst seit der Studien über den sogennanten „Extremismus der Mitte“, in denen rechtsradikales Gedankengut in der „Mitte der Gesellschaft“ nachgewiesen wird, steht das Konzept auf wackligen Beinen. Schlechterdings hält die Behauptung auch nicht stand, dass lediglich „Abgehängte“ oder „untere Schichten“ der Gesellschaft für rechtsradikales oder faschistisches Gedankengut anfällig ist. Das gilt sowohl für die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) als auch die AfD. In seiner Studie „Schlaglichter historischer Forschung“ zeichnet der Historiker Peter Borowosky unter dem Kapitel „Wer wählte Hitler und warum?“ akribisch die Wähler*innenschichten und Klassen nach. Basierend auf Arbeiten Jürgen W. Falters und Dirk Hänischs wird die NSDAP unter der Bezeichnung „bürgerlich-protestantisches Lager“ subsumiert. Die Tatsache, dass sich 1933 dennoch 33 % der Arbeiter*innen für die Faschist*innen entschieden entkräftet das Argument hierbei ganz und gar nicht. Borowsky verweist hierbei auf weitere Faktoren, die nicht in dem Wahlverhalten bei den Reichstagswahlen nachgebildet werden können, wie Betriebsratswahlen oder die Wanderung der Klassen.

Die bewusst nach außen kommunizierte Ideologie der Partei stand in einem Widerspruch. Die Stimmen der Arbeitslosen wurden zwar mit Sozialversprechungen mehrheitlich gewonnen, doch bedingt durch die ausgebrochene Weltwirtschaftskrise und die Stärke der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) als Reaktion darauf stellte das Kleinbürgertum eine signifikante Stärke zum Wachstun des deutschen Faschismus dar. In den Jahren 1928–1933 konnte die NSDAP dem bürgerlichen Block am meisten Stimmen durch Wähler*innenwanderung abnehmen, während die Wanderung vom linken Lager einstellig blieb. Der Faschismus gewann seine Stärke und finanzielle Unterstützung größtenteils aufgrund der instabilen Demokratie und der Krise des Kapitalismus aus der „Mitte der Gesellschaft“ und dem Großbürgertum, welche nachweislich die Hitlerfaschist*innen großzügig unterstützte. In der Praxis war die NSDAP eine „mittelständische Sammlungsbewegung“ (Borowsky), die jedoch das Bürgertum politisch enteignete. Diese Verzahnungen sind bis heute omnipräsent und lassen sich nur anhand der klassenantagonistischen Herangehensweise nachzeichnen. Wenn dem Bürgertum droht, die Macht aus den Händen zu fallen, werden Brücken zu faschistoiden Stimmen geschlagen.

Anhand der AfD lässt sich ähnliches nachzeichnen. Bei der Landtagswahl in Sachsen beispielsweise teilt sich die Partei mit der CDU in etwa die Stimmenanteile bei Angestellten und Selbstständigen. Zusammen kämen sie auf knapp 60 % der Stimmenanteile, was in etwa dem Bild kurz nach der sogenannten Wiedervereinigung 1994 ähnelt. Dort kam die CDU ebenfalls auf fast 60 %. Das Klein- und Großbürgertum reagiert in Zeiten der Krise mit entsprechend radikalen Forderungen und konnte diese trotz des sehr rechten Landesverbandes der CDU in Sachsen durch die AfD formuliert bekommen. Die überdurchschnittlichen Stimmenanteile von Arbeiter*innen für die AfD stehen im selben Kontrast wie damals bei der NSDAP. Mit Versprechungen in der Sozialpolitik wird eine vermeintliche Alternative in der Krise des Kapitalismus versprochen, die bei näherer Betrachtung jedoch ein Angriff auf das Proletariat darstellt. Anders als während der Weimarer Republik existiert jedoch keine konsequent linke Alternative wie einst die KPD, welche klassenbewusste Arbeiter*innen ansprechen könnte. Hiernach könnte sich die Stimmabgabe an die AfD erklären. Die Linkspartei wird schon längst als Teil der herrschenden Klasse wahrgenommen.

Die Basis des Kleinbürgertums, hiernach als Angestellte und Selbstständige, stellen die Wurzel der AfD dar. Durch die permanente Stärkung des radikalen „Flügels“ wird eine Wiederholung historischer Tatsache immer wahrscheinlicher. Es geht bei Kalbitz gar nicht mehr darum, ob er Tendenzen zum Faschismus und Rechtsradikalismus hat oder nicht. Diese Erkenntnis wird mittlerweile als gesetzt hingenommen und wird von der Basis nicht mehr als hinderlich angesehen. Anders als in Weimarer scheint es jedoch noch eine bürgerliche Wehrfunktion zu geben, die versucht, ihrer eigenen Radikalisierung Einhalt zu gebieten. Doch die Wahlerfolge der AfD versprechen eine düstere Zukunft. „Der Extremismus der Mitte hat nun in Deutschland wieder eine Partei“, resümiert Ulrich Gutmair in der taz. Es ist das Bürgertum, dass die AfD einst als EU-kritische Vereinigung ins Leben rief und nach mehrerer Ausschlüsse sich kontinuierlich weiter radikalisierte. Unter diesem Blickwinkel erscheinen hohe Spenden wie des Großunternehmers August von Finck – welcher zuvor die Freie Demokratische Partei (FDP) finanzierte – nicht mehr verwunderlich. Binders Äußerungen, ob eine „bürgerliche Koalition“ zwischen CDU und AfD möglich wäre, wurde zwar flugs zurückgewiesen, denn „eine bürgerliche Koalition [ist] mit der AfD nicht möglich“, so Wanderwitz. Doch die Empörung ist völlig artifiziell. Eine Koalition mag unter diesen Voraussetzungen als noch haltender Schutzapparat nicht funktionieren. Doch bürgerlich wäre sie allemal. Denn die AfD ist ein Produkt des Bürgertums.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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