(kein) Aufbruch am Bodensee

Oberbürgermeisterwahl In Konstanz fand eine halbe Revolution statt: nur wenige Prozentpunkte trennen den linken Kandidaten Luigi Pantisano vom amtierenden Ulrich Burchardt.

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Beinahe wäre es geschehen und Konstanz hätte einen linken Oberbürgermeister bekommen. Nach der ersten Wahl vom 27. September 2020 standen die Chancen tatsächlich nicht schlecht. Neben dem amtierenden (und nun wieder gewählten) Ulrich Burchardt stellten sich der Unternehmer Andreas Matt, der Rechtsanwalt Andreas Hennemann, der selbsterklärte „sozialliberale Anarchist“ Jury Martin und der Städteplaner Luigi Pantisano auf. Während Matt, Hennemann und Martin zusammen auf 24,6 % kamen, lieferten sich Burchardt und Pantisano ein knappes Rennen. Am Ende reichte es nicht für die notwendige absolute Mehrheit, doch Pantisano führte mit 38,3 %. Burchardt erhielt 35,8 %. Alleine dieses Ergebnis offenbarte eine Entwicklung in der Region, wonach der bürgerliche Status quo nicht mehr verteidigt werden möchte. Besonders Konstanz steht in einem sozialen Spannungsfeld. Wohnraum, besonders für Student*innen, ist kaum bezahlbar. Dieses Thema als auch die Klimapolitik prägten hierbei den Wahlkampf. Das Ergebnis vom vergangenen Sonntag, dem 18. Oktober 2020, verdeutlichte die gesellschaftlich-politische Spaltung: mit einem Endergebnis von 49,5 % gewann zwar Burchardt die Wiederwahl. Luigi Pantisano, der linke Gegenkandidat, kam jedoch auf 45,1 %, was den Unterschied letztlich nicht sonderlich groß macht.

Normalerweise stehen Wahlen von Oberbürgermeister*innen nicht zentral in der bundesweiten Berichterstattung. Besonders nicht bei Orten wie Konstanz. Doch die vergangenen Monate und der außerordentlich überraschende erste Wahlgang sorgten über den Landkreis hinaus für Interesse. Geschuldet ist das Luigi Pantisano, um dessen Person und Politik sich in den letzten Wochen und Monaten das mediale Echo drehte. Pantisano ist nicht neu in der Politik, sondern sitzt seit 2016 für das Parteienbündnis Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS) in der Landeshauptstadt Baden-Württembergs im Parlament. Darüber hinaus arbeitete er für Bernd Riexinger, Parteichef der Linkspartei, was ihn dazu bewegte, ebenfalls der Partei beizutreten. Neben der parlamentarischen Arbeit setzt Pantisano auf außerparlamentarische Initiativen, die sich besonders in der Wohnungsfrage niederschlägt. Besonders häufig wurde dabei von einer Hausbesetzung zweier Wohnungen gesprochen, mit denen sich die SÖS solidarisierte, wonach drei der Politiker*innen des Bündnisses, darunter Pantisano, eine Strafanzeige erhielten. Diese politische Aktion im Zusammenhang mit seiner Mitgliedschaft der Linkspartei stieß dabei im konservativen Süden des Bundeslandes auf wenig Gegenliebe der Bürgerlichen.

Dabei spielte eine genuin linke Politik als auch die Parteimitgliedschaft im Wahlkampf Pantisanos keine Rolle. Zentral positionierte er sich als „unabhängiger Kandidat“, der sich als Stadtplaner besonders der Wohnungsnot widmen wollte. In Konstanz als erste Stadt, die den „Klimanotstand“ ausrief, setzte er auch auf ökologische Themen, die besonders den Forderungen der Friday's for Future-Bewegung nahestehen: eine klimaneutrale Stadt bis 2030. Um den Mietwahnsinn der teuersten Stadt für Student*innen zu begegnen, stellte er ein Konzept vor, welches mittelfristig die Mieten senken sollte. Ähnlich wie in Stuttgart baute er während des Wahlkampfs auf außerparlamentarische Initiativen und den direkten Kontakt zu (politisch aktiven) Menschen: neben antirassistischen Demonstrationen trat er auch bei ökologischen Kundgebungen auf sowie beim Protest am 3. und 4. Oktober, als Konstanz im Mittelpunkt der Coronaleugner*innen stand. Die große soziale Revolution wird dadurch zwar nicht erreicht; doch dem politischen Gegner ist das egal, da er besonders in den letzten zwei Monaten mithilfe des rechtsbürgerlichen Lokalblatts „Südkurier“ eine Kampagne gegen den linken Kandidaten startete, die sich nicht selten ein antikommunistisches Narrativ bediente, das an die Zeit vor 1989 erinnerte.

Aus seiner politischen Herkunft wurden Schlagzeilen gebastelt, die besonders den juristischen Aspekt der Hausbesetzung von vor wenigen Jahren betonten und hierbei einen „linken Aktivismus“ subtrahierten, der als Bild einer Untauglichkeit als Oberbürgermeisters fungieren soll. Wenngleich sich Ulrich Burchardt selbst in der Auseinandersetzung mit Pantisano zurückhielt, war seine Partei – die CDU Konstanz – zusammen mit den Bündnispartner*innen FDP und Freie Wähler an vorderster Front dabei, die Linkenfeindlichkeit zu personalisieren. Besonders in den sogenannten „sozialen Netzwerken“ entstand eine kumulative Radikalisierung in der vermeintlichen Anonymität, in der abstrahierend der politischen Herkunft eine „linke Diktatur“ herbei gewarnt wurde und man sich bei Pantisanos Wahl bereits auf der Flucht befände, Konstanz zu verlassen. Diese Beispiele spiegeln freilich nicht die Gesellschaft wider, zeigen allerdings deutlich auf, was für ein Echo ein reformistischer Linker in einem erzkonservativen Land wie Baden-Württemberg ausrichten kann. Die politische Linke is bis heute besonders im Westen der BRD nach wie vor das Schreckgespenst der reaktionären Bürgerlichen, die hinter jeder Reform die Ausrufung der Diktatur des Proletariats vermuten.

Nicht nur lokale Blätter, auch der Hamburger SPIEGEL widmete Luigi Pantisano einen Artikel und bediente wenig verwunderlich ebenfalls ein strukturell antikommunistisches Narrativ, das eine vermeintliche Unvereinbarkeit eines Linken in einem reaktionären Konglomerat postuliert. Dabei ist die Gesellschaft, besonders in diesem Jahr, radikal im Wandel und diese historischen und globalen Entwicklungen, die das herrschende System immer zerbrechlicher machen, ist auch strukturell, wenngleich weniger radikal, in Gemeinden und Städten spürbar. Dass ein linker Kandidat in Konstanz beinahe Oberbürgermeister geworden ist, zeigt einen grundsätzlichen Wandel, der mit diesem Datum nicht einfach verschwindet. Wie es Pantisano selbst formulierte, entstand in den letzten Monate eine Bewegung, die sich eine soziale und ökologische Umgestaltung zum Ziel setzt. Dass er nicht Oberbürgermeister wurde, sondern die Stadt weitere acht Jahre von einem CDU-Bürokraten verwaltet wird, heißt nicht den Kampf verloren, sondern etwas zum Ausdruck gebracht zu haben, das in weiteren Teilen der westlichen BRD Schule machen könnte. Neben der Klimakatastrophe steht besonders die soziale Frage im Raum, die sich in der andauernden Weltwirtschaftskrise immer drängender stellt und letztlich die Klassenfrage nicht außer Acht lassen kann. Luigi Pantisano hat in Konstanz etwas geschafft, was vor wenigen Monaten niemand gewagt hätte zu träumen. Um diese Bewegung nicht im Keim ersticken zu lassen, gilt es jetzt, sie auf die nächste Stufe zu heben um den Kampf für eine wirklich gerechte Gesellschaft zu gewinnen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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