Radikal aus Notwendigkeit

Klimaaktivismus Die „Letzte Generation“ bewarf am Samstag ein Grundgesetz-Denkmal mit Speiseöl und erntete erwartungsgemäß Kritik - auch von der Linkspartei. Dass sich die Klimabewegung immer weiter radikalisiert ist jedoch nicht verwunderlich.

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Der Klimakollaps ist eine der größten Katastrophen der Menschheit im 21. Jahrhundert. Dennoch sind die Maßnahmen, die die bürgerlichen Regierungen verabschieden, mehr als unzureichend und selbst die werden nicht erreicht. Seit wenigen Jahren formiert sich dagegen Widerstand: Die größte Bewegung ist „Friday’s For Future“, die anfänglich eine reformistisch-klimapolitische Agenda verfolgte, doch über die Zeit in verschiedenen Teilen der Welt den Horizont erweiterte und immer deutlicher, wenn auch wenig radikal, den Zusammenhang zwischen dem Kapitalismus und dem Klimakollaps herausstellen. Zwar folgt der Losung „System Change, Not Climate Change“ keine revolutionäre Theorie und Praxis, doch der Verbalradikalismus ist ein Ausdruck der jungen Generation, die mit den Folgen des Kollaps unmittelbar konfrontiert werden, derweil die Akkumulation des Kapitals, die Ausbeutung der Natur und des Menschen sowie ein reaktionärer Rollback in Folge von dreckiger Energie weiter besteht. Dass es nicht beim Verbalradikalismus bleibt, zeigt die „Letzte Generation“, die seit wenigen Monaten im Fokus der klimapolitischen Debatte, doch auch des bürgerlichen Staates, steht.

Dass auf die Forderungen der Klimaschutzbewegung seit Jahren keine Reaktion kommt, führt verständlicherweise nicht nur zu Verdruss, sondern treibt die Radikalisierung voran. „Letzte Generation“ ist dafür bekannt, sich auf die Straßen zu kleben, Kunstwerke mit Tomatensauce zu bewerfen oder wie am Samstag in Berlin das Denkmal „Grundgesetz 49“ mit Speiseöl zu beschmieren. Die Reaktionen auf die letztgenannte Aktion waren erwartungsgemäß negativ. Während der Co-Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, die Aktion nicht nur in Anführungszeichen setzt, sondern auch deren Nutzung anzweifelt, vergleicht sie Michael Roth von der SPD mit der radikalislamistischen Taliban, die ebenfalls „Kunstwerke“ zerstören. Dass mittlerweile auch Sozialdemokrat*innen und Teile der Linkspartei die „Letzte Generation“ so attackieren ist die logische Konsequenz von Vertreter*innen und Verwalter*innen des bürgerlichen Staatsbetriebs, da eine konsequente Klimapolitik nicht nur eine analytische Kritik am Kapitalismus zur Folge hätte, sondern auch die entsprechende Praxis.

Der Aktivismus der „Letzten Generation“ ist in dem Rahmen verständlich, diese Aktionen als Information zu nutzen, um auf den Umstand aufmerksam zu machen, dass die herrschende Klasse blind gegenüber den realen Auswirkungen des Klimakollaps ist, allerdings auf Farbangriffe auf Kunstwerke und Blockaden des Straßenverkehrs unweigerlich reagieren müssen. Dass diese Reaktion negativ ausfällt, ist nicht enttäuschend, sondern konsequent und letztlich ein unweigerlich weiterer Schritt, der den Verbalradikalismus von „Friday’s For Future“ und den Radikalaktivismus von „Letzte Generation“ als Ausdruck der Verzweiflung und Wut in radikale Forderungen übersetzt, die den Hauptfeind der Rettung des Klimas ausmacht: das Kapital und seine bürgerlichen Verwalter*innen. Die „Letzte Generation“ wird mit ihrem Aktivismus die notwendige Umwälzung der bestehenden Verhältnisse nicht einleiten. Und doch ist diese Entwicklung des politischen Bewusstseins ein Prozess, den die junge Klimaschutzbewegung durchmacht, doch dort nicht stehen bleiben darf.

Der Klimakollaps wird im kapitalistischen System nicht aufzuhalten sein. Die junge Klimaschutzbewegung ist der Versuch, im bürgerlichen Rahmen eine Lösung zu suchen. Doch die Illusion wird immer schneller durch die bürgerliche Realpolitik zerstört, was eine Gesellschaftskritik zur Folge hat, die jedoch nicht rein theoretisch bleiben darf. Die akademisch-intellektuelle Befassung mit den bestehenden Verhältnissen innerhalb eines kritischen Diskurses ersetzt nicht die politische Praxis, die die Wut und Verzweiflung der Klimaaktivist*innen in die richtige Richtung leitet muss. Das bedeutet, über die Vereinzelung der Kämpfe hinwegzukommen, um aus der individualistischen Tat Teil einer Massenbewegung zu sein, die den Kampf gegen den Klimakollaps und das kapitalistische System zusammen denkt und entsprechend gemeinsam handelt. Der Skandal ist nicht, dass die „Letzte Generation“ Speiseöl über Denkmale schüttet oder sich auf die Straßen klebt, sondern der ausufernde repressive Charakter des bürgerlichen Staats.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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