Immer wieder Wagenknecht

Konflikt Sahra Wagenknecht kritisiert den Kriegskurs der Grünen und wird innerhalb der Linkspartei scharf attackiert. Es gibt viele Gründe, Wagenknecht zu kritisieren. Dafür, dass sie die Reste des pazifistischen Profils hochhält, jedoch nicht.

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Sahra Wagenknecht und Die Linke - Gerechtfertigte Kritik oder Projektion?
Sahra Wagenknecht und Die Linke - Gerechtfertigte Kritik oder Projektion?

Foto: Sean Gallup / Getty Images

Der Konflikt schlägt eine weitere hohe Welle. Erneut steht Sahra Wagenknecht von der eigenen Partei unter Beschuss. Grund diesmal war ihre aktuelle „Wochenschau“ vom 21. Oktober 2022, die sie seit Ende Januar 2020 unter dem Titel „Bessere Zeiten“ auf ihrem YouTube-Kanal hochlädt und verbreitet. Hauptthema waren Bündnis 90/Die Grünen, die zusammen mit der SPD und der FDP seit letztem Jahr die Bundesregierung stellt. Wagenknecht, die auch in der Linksfraktion sitzt, wird schon seit geraumer Zeit von verschiedenen Seiten sowohl innerhalb als auch außerhalb der Partei kritisiert. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine und dem westlichen Wirtschaftskrieg gegen die Russische Föderation wird sie immer häufiger angegriffen, da sie Friedensverhandlungen und diplomatische Lösungen weiterhin in den Vordergrund stellt sowie die Regierung der BRD einer Kritik unterzieht, die für viele innerhalb der Linkspartei bereits eine rote Linie überschreiten. Anders ist es jedenfalls nicht zu verstehen, weshalb pazifistische oder antimilitaristische Stimmen besonders von der Führung der Linkspartei immer häufiger in eine Ecke gestellt werden, die eine Gleichsetzung mit rechten Forderungen suggeriert. Die scholz’sche „Zeitenwende“ hat die Linkspartei schon längst erreicht, so ist auch ihre Reaktion zu werten, wenn es um die Person Wagenknecht und ihre Forderungen und Ansichten geht.

Ausschlaggebend war die Äußerung, die die ehemalige Kommunistin gleich zu Beginn ihres 22-minütigen Videos tätigte: so seien die Grünen die „gefährlichste Partei“ im Deutschen Bundestag. Diese polemische Aussage sorgt für einen Aufschrei, der die eigentliche Kritik völlig ignoriert und einen weiteren Zerfall eines Diskussionsklimas darstellt, in dem es nicht mehr darum geht, kritisch verschiedene Meinungen und Äußerungen anzuhören und zu debattieren, sondern hoch emotionalisiert in ein Schwarz-Weiß-Schema zu fallen, welches keinen Raum mehr für eine nüchterne Bestandsaufnahme zulässt. Ob die Grünen angesichts der Existenz der AfD, deren faschistischer Flügel besonders stark ist, wirklich die „gefährlichste Partei“ sei, muss unter dem Blickwinkel der aktuellen realpolitischen Möglichkeiten betrachtet werden. Auf Wagenknechts bewusstem Populismus folgt die Einschränkung, dass innerhalb der derzeitigen Regierung die Grünen derjenige Faktor sind, die auf eine weitere Eskalation des Krieges hinarbeiten. Das bedeutet nicht, dass die Grünen mit Faschist*innen der AfD gleichgesetzt werden, sondern es findet eine dialektische Betrachtung statt, die die objektiven Bedingungen mit einbezieht und daraufhin eine Analyse anbietet, die es zu diskutieren gilt. Doch bis zu diesem Schritt kommt man aktuell gar nicht, denn jeder Versuch, sich anzunähern, wird – wie erwähnt – vom emotionalisierten Geschrei niedergemacht.

Dabei ist Kritik an Sahra Wagenknecht sowie ihrer Positionen mehr als gerechtfertigt. So vertritt auch sie keinen Klassenstandpunkt, hat ein nationalorientiertes Wirtschaftsverständnis und fiel in der Vergangenheit immer wieder mit Äußerungen auf, die auf die Diskriminierung von Minderheiten abzielten. Wagenknecht selbst macht keinen Hehl daraus, ein marktwirtschaftliches System zu favorisieren, flankiert von einem (starken) Sozialstaat. Doch daran richtet sich die primäre Kritik derzeit gar nicht. Vielmehr geht es um eine grundsätzliche Entscheidung, wie auf den Ukraine-Krieg und den westlichen Wirtschaftskrieg reagiert werden soll respektive, welche Forderungen man aufstellen kann und muss. Dass die Linkspartei seit Monaten nicht darüber hinaus kommt, nur hier und da für ein paar Entlastungen einzustehen, macht sich dabei im Niedergang ebenso bemerkbar, wie die fortschreitende Abkehr von pazifistischen Forderungen. Mit Hinblick auf den Krieg in all seinen Ausprägungen wird innerhalb der Partei versucht, eine monokausale Erklärung durchzubringen, die Kritik an der westlichen Kriegspolitik zwar nicht verbietet, aber ächtet. Stimmen, in denen Kriegsgegner*innen in die Nähe von Putin gestellt werden oder die extrem vereinfachte und falsche Analyse, die Russische Föderation sei ein faschistisches Regime, werden immer lauter. Kritik an dieser Entwicklung wird auf die Politikerin Wagenknecht projiziert, was zur Folge hat, dass jeder und jede Kritiker*in des derzeitigen Kurses der Linkspartei, in das „Wagenknecht-Lager“ gestellt wird, ungeachtet dessen, ob es überhaupt weitere Gemeinsamkeiten gibt.

Dass die Grünen eine bellizistische Partei sind, ist kein Novum. So waren es auch 1999 Grüne und Sozialdemokrat*innen, die den NATO-Krieg gegen Jugoslawien unterstützten. Doch bei diesem Konflikt geht es gar nicht um Wagenknechts polemische Äußerung, sondern der Vorbereitung einer endgültigen Spaltung sowohl innerhalb der Fraktion als auch der Partei. Es ist in der Linkspartei nicht mehr möglich, einen klassenpolitischen Standpunkt zu vertreten und entsprechende Kritik zu formulieren. Es ist eine barbarische Tragödie, dass die AfD die Funktion innerhalb des Bundestags übernommen hat, Kritik an der Regierung zu äußern. Da sie dies tut, wird die notwendige Kritik von links mit der AfD gleichgesetzt: weil die AfD gegen den Krieg ist, ist also automatisch jeder, der ebenfalls den Krieg ablehnt, nicht besser als die AfD. Diese rhetorische Bankrotterklärung hat die Linkspartei erreicht. Sollte die Spaltung kommen – und es ist nur noch eine Frage derzeit – wird es jedoch nicht bei einem klaren Schnitt bleiben. Das sogenannte „Wagenknecht-Lager“, das stets heraufbeschworen wird, existiert nicht in dieser Form, wie es stets kolportiert wird. Denn Sahra Wagenknechts Kritik ist in einem nationalbürgerlichen Korsett gefangen: ihre punktuell korrekten Analysen täuschen nicht über ihr fehlendes Klassenverständnis hinweg. Hier kann die Partei also nur verlieren: denn weder Wagenknecht und ihre Anhänger*innen noch ihre rechten Kritiker*innen stehen für eine sozialistische Politik im Interesse der Arbeiter*innenklasse.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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