„Linke“ Querdenker*innen?

Betrachtung Der selbsternannte „Marxist“ Ralph T. Niemeyer gilt als „linkes“ Aushängeschild der Querdenker*innen. Dabei steht er in seinen Analysen den Völkischen näher als Marx.

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Verschwörungstheoretiker*innen und Bewegungen, die sich in unterschiedlicher Intensität gegen die Coronamaßnahmen stellen, werden gemeinhin eher dem rechten Spektrum zugeordnet. Die Begründung ist offensichtlich: unter dem Deckmantel der Verteidigung der (bürgerlichen) Demokratie werden autoritäre Denkmuster rezipiert und bedingt durch eine Verharmlosung oder Leugnung der Coronapandemie eine eklektische und reaktionäre „Elitenkritik“ formuliert, die sich in bester Tradition konservativistischer Revolutionsromantik befindet. Dezidiert linke Erklärungsmuster sind in der Öffentlichkeit und Kommunikation nach außen die Seltenheit; Duktus der Querdenker*innen und Verschwörungstheoretiker*innen ist eine Vermengung politischer Ideologien, die ein Narrativ einer „völkischen Erhebung“ bedienen, wonach in vulgaristischer Form die Kritik an den Herrschenden eine inhärente Verteidigung der herrschenden Ideologie ist. Innerhalb der Auseinandersetzung mit den Coronamaßnahmen, der Pandemie und den daran geknüpften ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnissen seit einem Jahr, spielte die politische Linke eine ambivalente Rolle, die sich anfänglich der Ideologie der herrschenden Klasse anbiederte, mittlerweile jedoch in Hinblick auf die soziale und auch ökologische Frage eine eigene Linie auffahren möchte. Die wissenschaftsfeindliche Bewegung der Verschwörungstheoretiker*innen schien nie ein Zuhause für die politische Linke zu sein. Nichtsdestoweniger gibt es Einzelpersonen, die sich in den Reihen der Querdenker*innen wiederfinden, die Plattform bei ihrer Analyse jedoch nicht für eine dringende und notwendige linke Kritik nutzen.

Exemplarisch anhand der Wochenzeitung „Demokratischer Widerstand“ soll das dialektische Zwischenspiel betrachtet werden. In der Ausgabe 38 vom 27. Februar 2021 kommt eine Person zu Wort, die (ehemals) einer linken Tradition angehört: der Journalist Ralph T. Niemeyer. Erstaunlich ist auch, dass in einer polemischen Auseinandersetzung die Coronamaßnahmen und der Staat mit der Dimitroff-Doktrin erklärt wird: eine chauvinistische und imperialistische Terrordiktatur. Niemeyer indes, der sich selbst als „Marxist“ bezeichnet, versucht den Sozialismus als Antwort auf die „Coronadiktatur“ zu rehabilitieren. Das ist insofern interessant, als seit Einführung der Maßnahmen die Entwicklungen in der BRD mit der Deutschen Demokratischen Republik verglichen werden, meist mit Hinweisen auf die Herkunft der Bundeskanzlerin. Der Dissens innerhalb der Querdenker*innen ist hiernach Mitnichten die Einführung des Sozialismus, da sie ihn viel mehr in der heutigen Situation verwirklicht sehen. Die stets postulierte „Freiheit“ und „Demokratie“, die mit pedantischem Hinweis auf das Grundgesetz eingefordert wird, steht in einem unversöhnlichen Gegensatz zu einer tatsächlich sozialistischen Gesellschaft. Wie ist also Niemeyers Polemik zu deuten?

Niemeyer greift in seinem Artikel sowohl die herrschende Klasse an als auch die oppositionellen Strukturen, besonders die Gewerkschaften und die Linkspartei. So erwähnt er auch im selben Atemzug den „imperialistischen Krieg“ der Obama-Administration und die Klimaschutzbewegung „Friday's For Future“. Dass die Gleichsetzungen nur konstruiert sind und bei inhaltlicher Analyse viel mehr einen eklatanten Widerspruch erzwingen müssen, spielt für Niemeyer allerdings keine Rolle. Denn ihm geht es nicht um eine konkrete politische Betrachtungsweise und Formulierung eines Weges, aus der Krise herauszukommen; er vertritt einen opportunistischen Populismus, der das Ziel einer „Querfront“ hat, das heißt der Vereinigung von linker und rechter Politik. Doch hier mag man einen entintellekutalisierten Populismus erblicken, der sich von jeder simplen Argumentation und Gleichung befreit und sich letztlich eines rhetorischen Mittels bedient, der die Leere des Inhalts mit semantischer Wirkmächtigkeit zu vertuschen versucht. Der „Sozialismus“, den Niemeyer versucht zu definieren, ist nichts weiter als ein Konglomerat von Kritiken an bürgerlicher Politik und Verteidigung von bürgerlicher Politik.

Wenn er Oligarchentum und imperialistische Kriegsverbrechen kritisiert, mag der Anschein erwecken, dass dort doch ein linker Journalist seine Gedanken niederschreibt. Doch die Benennung der Kritik ist immer an ihrer Ausgestaltung und Analyse geknüpft, die hier wegfällt. Gleichzeitig ist Niemeyer in bester Gesellschaft der herrschenden Klasse, wenn er einerseits die Klimaschutzbewegung kritisiert oder einen subkutanen Hass auf Arme nicht zu leugnen weiß. Wohin die Reise wirklich hingeht, wird dann deutlich, wenn er den Friedensvertrag nach der „Wiedervereinigung“ infrage stellt und die Mär eines besetzten Landes rezipiert. Unter diesen Prämissen wird auch die vermeintliche linke Kritik des US-Militarismus deutlich, der sich hier in die rechtsautoritäre Ideologie einreiht: Es handelte sich um „Bevormundung“ und „Fußfesseln imperialer Größen“. Der „Sozialismus“, den Niemeyer also versucht zu rehabilitieren, ist in der völkischen Tradition verankert, der sich rein „Deutsch“ versteht. Denn auch das wird Niemeyer nicht müde zu betonen.

Das Manöver, das die Verschwörungspostille „Demokratischer Widerstand“ hier versucht zu fahren, ist nicht der Versuch, linke Meinungen hörbar zu machen; es ist die Entwicklung einer sich kumulativen Radikalisierung, die, dem radikalen Opportunismus geschuldet, „linkes“ Vokabular instrumentalisiert, um eine Ideologie zu verankern, die jeder linken Weltanschauung feindlich gegenübersteht. Es dient als Scharnierfunktion zwischen der völkischen und der bürgerlichen Rechten, die weit über die Impffeindschaft und Coronaleugnung hinausgeht. Doch ein weiteres Merkmal kommt hier zum Vorschein: durch diese Übernahme und Selbstbezeichnung als „Sozialisten“ einiger Autor*innen wird der Kampf einer Deutungshoheit gefochten, der sich Antifaschist*innen und Antikapitalist*innen stellen müssen. Eben dem Umstand geschuldet, dass Querdenker*innen vom „(völkischen) Sozialismus“ schreiben macht es der herrschenden Klasse mehr als einfach, die sozialistische Linke mit den Verschwörungstheoretiker*innen gleichzusetzen. Dabei steht jeder Versuch und jede Idee der Querdenker*innen der herrschenden Ideologie näher als jeder aufrichtigen Kritik. Eine vulgäre „Elitenkritik“ bei völliger Leugnung ökonomischer, politischer und gesellschaftlicher Bedingungen bleibt eine leere Worthülse, jedoch nicht minder gefährlich.

Es handelt sich nach wie vor um eine weit nach rechts offen stehende, heterogene Strömung von divergierende Akteur*innen. Ihre Ideologie ist fragmentarisch und nimmt Anleihen an verschiedenen konservativistischen Strömungen, die den Status Quo als inhärentes System aufrechterhalten möchten. Ihr Angriffspunkt ist der sterbende Liberalismus; ihr Lösungsvorschlag ein erzreaktionärer Rollback. Die Nähe zu protofaschistischen Ideen ist da nur folgerichtig und hiernach auch für „sozialistische“ Ideen erklärbar. Es ist daher unabdingbar, die Kritik am herrschenden System des Kapitalismus im Endstadium von Versuchen wie Niemeyers abzugrenzen und für eine Überwindung der bestehenden Verhältnisse einzutreten. Für die politische Linke können Querdenker*innen jeglicher Couleur keine Partner*innen sein, ganz im Gegenteil. Und wenn Niemeyer in seinen Schlussworten schreibt, er er sei „als Marxist … für eine … soziale, friedliche und antifaschistische Verfassung“ ist das nicht nur Beleidigung für aufrichtige Marxist*innen und Antifaschist*innen, sondern auch eine erneute Bestätigung der IngazioSilone in den Mund gelegten Worte, wonach der Faschismus als Antifaschismus zurückkehren würde.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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