Nur ein kleines bisschen Streik

Arbeitskampf Der Streik der EVG ist in seiner ökonomischen Ausprägung streng begrenzt. Die Illegalisierung des politischen Streiks verhindert jedoch die Durchsetzung der Arbeitenden.

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Am gestrigen Montag, den 10. Dezember 2018, zog die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) in den Warnstreik. Vorausgegangen waren gescheiterte Verhandlungen mit der Deutschen Bahn AG (DB AG) um eine Lohnerhöhung von 3,5% und eine Erhöhung der Vertragslaufzeit um fünf Monate. Zwischen fünf und neun Uhr wurden besonders Stellwerken und Werkstätten bestreikt, derweil der Fernverkehr, speziell in Bayern und Nordrhein-Westfalen, größtenteils ausfiel. Die EVG betonte mehrmals, dass die DB AG Angebote unter den Forderungen verbreitete, womit sie willentlich den Streik in kauf nahmen. Mittlerweile begab sich die EVG zurück an den Verhandlungstisch und lässt die obligatorische Frage im Raum stehen, in welcher Konsequenz sich der Streik befindet. Der ökonomische Streik, wie ihn auch die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) bei Amazon und der Charité betreibt, ist seiner Substanz nach als sozialpartnerschaftlicher Verbündeter der Arbeitgeber*innen ein Hemmnis eines grundsätzlichen Arbeitskampfes. Der Minimalkonsens der Gewerkschaften verkommt zum Maximalprogramm, in dem sich die Verhandlungen im Rahmen der Wirtschaftsordnung bewegen. De jure ist ihnen auch gar keine andere Möglichkeit gewährt, denn der politische Streik ist in der BRD seit mehr als 60 Jahren illegalisiert.

In den Jahren 1951/1952 formulierte die Bundesregierung unter Konrad Adenauer (Kabinett Adenauer I) das Betriebsverfassungsgesetz. Darin sollte die Funktion, Arbeitsweise und Struktur der Betriebsräte geregelt werden, was die Einflussmöglichkeit und Macht der Gewerkschaften empfindlich einschränken sollte. Demzufolge trat der Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in eine politische Auseinandersetzung mit der Regierung, die im weiteren Verlauf der Ausarbeitung des Gesetzes die Einheit der Gewerkschaften weiter untergraben wollten. Im Mai 1952 rief der DGB zu einem bundesweiten Streik auf, dem sich mehr als eine Millionen Arbeiter*innen anschlossen. Die damalige Industriegewerkschaft Druck und Papier (IG Druck und Papier), die nach einem Zusammenschluss in den 1990er Jahren 2001 in ver.di aufging, demonstrierte am 28. und 29. Mai 1952 in mehreren Zeitungsredaktionen, die das Ausliefern der Presse verhinderte. Trotz des formellen Erfolgs der Arbeitsbesetzung wurde diese Aktion als Angriff auf die Pressefreiheit gewertet, womit auch die fehlenden Sympathien seitens der Journalist*innen mündeten. Resultat dessen war die Entscheidung der Bundesregierung, diese Form des politischen Streiks - den die Gewerkschaften als Kampf gegen die kapitalistische Wirtschaftsordnung verstanden wussten - zu verbieten.

Dieses formale Verbot existiert bis heute und wird von den großen Gewerkschaften penibel eingehalten. Hintergrund dessen war und ist die flexible Auslegung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, in der einerseits die politische Äußerung im Sinne der Meinungsfreiheit garantiert, dieses Recht als Kampfmittel jedoch versagt bleibt. Das Streikrecht der Arbeiter*innen in der BRD erfährt eine Einschränkung, wenn sie den Rahmen des ökonomischen Faktors verlässt, d.h. dem Reformismus eine Absage erteilt. Die Infragestellung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung ist ebenso illegalisiert wie die Forderung nach einer anderen Ordnung. Neben der BRD ist in der Europäischen Union (EU) der politische Streik lediglich in Österreich und Großbritannien untersagt. Diese Diskrepanz lässt sich derzeit auch in den Protesten in Frankreich erblicken, in denen unter anderem eine direkte Forderung der Absetzung Emmanuel Macrons - auch getragen von kämpferischen Gewerkschaften - geäußert werden können. Durch diese Einschränkung wird den deutschen Gewerkschaften ihre eigene Substanz geraubt, als Vertreterinnen der arbeitenden Klasse.

Die Unterscheidung zwischen ökonomischen und politischen Streiks ist dem Wesen nach fließend. Die Gratwanderung ist daher marginal, was die Gewerkschaften jedoch nicht auszunutzen wissen. Neben der Illegalisierung von sogenannten wilden Streiks und Arbeitsboykotten wird Beamt*innen grundsätzlich kein Recht auf Arbeitskampf erteilt, da sie de facto Vertreter*innen des Staates sind. Der daraus resultierende Konflikt schränkt die gewerkschaftliche Einheit drastisch ein, da eine faktische Teilung der proletarischen Klasse stattfindet. Nichtsdestoweniger tun die Gewerkschaften ihr weniges, diesen Umstand an die Tagesordnung zu setzen. Die Aristokratisierung der proletarischen Vertretung anerkennt die herrschende Wirtschaftsordnung und transportiert die Mär eines reformistischen Kapitalismus an die eigenen Mitglieder. Das stellt die Mitglieder vor ein Dilemma, denn über Forderungen wie eingeschränkte Mitbestimmungen oder erhöhter Lohnzahlungen können sie nicht hinausgehen, um die Sozialpartnerschaft der Gewerkschaftsführung nicht zu gefährden. Die Illegalisierung des politischen Streiks gehört ersatzlos gestrichen. Begründet wird das nach wie vor mit dem freien Mandat der Abgeordnete, die von äußerlichen Faktoren nicht in ihrer Meinungsbildung in eine Richtung gezwängt werden dürfen. Andererseits unterliegt diese Bildung den strengen Regeln der kapitalistischen Gesetzen und wird umgekehrt der arbeitenden Bevölkerung aufgezwungen.

Die Gewerkschaften sind in der traditionellen Pflicht, nicht eine Vermittlerrolle zwischen Kapital und Arbeit zu spielen, sondern die direkten Interessen und Forderungen der Arbeiter*innen zu vertreten. Dies muss die Infragestellung der derzeitigen Wirtschaftsordnung beinhalten, andererseits bleiben sie ein manipulatives Instrument der herrschenden Klasse. Der politische und ökonomische Streik ist nicht auseinanderzunehmen, sie bedingen einander, getragen durch die Spontaneität der Massen. Die temporäre Stilllegung des Fernverkehrs am Beispiel der EVG ist derzeit das stärkste Mittel, was eine Gewerkschaft aufbringen kann. Doch dieses Instrument ist geknebelt und eingeschränkt durch Jahrzehnte alte Urteile und schadet im Kern der Gewerkschaft selbst, da sie im Sinne der Sozialpartnerschaft und der Verkrustung der Führung Genießer und Gewinner des Kapitalismus ist. Die Überwindung der Gewerkschaftsbürokratie und die Aufhebung der Illegalisierung des politischen Streiks sind Grundvoraussetzungen für die Möglichkeit eines Arbeitskampfes, der der Regierung gefährlich werden könnte. Doch die herrschende Klasse ist sich dieser Gefahr gewahr und tut alles daran, die Spaltung zu torpedieren, um den Arbeitskampf zu ersticken.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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