Bürgerlicher Revisionismus

Propagandakrieg Seit Wochen wird eifrig daran gearbeitet, die Geschichtsbücher umzuschreiben, flankiert von einem (medialen) Propagandafeuerwerk. Jüngstes Beispiel: die Berliner taz bietet Raum für einen rechtsnationalistischen Geschichtsrevisionismus.

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Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 spielt sich eine „Zeitenwende“ ab, um den Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu zitieren, die sich mittlerweile in ein stark geschichtsrevisionistisches Narrativ entwickelt. Die Bundesregierung ist dabei an erster Stelle mit dabei, zusammen mit den transatlantischen Alliierten alles daranzusetzen, den Krieg für die eigene Ideologie und das eigene Wertesystem zu instrumentalisieren. Nüchterne Analysen oder eine objektiv-historische Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation haben in der heutigen Zeit keinen Platz mehr. Es zählt nur noch ein stark dichotomes Freund-Feind-Denken, welches sich in Kategorien suhlt, die man schon längst für überwunden erklärte. Im Zuge des Tages der Befreiung des Faschismus und des Tages des Sieges am 8. und 9. Mai dieses Jahres war man schon früh eifrig darum bemüht, das Gedenken und die Erinnerung an die faschistische Barbarei und deren Befreiung neu zu interpretieren, respektive dafür Sorge zu tragen, das Geschichtsbild neu aufzurollen. Dass gerade die deutsche Hauptstadt, flankiert von einer rot-grün-roten Regierung, an vielen Stellen an den beiden genannten Tagen das Zeigen von Flaggen der ehemaligen Sowjetunion mit der Begründung kriminalisierten, damit würde man den russischen Krieg befürworten, ist dabei eine Vorhut dessen, was sich in den nächsten Monaten entwickeln wird: Die„Zeitenwende“ ist der direkte Angriff auf jene (politische) Menschen, die sich nicht dem herrschenden Narrativ unterwerfen und bis heute die Vernunft und Analyse verteidigen, um den westlichen Imperialismus und seine rassistische Ideologie zu bekämpfen.

Die Verfolgung linker, antifaschistischer und kommunistischer Ideen hat in der BRD und ihrer Geschichte Tradition. Nicht nur das FDJ- und KPD-Verbot, auch das Verhältnis zur Deutschen Demokratischen Republik und die gegenwärtige Konfrontation mit linken Ideen offenbaren ein weiteres Mal den postfaschistischen Charakter einer Republik, die von grassierendem und antislawischem Rassismus vereinnahmt ist. Dass auch Teile der Linkspartei dieses Spiel mitmachen, sei es durch Denunziation kommunistischer Genoss*innen, Austritten oder dem verbalem Anpöbeln, markiert den absoluten Niedergang einer ehemals sozialistischen Partei, welche wie einst die Sozialdemokratie 1914 die Vaterlandsverteidigung verschlungen hat. Dass die Sowjetunion, ihre Symbole und Flaggen für das Ende der faschistischen Barbarei und für die Befreiung Auschwitz’ stehen, ist heute für die Herrschenden und Regierungssozialist*innen ein Dorn im Auge. Der Vorwurf, Altkommunist*innen würden Putins Russland mit der Sowjetunion in nostalgischer Verbundenheit parallelisieren, wird gerade von den Herrschenden angenommen, in dem der russische Imperialismus mit dem Vielvölkerstaat Sowjetunion gleichgesetzt wird. Dass Stimmen aus der Ukraine eifrig die Propagandatrommel dafür rühren und sondergleichen von der Bundesregierung mit ihren faschistischen Liebeleien hofiert werden, offenbart auch auf medialer Ebene einen Zenit, der dem Propagandakrieg den Weg ebnet.

An vorderster Front zeigt sich abermals die ehemals linksalternative taz.dietageszeitung, welche heute ein bellizistisches Sprachrohr der gehobenen Mittelschicht ist und immer dann an der Stelle ist, wenn es darum geht, Russland zu attackieren. Dass sie nun ihr Medium für einen Leitartikel zur Verfügung stellt, der einen radikal geschichtsrevisionistischen Kurs fährt, ist in der heutigen Zeit keine Verwunderung mehr, denn es geht gar nicht mehr darum, Fakten und Analysten zur Verfügung zu stellen, sondern das Feindbild klar zu konstruieren, um auch den Krieg im Inneren zu fördern. In dem von russischen Dissidenten verfassten Leitartikel wird nicht nur der russische Präsident mit Joseph Stalin gleichgesetzt, es wird auch nonchalant die historische Entwicklung des Zweiten Weltkriegs und deutschen Faschismus auf den Kopf gestellt. Nun waren es nicht die deutschen Faschist*innen, die den Zweiten Weltkrieg begannen, sondern es wird in nahezu faschistischer Erzählung das Bild verbreitet, dass die Sowjetunion unter Stalin der wahre Aggressor war, der für den Faschismus verantwortlich war. Dass in den Kommentaren unter dem Artikel sowohl Putin als auch Stalin als Faschisten bezeichnet, zeigt die propagandistische Entwicklung, wie sie für die bürgerliche Schicht derzeit essenziell ist.

Dieser propagandistische Feldzug nach außen und innen ist einerseits die Etablierung eines imperialistischen Gebildes, welches militaristisch und in jeder Form konfrontativ mit nicht-westlichen Staaten in Erscheinung tritt; und andererseits ist es die Kampfansage ins Innere, an die Opposition im eigenen Land, welche nicht für westliche Interessen und imperialistische Bestrebungen jeglicher Art sterben will. Der Frieden, der Pazifismus und Antimilitarismus wird von allen Seite attackiert, flankiert von bürgerlichen Stimmen, Medien und Politiker*innen, die hinter dem Ruf nach Frieden eine Kolonne Putins sehen und somit nonchalant den Krieg als einzig gangbaren Weg ausmachen. Die bürgerliche Presse und Politiker*innen schreien nach Krieg, und mundtot sollen alle gemacht werden, die sich dagegen aufbauen. Jeder, der die Waffen ruhen lassen möchte und eine diplomatische Lösung fordert, wird als Sympathisant*in der russischen Politik dargestellt, wenn nicht als Freund*in Putins. Dass diese Entwicklung bis tief in die linke (Partei-)Politik stößt, ist eine gefährliche Wende der Ereignisse, die jedoch nur noch als Farce anmutet, denn die Sozialdemokratie, gleich ob in Form der SPD oder Linkspartei, ist in ihrer opportunistischen Ausdehnung nicht (mehr) in der Lage, wahrhaftige Klassenpolitik zu tragen und zu verwirklichen. Man kennt nun keine Parteien mehr, nur noch Deutsche.

Doch Deutsch ist man nur, wenn man das deutsche Interesse nach innen und außen trägt, man gehorsam das Narrativ der Herrschenden rezipiert und es unterlässt, auch nur ansatzweise Kritik zu üben. Der Frieden ist zum Landesverrat mutiert, und Diplomaten, die kein Problem mit ukrainischen Faschist*innen haben, werden hofiert und in ihrer Rage gegen jeden Protest nur weiter unterstützt. Kommunistische Symbole, Symboliken des antifaschistischen Widerstands und das Volk, welches den größten Blutzoll während der faschistischen Barbarei zu zahlen hatte, werden in der Geschichte ausradiert und zu alleinigen Aggressor gebrandmarkt. Der Widerstand gegen diese Entwicklung ist hiernach wichtiger denn je: Die kapitalistisch-bürgerliche Barbarei wird den Krieg nur weiter eskalieren lassen, und Putin ist alles andere als ein Kommunist. Es handelt sich hier um innerimperialistische und geostrategische Konflikte, die sowohl von westlicher als auch russischer Seite torpediert werden. Doch die schwarz-weiße Dichotome hat jede Vernunft verdrängt, hat jedes politische Werkzeug ersetzt. Innenpolitisch ist die größte Verliererin die Linkspartei, welche ihre Existenzberechtigung verloren hat. Wer in den Kanon mit einstimmt, jede Kritik am herrschenden System, mit einem putinschen Faschismus, und hiernach auch mit dem kommunistischen Ideal zu parallelisieren, hat nicht nur jeden politischen Kompass verloren, sondern spielt in der notwendigen Erhebung gegen das herrschende System keine Rolle mehr.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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