Quer nach rechts

Bewegung „Querdenken 711“ behauptet, keine Plattform für rechte Tendenzen zu sein. Ein Blick auf deren Redner*innen und Veröffentlichungen sprechen ein andere Sprache.

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Der 29. August 2020 mit seinem Konglomerat rechter Ideologien und Verschwörungstheorien sowie Sturm auf den Reichstag ist nur wenige Tage her, da sind bereits Vorbereitungen für das nächste Schaulaufen im Gange. Nach Berlin mobilisierte damals besonders „Querdenken 711“ aus Stuttgart, hinter der Michael Ballweg steht. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk beteuerte er nun, entschieden gegen rechtsradikale Einflüsse vorzugehen und konkludierte unter anderem deshalb, am 3. Oktober nicht in Berlin aufzulaufen. Auf Hinweise, dass sich innerhalb seiner Bewegung durchaus rechte Tendenzen wiederfänden, will Ballweg diese jedoch nicht sehen oder subsumiert sie als „persönliche Meinung“, wie im Falle Thomas Bertholds, der dem rechtsradikalen Querfront-Magazin „Compact“ ein Interview gab. „Querdenken 711“ sei nach Ballweg hiernach keine rechte, sondern eine offene Bewegung, in der „alle Positionen“ angehört werden. Trotz der Distanz sowohl zum Rechts- als auch Linksradikalismus finden sich in „Querdenken 711“ mehrheitlich Stimmen und Personen, die klar dem rechten bis rechtsradikalen Spektrum mit seinen Spielarten zu verorten sind. Besonders bei vergangenen Veranstaltungen kamen Menschen zu Wort, deren Ideologie nicht zu missinterpretieren ist, derweil jene Reden zusätzlich auf der Website von „Querdenken 711“ hofiert werden.

Michael Ballweg fungiert in der Bewegung sowohl als vermeintlich vernünftiges Aushängeschild als auch Brückenschlag zu radikaleren Positionen, die die Coronapandemie sowie deren Einschränkungen respektive staatlichen Reaktionen als Anlass instrumentalisieren, eine tief gehende Agenda zu propagieren, die weit über das selbstgesetzte Ziel hinausgehen. Im sogenannten „Manifest“ der Bewegung wird zwar betont, eine „friedliche Bewegung“ zu sein und es wird etwas entkontextualisiert auf Grundrechte verwiesen, die es zu verteidigen gelte. Die nach außen kolportierte Propaganda indes, die auch in Berlin zu hören war, schlägt in ein dezidiert rechtes Narrativ, dessen Radikalisierungsprozess unausgegoren wirkt beziehungsweise sich an verschiedenen Etappen befindet. Der Sprecher der Bewegung beispielsweise, Stephan Bergmann, fiel in den vergangenen Jahren als Verschwörungstheoretiker auf, der auf seinen Konten der „sozialen Netzwerke“ mehrmals rassistisch zwischen Unterschieden von Menschen fabulierte sowie die Mär des „Volkstods der Deutschen“ verbreitete. Noch vor vier Jahren teilte er bereitwillig Inhalte von Reichsbürger*innen und hetzte gegen flüchtende Menschen. Bergmann leugnet heute diese Tatsachen und wirkt dabei nur auf den ersten Blick als Extrembeispiel einer sich „offen“ gebenden Bewegung.

Ein Redner, der am 7. Juni 2020 auftrat, war der Humanmediziner RuedigerDahlke. Er ist auch bekannt als rechtsesoterischer Leugner der Gefährlichkeit der Coronapandemie und bedient das strukturell antisemitische Narrativ einer Verschwörung durch Zwangsimpfung, die derzeit von William Gates forciert werden sollte. Des Weiteren steht er trotz Kritik der „Germanischen Neuen Medizin“ nahe, die auf RykeGeerdHamer zurückzuführen ist. Krankheiten seien nach ihm nur Reaktionen „innerer Konflikte“, die daher schulmedizinisch keiner Behandlung bedürfen. Hamer ist auch für seine antisemitischen Einstellungen bekannt, in der Jüd*innen jede Regierung kontrollieren würden. Eine weitere Person im Kreise „Querdenkens 711“ ist Thorsten Schulte, der ebenfalls am 7. Juni 2020 auf einer Veranstaltung der Stuttgarter*innen auftrat. Auch bekannt als „Silberjunge“ trat der AfD-Sympathisant auch bei Rechtspopulist*innen auf und vertrat antimuslimische Ressentiments. Auch bei seinen Reden und Ideologeme sind typisch verschwörungstheoretische Elemente zu erkennen, so bezeichnete er Bundeskanzlerin als „Marionette“, was ebenfalls eine antisemitische Konnotation nicht zurückweisen lässt.

Am 20. Juni 2020 trat Ernst Wolff bei einer Veranstaltung von „Querdenken 711“ auf, ein finanzpolitischer Journalist, der bekannt ist für stark verkürzte und vulgaristische „Kapitalismuskritik“ am Finanzsystem. Im Zuge der Coronapandemie und der Weltwirtschaftskrise griff er die Weltgesundheitsorganisation (WHO) an und nannte sie „finanzfaschistisch“, der damit ebenfalls einen Nährboden für antisemitische Plattform bietet, wie auch Armin Pfahl-Traughber unterstreicht. Wie diese exemplarischen Redner im Rahmen von „Querdenken 711“ die Distanz Ballwegs von offen rechtsradikalen Einflüssen erklären soll, bleibt dabei ebenso sein Geheimnis wie die Tatsache, dass es letztlich um eine Deutungshoheit im instrumentalisierten Diskurs der Coronapandemie geht. Ballwegs Reaktion, am 3. Oktober 2020 eine Kundgebung in Konstanz am Bodensee zu halten, statt nach Berlin aufzumarschieren, begründet er unter anderem damit, rechtsradikalen Einfluss kleinzuhalten. Damit ist freilich nicht jener seiner eigenen Bewegung zu verstehen, die unter anderem mit ihrem Flugblatt „Corona Fakten: Was Sie vermutlich über Corona noch nicht wissen“ vom 25. August 2020 wissentlich und doch subkutan den Prozess der Verschwörung mittragen.

In jenem Flugblatt wird ebenfalls die WHO angegriffen, welches sich als übergeordnetes „Gesundheitsministeriums“ globalistisch etabliere. Wenngleich weniger radikal formuliertwie Wolff ist die Grundtendenz dieselbe. Wie selbstverständlich wird auch den Impfgegner*innen Futter gegeben, in dem ein selbsternannter „ERFAHRENER IMPFARZT“ (sic!) davon zu berichten weiß, dass unter William Gates eine Impfung zur „Genmanipulation“ führe. Verantwortlich für dieses Flugblatt ist Dirk Hüther, der ebenso vor einer „Manipulation“ der „Mainstreammedien“ warnt. Der „offene“ und „friedliche“ Charakter der Bewegung unterliegt hiernach einem Verständnis, das sich der Eigenzuschreibung gar nicht unterordnen kann. Der Protest gegen Corona-Maßnahmen ist bei „Querdenken 711“ keine ökonomische oder politische Konfrontation mit der Praxis der Herrschenden, sondern ist der Dichotomie eines Weltbilds verfallen, in der die Verschwörung der Leugner*innen auf die herrschende Praxis projiziert wird, als Reaktion darauf jedoch gerade dieses Bild gefordert wird, das heißt die ultimative Kontrolle über den herrschenden Duktus, die die wissenschaftliche Erkenntnis und realpolitische Antwort darauf als Generalangriff auf einen vermeintlich humanistischen Konsens missinterpretiert.

Die Erkenntnis, dass sich also in Berlin größtenteils rechte und verschwörungstheoretische Organisationen und Personen zentral konzentrierten, ist sonach keine. Die Entscheidung, die Kundgebung nach Konstanz zu verlegen, dient dabei nicht der Distanz, sondern der stillschweigenden Einladung tatsächlich internationaler Vernetzung, die besonders französische, schweizerische und österreichische Gleichgesinnte mit einschließt. Die „Menschenkette“ soll hierbei ein friedliches Moment inszenieren, in dem Rechte jeglicher Couleur nicht nur geduldet, sondern explizit erwünscht sein werden, denn die Ideologie von „Querdenken 711“ lässt ob des Pochens auf eine „Offenheit“ keinen anderen Schluss zu, als die Ängste besonders kleinbürgerlicher Schichten mit vulgaristischen Elementen zu unterfüttern, die der eigentlichen Problematik kein fundiertes Werkzeug in die Hand gibt, sondern einen infantilen Elitehass als pseudo-revolutionäres Moment entwirft. Michael Ballweg und seiner Bewegung geht es schlechterdings um die Verteidigung und Festigung der Deutungshoheit über die Kritik an den Corona-Maßnahmen und die Praxis der Herrschenden. Diese Hoheit ist jedoch durchtränkt von strukturell antisemitischen Konnotationen und Elementen, die gleichzeitig radikal antiaufklärerisch und wissenschaftsfeindlich daherkommt.

Der Protest der Corona-Leugner*innen und „Querdenker*innen“ ist kein Protest, der tatsächlich eine ökonomische Kritik formuliert, die benennt, dass die Krisenpolitik auf den Rücken der Ärmsten der Armen und der Arbeiter*innen ausgetragen wird. „Querdenken 711“ hält sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen fest, negiert und leugnet sie und postuliert hiernach eine (vermeintliche) Kritik an Grundrechtseinschränkungen, deren einzige Symbolwirkung der Mund-Nasen-Schutz ist, der stellvertretend für eine vermeintlich autoritäre Unterdrückung dasteht. Das sollte stets im Hinterkopf bleiben, wenn die Bodenseeregion am 3. Oktober 2020 Schauplatz von Protestierenden wird, die eine „Menschenkette gegen Corona“ planen. Der Boden der Vernunft wurde schon längst verlassen, das Gewicht der Verschwörungstheorie hat die Regie übernommenund dieser Charakter ändert sich nicht, selbst wenn Familien mit ihren Kindern auftauchen und meinen, etwas Vernünftiges zu tun.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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