Rosa Luxemburg als Revolutionärin

Geschichte Die jahrzehntelange Idealisierung hat aus Rosa Luxemburg eine demokratische Sozialistin gemacht. Es wird Zeit, sie im historischen und politischen Kontext zu lesen.

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Warum im Jahre 2019 an Rosa Luxemburg erinnern? Die politische Linke in der BRD und Europa steht vor einem Scherbenhaufen. Die traditionellen Sozialdemokratien in Frankreich, Griechenland und Italien haben sich durch ihre Austeritätspolitik selbst zerlegt und in die Bedeutungslosigkeit katapultiert. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) ist auf dem besten Wege dahin, die, sollte sie ihren politischen Kurs nicht radikal ändern, bald um ein zweistelliges Ergebnis kämpfen muss. Die Partei Die Linke, die historisch bedingt das Erbe der SPD antreten wird, ist dabei ebenso am Punkt angelangt, an dem sich die Frage auftut, die Luxemburg bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in den Raum warf: Sozialreform oder Revolution? Die Linkspartei bezieht sich ausdrücklich auf die Revolutionärin, sieht sie als Vordenkerin des im Parteiprogramm verankerten demokratischen Sozialismus und nennt ihre Stiftung nach ihr. Sie erscheint besonders nach dem Zusammenbruch der protosozialistischen Staaten als eine Alternative zum stalinistischen als auch dem bürgerlichen System. Allerdings würde die Marxistin Rosa Luxemburgs die heutige Linkspartei mit derselben Kritik konfrontieren, wie damals vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs es auch mit der SPD geschah.

Vor 148 Jahren erblickte Rosa Luxemburg am 5. März 1871 im polnischen Zamość das Licht der Welt. Trotz des ungeraden Jubiläums ist gerade im Jahre 2019 die Erinnerung an sie unabdingbar, mehr: es gilt, Luxemburg neu, das heißt orthodox zu lesen. Bereits in der Jugend schloss sie sich revolutionären Zirkeln an, die jedoch unter stetiger Verfolgung und Beobachtung standen. Bereits 1889 musste sie das Land verlassen und war maßgeblich an der Bildung der Sozialdemokratischen Partei in Polen und Litauen beteiligt. In dieser Zeit entstand nach dem Tode Friedrich Engels 1895 angestoßen durch Eduard Bernstein die Revisionismusdebatte, welche den Marxismus eklektisch auslegen wollte. Im Zuge dieser Diskussion schaltete sich die junge Luxemburg ein und positionierte sich klar zum revolutionären Flügel der Sozialdemokratie. In ihrem Werk „Sozialreform oder Revolution“ attackiert sie sowohl den Reformismus als auch den Revolutionismus und erläuterte den dialektischen Prozess für den Klassenkampf. „Die gesetzliche Reform und die Revolution sind also nicht verschiedene Methoden des geschichtlichen Fortschritts... sondern verschiedene Momente in der Entwicklung der Klassengesellschaft, die einander ebenso bedingen und ergänzen“, schrieb sie und betonte darüber hinaus auch den antagonistischen Charakter an.

Sie anerkannte die Reform als Instrument für den revolutionären Kampf. Als in Russland die Russische Revolution 1905 ausbrach entwickelte sie die radikaldemokratische Idee der Massenstreiks, die sie als treibende Kraft für einen gesellschaftlichen Umbruch betrachtete, nichtsdestoweniger den Kontrast zwischen Masse und Führer als sich ergänzend betonte. „Und darin liegt eben die eigentliche Werbekraft der deutschen Gewerkschaften“ schrieb sie in „Massenstreik, Partei und Gewerkschaften“ 1906 im Zusammenhang mit der Partei als Vorhut dessen. Allerdings befand sich die SPD in einem Umbruch, der sich immer deutlicher dem Reformismus anbiederte, obgleich Bernstein von Luxemburg und auch Karl Kautsky widerlegt wurden. Kautsky, der den zentristischen Flügel der Partei vertrat, wurde von Luxemburg schon sehr früh für seinen unentschlossenen Kurs und Standpunkt kritisiert, als der russische Revolutionär Wladimir Lenin Kautsky noch als marxistische Koryphäe bezeichnete. Spätestens 1910 wurde der linke Flügel um Luxemburg und Karl Liebknecht parteiintern attackiert, was 1914, als die Sozialdemokratie den Kriegskrediten zustimmte, Luxemburg und Genoss*innen letztlich zur Erkenntnis brachte, dass die Partei verloren war.

1913 analysierte sie wie auch Rudolf Hilferding und Lenin den Kapitalismus und inhärenten Imperialismus in ihrer Schrift „Die Akkumulation des Kapitals“, bei der sie die Monopolisierung der Kartelle und Kapitalist*innen untersuchte und schwerpunktmäßig den Verkehr des Finanzkapitals beleuchtete, was bis heute wenig an Aktualität eingebüßt hat. In der Zeit des Ersten Weltkriegs spaltete sich nicht nur die SPD, es entstand zusammen mit Franz Mehring und Clara Zetkin auch die Spartakusgruppe, die 1918/1919 in der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) aufgehen sollte. Ihr Schwerpunkt war nun in der Agitation gegen den Krieg und die Aufgabe des Proletariats, derweil sie besonders die Entwicklungen 1917 in Russland - als sie im Gefängnis war - verfolgte. Ihre Haltung zu den Bolschewiki sowie die Ermordung und dahingehend fragmentarische Aufarbeitung formte ein Bild von Luxemburg, welches bis heute rezipiert wird.

Sie wird heute als Gegnerin der Diktatur der Bolschewiki bezeichnet, die mit ihrem berühmten „Freiheit“-Zitat selbst bürgerlich-liberale Kräfte dazu bewegt, sie zu zitieren. Doch was verbirgt sich dahinter? Ist der demokratische Sozialismus, wie in die Linkspartei im Namen Luxemburgs vertritt, tatsächlich in ihrem Sinne? Zur Frage der Diktatur hat sie eine eindeutige Meinung, wobei nicht vergessen werden darf, dass im marxistischen Sinn die Diktatur anders betrachtet wird als heute. Ihre Kritik den Bolschewiki galt der Gefahr, dass die Partei mit dem Staate vermengt wird und de facto eine Parteidiktatur etabliert, wie es unter Josef Stalin dann auch tatsächlich geschah. Die Oktoberrevolution und die Auflösung der Nationalversammlung bejahte sie allerdings euphorisch und betonte ausdrücklich die Diktatur des Proletariats. „Aber diese Diktatur muss das Werk der Klasse, und nicht einer kleinen, führenden Minderheit im Namen der Klasse, sein“, womit sie im Einklang mit der bolschewistischen Theorie war. Ihr diskrepantes Verhältnis zu Lenin und den russischen Genoss*innen wurde nach ihrem Tod sowohl von den Reformist*innen als auch den Stalinist*innen instrumentalisiert und im jeweiligen Sinne ausgelegt. Während Stalin abfällig vom „Luxemburgismus“ als Reformismus sprach, wurde sie zur Ikone einer antibolschewistischen Linken.

Doch was bleibt davon tatsächlich übrig? Würde Luxemburg leben, sie hätte die Linkspartei der schonungslosesten Kritik unterworfen, so auch allen Linken, die sie ahistorisch und apolitisch betrachten. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung bezeichnete sie als „herausragende Vertreterin demokratisch-sozialistischen Denkens und Handeln“, ohne auch nur ansatzweise zu definieren, was darunter zu verstehen ist. Der heutige demokratische Sozialismus ist die Versöhnung der Klassen und der Glauben an einer Reform des Kapitalismus. Die Überwindung wird zwar als Fernziel akzeptiert, jedoch mit „demokratischen“ und „friedlichen“ Mitteln. Die Frage der Gewalt ist stets eine dialektische und vom herrschenden Narrativ zu beurteilende. Wer nun Rosa Luxemburg für sich vereinnahmen möchte, muss die ganze Person verstehen: ihr Kampf für die Massen in der Kommunistischen Partei, die Verteidigung des revolutionären Erbes des Marxismus sowie der dringenden Aufgabe, wie in einer parlamentarischen Demokratie gearbeitet werden muss. Nach ihr ist die Rolle der Opposition einer linken Kraft ihr qua definitionem vorgegeben. Für sie war der Sozialismus die Diktatur der Klasse, des Proletariats, und nicht der Sozialstaat in einer Marktwirtschaft. Sie ist fest verankert in der Geschichte der internationalen Arbeiter*innenbewegung und kann davon nicht losgelöst verstanden werden. Rosa Luxemburg war keine demokratische Sozialistin, sondern eine revolutionäre Marxistin.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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