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Mahnung Ein Jahr nach dem Terroranschlag in Hanau hat sich nichts getan. In über 150 Städten fanden Gedenken statt, die erinnerten und mahnten. Ein Blick nach Konstanz.

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Am 19. Februar 2020 wurden FerhatUnvar, HamzaKurtović, SaidNesarHashemi, ViliViorelPăun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, SedatGürbüz und GökhanGültekin Opfer eines rechtsradikalen Terroranschlags in Hanau. Ein Jahr später bleiben Fragen weiterhin ungeklärt als auch die Gefahr einer sich weiter kumulativ radikalisierenden politischen Rechten bestehen. Am Freitag fanden in der BRD mehr als 150 Gedenkveranstaltungen statt. Dort wurden einerseits die Erinnerungen an die ermordeten Menschen hochgehalten, denn „tot sind wir erst, wenn man uns vergisst“, wie SerpilTemizUnvar im Interview mit dem neuen deutschland betonte. Andererseits stand das staatliche Versagen im Vordergrund, welches sich am Tag des Anschlages besonders bemerkbar machte. Neben nicht entgegengenommenen Notrufen und der Übermittlung der Geschehnisse an Behörden der Opfer ist besonders die Kontinuität des Aufklärungswillen erkennbar, der dem Interesse des bürgerlichen Staates dahingehend diametral entgegensteht, den Rechtsradikalismus mit seinen Eigenschaften ernst nehmen zu können. Dass die Polizist*innen den auf der Trage liegenden Etris als Schutzschuld verwendeten, unterstreicht in individualistischem Handeln den strukturellen und kollektiven Rassismus, welcher nicht in der herrschenden Ideologie nur ein Zuhause finden kann.

Neben in Großstädten versammelten sich auch in Konstanz am Bodensee mehr als 100 Menschen zur Erinnerung an den Anschlag. Der Landkreis war in den vergangenen Tagen im medialen Zentrum, als in Singen (Hohentwiel) ein wahrscheinlich jenisches Kind von Polizist*innen rassistisch behandelt und abgeführt wurde. Gleichwohl eine Untersuchung angekündigt wurde, bleiben die stets im Nachhinein wirkenden Motivationen kontraproduktiv, wenn diese nicht als Mittel genutzt werden, auch prophylaktisch zu wirken. Ein Blick auf den faschistischen NSU-Terror macht hiernach wenig Hoffnung, aus den Erfahrungen irgendetwas gelernt zu haben. Der Hinweis auf eine faschistische Kontinuität und das gewollte oder ungewollte staatliche Versagen der Aufklärung wurde mehrmals bei der Kundgebung und Mahnwache am Bodensee unterstrichen. Der Rassismus als mörderische Instrument der herrschenden Klasse sei dabei nur in seiner strukturellen Wirkmächtigkeit zu verstehen, der sowohl die Tat eines Einzelnen wie in Hanau als auch die kollektive Brutalität bei Frontex und dem faktischen Terror gegen flüchtende Menschen an den EU-Grenzen und im Mittelmeer miteinbezieht. Dabei war der Anschlag in Hanau freilich die Tat eines Individuums, doch eingebettet in einem kollektiv agierenden Radikalismus, der den Täter nicht als Einzelfall definieren kann, sondern als agierende Kette in einer mörderischen Maschinerie.

Faschistisches und rassistisches Gedankengut entsteht nicht in einem vakuumleeren Raum, sondern ist Produkt einer sich gesellschaftlich radikalisierenden Schicht. Dass der bürgerliche Staat den Nährboden erst schafft, liegt in seinem Wesen begründet, besonders in kapitalistischen Krisenseiten wie diesen als Verteidigungsmethodik zu entfachen. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn jede Form der Aufklärungsarbeit zu rechtem Terror oder Gedankengut nur soweit eine Motivation erfährt, wie es in den eigenen Spielregeln zu keiner eigenen, unausweichlichen Konfrontation kommt. Die bürgerliche Solidarität ist nur symbolischer Natur, die in Worten all jenes anklagt, wofür sie selbst Verantwortung zeigt und sich daher ein Jahr später in einem nicht zu überhörendem Schweigen präsentiert. Folgerichtig waren auch in Konstanz keine Politiker*innen sicht- und hörbar, sondern migrantische und antifaschistische Gruppen, die den Forderungskatalog der Initiative 19. Februar hochhalten, welcher besonders eine lückenlose Aufklärung beinhaltet.

Erkenntnisse über den Täter und den Hergang gehen maßgeblich auf die Initiative zurück. „Hanau ist überall“ fiel häufig als Mahnung, denn ein „zweites und drittes Hanau“, wie Stimmen der Initiative von sich gaben, ist nicht auszuschließen. Das beginne bei dem strukturell rassistischen Narrativ über „Shisha-Bars“, welche gerade in der bürgerlichen Medienlandschaft verbreitet wird. Dabei sei dies ein Ort der Vielfalt, des Zusammentreffens, aber auch des Rückzugorts von Menschen, die rassistische Erfahrung machen mussten. Die Bar in Hanau steht besonders in der Kritik, weil Notausgänge konsequent geschlossen wurden, um unter anderem Razzien zu erleichtern. „Vom Verfassungsschutz bis Frontex“ finde ein Morden und konsequentes Verletzen von Menschenrechten statt. Um etwas dagegen zu unternehmen werden unabhängige Stellen gefordert, die eine antirassistische Arbeit verrichten, um den objektiven Bedingungen letztlich gerecht zu werden, dass die „deutsche Leitkultur“ ein reaktionäres Gedankengut ist, welches den heterogenen Charakter der Bevölkerung proto-völkisch begegnen möchte.

Nach einem Jahr Terroranschlag in Hanau hat sich relativ wenig getan. Der Rechtsterrorismus ist in der BRD seit Ende des Zweiten Weltkriegs fest verankert, was mit der unzureichenden und rückwärtsgewandten Aufarbeitung der faschistischen Verbrechen unmittelbar zusammenhängt. Wenn Faschist*innen in den höchsten Stellen des Staates arbeiten, im Militär, dem Inlandsgeheimdienst und den Parlamenten sitzen kann von einem konsequenten Kampf gegen den Rassismus durch die staatlichen Institutionen keine Rede sein. Dieser Zusammenhang wurde in Konstanz deutlich, als darauf hingewiesen wurde, dass im Land, die für die Shoa und ein rassistischer Vernichtungskrieg verantwortlich ist, Menschen ermordet werden, die dem völkischen Bild nicht entsprechen. Ob der antisemitische Anschlag in Halle, die Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke oder eben der Terror in Hanau – das Versagen der herrschenden Klasse ist kein Zufall, sondern kohärenter Bestandteil einer Ideologie, die die Ungleichheit der Menschheit zur Präambel macht. Um den rechten Terror in all seinen Facetten zu bekämpfen, kommt man um eine radikale, dass heißt an die Wurzel gehende Analyse der bestehenden Verhältnisse nicht herum. Der politische und ökonomische Antagonismus zwischen den Klassen und Individuen in ihren Ausprägungen wird in der Phase eines sterbenden Kapitalismus umso deutlicher, da mit allen Mitteln versucht wird, ein System aufrechtzuerhalten, dass nicht einmal mehr versucht, die barbarische Maske zu verdecken.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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