Sterbehilfe in Deutschland: Kein Recht auf Sterben

Gesetzentwurf Beide im Bundestag eingereichten Entwürfe zum Thema Sterbehilfe haben keine Mehrheit gefunden. In ihnen beiden spiegelt sich das Interesse eines bürgerlichen Staates wieder. Ein erweitertes Selbstbestimmungsrecht ist so nicht möglich

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Das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben sollte auch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfassen
Das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben sollte auch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfassen

Foto: Theo Heimann/Getty Images

Das selbstbestimmte Sterben wird verschoben – jedenfalls, wenn es nach den deutschen Abgeordneten geht. Im Deutschen Bundestag wurde über zwei Entwürfe diskutiert und abgestimmt, die sich mit einer juristischen Regelung für Sterbehilfe befassten. Der Tatsache geschuldet, dass es sich hier auch um eine ethische Frage handelt, wurde der Fraktionszwang ausgesetzt, wonach parteiübergreifend Entwürfe erarbeitet wurden. Der erste Entwurf von SPD-Politiker Lars Castelluci und CDU-Politiker Ansgar Heveling will eine Liberalisierung der aktuellen Rechtslage an „strengen Hürden“ festmachen. So soll die sogenannte geschäftsmäßige Sterbehilfe unter Strafe gestellt werden. Bei einem Tötungswunsch eines Menschen soll eine weit fassende psychiatrische und psychotherapeutische Begleitung angeordnet werden, die erst nach einem längeren Prozess die Entscheidung des Einzelnen trägt, die Selbsttötung in Anspruch zu nehmen. Interessant ist hierbei, dass psychisch Erkrankte von dieser Regelung vollkommen ausgeschlossen werden. Der zweite Entwurf, bei dem Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) federführend waren, soll das Recht auf Selbsttötung als Straftatbestand völlig streichen. Stattdessen soll ein nicht näher definiertes Beratungsnetz etabliert werden.

Wenngleich die Entwürfe auf den ersten Blick unterschiedlich erscheinen, verfolgen sie dasselbe Ziel: die Einschränkung beziehungsweise Nicht-Ausweitung des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen. Der Castelluci-Heveling-Entwurf will eine bestrafende Maßnahme beibehalten und dem Individuum einen langen Prozess unterwerfen. Die faktische Negation des Selbstbestimmungsrechts wird unter der psychiatrischen Hilfe versteckt, die mittelfristig bestimmte Menschen einer Gruppe aussortieren will, denen das Selbstbestimmungsrecht grundsätzlich verweigert wird. Dieser Entwurf suggeriert, dass es einen Widerspruch zwischen einem umfassenden Selbstbestimmungsrecht und einem beratenden und begleitenden Prozesses gibt. Der hier innewohnende Konservativismus stellt sich dabei gegen den ersten Artikel des Grundgesetzes, der die Würde des Menschen nicht antastet. Die Würde wird hier rein lebensbejahend ausgelegt, die ihre Einschränkung in der Lebensverneinung findet. Die Institutionalisierung dieses Rechts hat nicht nur zur Folge, dass dadurch ein Lebenszwang abstrahiert wird, er treibt jenes Individuum, die sich selbst töten wollen, außerhalb der vermeintlich garantierte Würde und treibt sie in die gesellschaftliche Ächtung. Die bürgerliche Psychiatrie spielt dabei die institutionalisierte Rolle, dieser Ächtung Folge zu leisten, um sie von der Mehrheitsgesellschaft unsichtbar zu machen.

Der zweite Entwurf will zwar den juristischen Anteil negieren, doch auch hier wird ein Netz vorgeschlagen, welches einer näheren Definition bedarf. Daraus lässt sich keine Schlussfolgerung ziehen, wie die ethische Einordnung der Selbsttötung aussieht. Eine Liberalisierung hat erstmal nur zur Folge, dass eine reaktionäre Rechtsgrundlage und Moral erweitert wird, ohne den zwingenden Anspruch zu erheben, das Selbstbestimmungsrecht voll umfassend zu garantieren. Dass sich dadurch kein neues Recht entwickelt, wird nicht zwingend verneint. Eine juridische Entwicklung anhand der herrschenden Moral ist alles andere als auszuschließen, um die Staatsmacht der bürgerlichen Klasse aufrechtzuerhalten. Es darf nicht unterschätzt werden, dass die Herausbildung eines neuen ethischen Grundsatzes vom Staat ohne Reaktion aufgenommen wird, wenn diese Ethik seine Macht selbst zur Frage stellt. Hiernach bleibt die Frage zentral, ob im bürgerlichen Staat mit seiner bürgerlichen Moral das bürgerliche Recht auf Selbstbestimmung über den lebensbejahenden Ansatz überhaupt ermöglicht werden kann. Vielmehr widerspiegelt diese Regelung den Charakter des bürgerlichen Staates, der die Selbsttötung als einen Akt definiert, aus der neoliberalen Norm auszubrechen, das heißt: Wer in der Leistungsgesellschaft nicht überlebt und ab einem bestimmten Punkt auch für das Kapital keine Verwendung mehr findet, dem wird die eingeschränkte Option zugestanden, das Leben zu beenden – aber freilich nur nach den Regeln des bürgerlichen Rechts.

Dass psychisch Erkrankte hierbei aussortiert werden, ist dabei nur konsequent. Hier wird die Würde rezipiert, die es durch den lebensbejahenden Status verbietet, Menschen das Recht auf Selbsttötung zuzugestehen. Psychisch Erkrankte können für das Kapital genau dann eine Funktion erfüllen, wenn sie durch die bürgerliche Psychiatrie so weit „behandelt“ werden, um im Niedriglohnsektor oder Werkstätten, in denen dem Mensch noch mehr das Selbstbestimmungsrecht gestrichen wird, zu arbeiten. Es ist also ersichtlich, dass die moralische Frage nach der Selbsttötung an die wirtschaftliche Frage geknüpft wird beziehungsweise ihr untergeordnet ist. Es ist allerdings absolut wichtig, trotz dieser Erkenntnis, das Individuum, das sich selbst töten will, damit nicht alleine zu lassen. Die bürgerliche Ethik ist dabei jedoch nicht hilfreich, sondern es bedarf eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft, die die demokratische Selbstbestimmung allen Menschen zugesteht. Um dieses Recht zu erwirken, ist das Recht zu Leben unabdingbar. Und freilich ist eine professionelle Hilfe als Begleitung ein wichtiger Ansatzpunkt, um dem Individuum, das sich selbst töten will, die Möglichkeit zu geben, das Leid in Worte zu fassen und idealerweise reflektieren zu können. Doch in letzter Instanz bleibt es die Entscheidung jedes Einzelnen, wie das Leben gestaltet wird. Eine Fremdbestimmung ist die absolute Negation des Menschen als Menschen. Wenn die Menschheit befreit ist und in einer befreiten Gesellschaft lebt, kann sich das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen vollkommen entfalten-mit all seinen Entscheidungen und Konsequenzen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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