Weder Held noch Verräter

Widerstand im Faschismus Claus von Stauffenberg wird nach 75 Jahren immer noch als Held und Widerstandskämpfer behandelt. Dabei schwebte ihm alles andere als ein demokratisches Deutschland vor.

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Am 20. Juli 2019 jährt sich das gescheiterte Attentat auf den faschistischen Diktator Adolf Hitler zum 75. Mal. Für die historische Aufarbeitung und Identität der BRD steht dabei besonders die Figur Claus Graf von Stauffenberg zentral. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete den sogenannten Widerstand als „Vorbild“, der einen Einfluss auf die Entstehung des Grundgesetzes haben könnte. Die „Dunkelheit des Nationalsozialismus“, so Merkel, würde gerade durch diesen „Widerstand“ aufgebrochen. Es scheint mittlerweile Konsens der gesellschaftlichen Dimension in der BRD zu sein, einen „bürgerlichen Antifaschismus“ zu konstruieren, um eine vielschichtige und distanzierte Haltung zum deutschen Faschismus (Nationalsozialismus) beizubehalten. Die Rolle von Stauffenbergs steht hierbei essenziell für den Versuch der herrschenden Klasse, den Faschismus als Ideologie vollends von allen ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Verbindungen zum damaligen Klein- und Großbürgertum zu trennen. Durch die Glorifizierung von von Stauffenberg als zentraler Akteur des „Widerstands“ manifestiert sich das Vorhaben, die Komplexität des Faschismus ahistorisch aufzubrechen. Das Ziel ist die schleichende Wiedererlangung der Deutungshoheit über die Rolle der Deutschen während der Zeit des Faschismus. Doch was verbirgt sich hinter dem Attentat vom 20. Juli 1944 und inwieweit dient er als Identifikation für das postfaschistische Deutschland?

Der militärische Widerstand der deutschen Wehrmacht gegen Adolf Hitler wird von der bürgerlichen Geschichtsschreibung als Zeichen eines antifaschistischen Aufstands gewertet. Das Ziel war die Tötung Adolf Hitlers, um so den verheerenden Weltkrieg zu beenden beziehungsweise in andere Bahnen zu lenken, der das Ziel eines patriotisches Deutschland nicht zu leugnen vermochte. Erste große Spannungen zwischen der Wehrmacht und Adolf Hitlers begannen bereits 1938, als er sich von jenen Köpfen trennte, die sich gegen einen imperialistischen Weltkrieg aussprachen, ohne jedoch ideologische Unstimmigkeiten in sich zu tragen. Claus Graf von Stauffenberg, ein einfacher Offizier der deutschen Wehrmacht, fand bereits in der Weimarer Republik Gefallen am Wesen des deutschen Faschismus und stand der später sogenannten „Konservativen Revolution“ nahe. Diese verstand sich als transformatorischen Prozess, der eine Nähe zum völkischen Nationalismus hatte. Von Stauffenberg war glühender Patriot, dem der Führerkult der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) imponierte. Dabei vertrat er einen „nationalen Sozialismus“, der in etwa dem des sogenannten „linken“ Flügels der NSDAP nahestand.

Aufgrund dessen ergriff er 1932 keine Partei für die monarchistischen Parteien, sondern sprach sich für die Faschist*innen der NSDAP aus. Er selbst war für die Ausbildung neuer SA-Sturmtrupps verantwortlich. Bis zum Überfall auf Polen sind keine maßgeblichen Unstimmigkeiten mit der Politik Hitlers und Himmlers zu sehen. So bejahte er mindestens indirekt den antisemitischen Terror, die Zerschlagung von Gewerkschaften und linken Kräften, die Etablierung des Netzes von Konzentrationslagern, die Propagierung eines krankhaften Maskulinismus sowie die militärisch-propagandistischen Provokationen bis 1939. Den Beginn des Zweiten Weltkriegs bezeichnete von Stauffenberg selbst als „Befreiung“, was als nahtlose Unterstützung der faschistischen Politik zu werten ist. Damit stand er dem deutschen Faschismus erheblich näher als der „Konservativen Revolution“. Obgleich es Historiker*innen gibt, die es verweigern, von Stauffenberg einen Antisemiten zu nennen, belegen seine Kriegsbriefe an Nina von Stauffenberg mehrmals seine antisemitische Grundeinstellung, in denen er sich abfällig über Jüd*innen und „Mischvolk“ äußerte. So ist es Aufgabe einer materialistischen Historik, Äußerungen von Personen stets von den herrschenden Begebenheiten zu werten. Selbst von diesem Standpunkt aus lässt sich der Fakt, dass von Stauffenberg mindestens eine damals übliche Judenfeindlichkeit verinnerlichte, nicht von der Hand zu weisen ist.

Doch was war der Grund, gegen Hitler aufzubegehren? Der erste ernsthafte Hinweis diesbezüglich ist auf den Herbst 1943, zwei Jahre vor Kriegsende, zu datieren. Bereits 1941 kamen ihm Zweifel über den Ausgang des Krieges, ein paar Monate nachdem die „Operation Barbarossa“ initiiert wurde. Doch der Treueeid auf Hitler wog hoch. Der Kern der „Widerstandsgruppe“ konzentrierte sich auf den Tod Hitlers, um ein Deutschland zu etablieren, wie es vor 1933 bestand. Aufgrund der politischen Biografie von Stauffenbergs lässt sich jedoch kaum von einer Demokratie sprechen, obgleich es mit Julius Leber auch Sozialdemokraten in der Gruppe gab, die jedoch nicht unumstritten waren. Von Stauffenberg schwebte ein deutschvölkischer Staat vor, die Gleichheit verneinend so auch eine Rückbesinnung auf die Ursprünge des deutschnationalen Sozialismus. Seine Vorstellungen waren mehr ein Amalgam aus völkischen, nationalistischen und antisemitischen Versatzstücken, so auch die Verneinung einer parlamentarischen Demokratie, was wieder sein Besinnen auf einen Führer in den Vordergrund rückte. Von Stauffenberg strebte hernach ein faschistisches Deutschland ohne Hitler, Auschwitz und Krieg an, wohl aber mit der rassistischen Ordnung und dem arischen Gemeinwesen. Ob diese politische und persönliche Entwicklung ebenfalls so vonstattengegangen wäre, hätte sich der Krieg im Sinne des faschistischen Deutschland entwickelt, darf durchaus bezweifelt werden.

Wie die Geschichte uns lehrt, misslang das Attentat und die Verschwörer*innen vom 20. Juli 1944 wurden hingerichtet. Nichtsdestoweniger bleibt bis heute bis in tiefe, bürgerliche Kreise die Mystifizierung von Stauffenbergs ein Thema. Von Stauffenberg war nicht mehr Held als andere Menschen, die aus deutschpatriotischen Überzeugungen einen Sturz Hitlers planten. Deren primäre Intention war nicht die Vernichtung des Faschismus, sondern die Quasireform zu einem „besseren Faschismus“, welcher dann aufhört, Faschismus zu sein, doch kaum die Entwicklungen, die der deutsche Faschismus hervorbrachte, negieren würde. Der Antisemitismus, der Glaube an den Rassegedanken und die Heroisierung des eigenen Volkes waren dabei ebenso im Vordergrund und hätten aus Deutschland keinen demokratischen Staat gemacht. Der eigentliche Auslöser war die Entwicklung des Weltkrieges, weil die militärischen Widerstandskämpfer aus tiefem Patriotismus überzeugt waren, Hitler und Himmler würden den Staat vernichten. Ihre „Rettung Deutschlands“ war nicht die Zerschlagung des Faschismus und der Diktatur, sondern die Zerschlagung Hitlers und des Krieges. Daraus eine Identifikation für die heutige BRD zu konstruieren muss hierbei mindestens befremdlich wirken, besonders mit Hinblick auf den immer stärker werdende Rechtsruck in Politik und Gesellschaft. 75 Jahre „20. Juli“ sind alles andere als ein Grund zu feiern, sondern vielmehr exemplarisches Zeitdokument darüber, dass Widerstände innerhalb der herrschenden Klassen und Institutionen mitnichten das Grundgerüst infrage stellen, sondern daraus hervorgegangene Entwicklungen abzuwickeln beziehungsweise zu korrigieren versuchen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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