Wie sähe der Sozialismus aus?

Erklärung Dank Kevin Kühnert steht die sozialistische Idee wieder in der Debatte. Allerdings wird meist nur in Worthülsen idealisiert, die ein konkretes Bild vermissen lassen.

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Die Sozialismus-Debatte um Kevin Kühnert hat das altgediente Schreckgespenst wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Jedoch bleibt unbeantwortet, wie eine sozialistische Gesellschaft sowohl in der Theorie als auch in der Praxis auszusehen hat. Die Ideen der Sozialdemokratie eines Kühnerts bleibt im klassenantagonistischen Denken verhaftet und ist Produkt einer kompromisslerischen Haltung. Dem Sozialismus kommt allerdings eine dichotome Funktion zu. Es wurden schon unzählige Bücher geschrieben, wie der Übergang vom Kapitalismus in den Sozialismus bewerkstelligt wird und die historische Erfahrung hat uns auch gezeigt, dass es Substadien gibt, die zu wenig beachtet werden. Das Scheitern der protosozialistischen Staaten war dabei durch zwei Punkte begründet: der fehlende internationalistische Revolutionsexport und die Verkrustung beziehungsweise Degeneration auf den Weg zum Sozialismus. Entgegen gibt es widersprüchliche Anmerkungen, was den Sozialismus vom Kommunismus unterscheidet. Ist er nun unterste (erste) Stufe des Kommunismus oder Übergangsstadium? Dabei geht es nicht um semantische Spielereien, sondern konkrete Fragen zu konkreten Bedingungen.

Das reale Beispiel der Volksrepublik China macht dieses Dilemma deutlich, die sich unter Mao Zedong bereits im Sozialismus wissend befanden, nach Deng Xiaoping und vor allem Xi Jinping allerdings von der ersten Phase des Sozialismus sprechen. Unbestreitbar ist die Charakterisierung des genuinen Sozialismus als Staat einer Klasse über die andere. Als Herrschaftsinstrument ist er in der Form gleich mit der bürgerlichen Herrschaft, denn der Klassenantagonismus erzwingt den Staat. Beidermalig ist er jedoch in orthodoxer Erklärung eine Diktatur. Ein erkämpfter Sozialismus ist hiernach die Herrschaft der Arbeiter*innenklasse, eine proletarische Demokratie. In dieser Demokratie ist der Staat unabdingbar und somit auch all seine positiven und negativen Auswirkungen. Es besteht weiterhin die Lohnarbeit, somit auch ein hierarchisches Verhältnis zwischen den Menschen. Die Funktion des Sozialismus einzig auf die Unterdrückung der Kapitalist*innen zu reduzieren, ist dabei naiv und verkennt die ökonomische Tragweite und Prägung. Es kommt dahingehend nicht von ungefähr, dass in der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik die Arbeitspflicht Eingang in die Verfassung fand.

In einer sozialistischen Gesellschaft ist die Entfremdung der Arbeit noch nicht überwunden, denn die Dauer und Stärke des Staates hängt von mehreren Faktoren ab. Einerseits bestimmt die ökonomische Reife im internationalen Verhältnis den Entwicklungsgrad an sich und andererseits wird die jeweils nationale Stärke des Kapitalismus im internationalen Moment abstrahiert. Faktisch ist der Sozialismus staatskapitalistisch in dem Sinne - nicht jedoch in der Theorie des Post-Trotzkisten Tony Cliff -, dass die Produktionsmittel in den Händen der Arbeiter*innen liegt, jedoch im internationalen Wettbewerb in Konkurrenz zu den verbleibenden nichtsozialistisch-kapitalistischen Staaten die Wirtschaft national nicht umbauen kann, da es das Todesurteil eines jeden Sozialismus wäre. Es steht also fest, dass der Sozialismus so lange bestehen bleibt und bleiben muss, bis er mindestens in der Mehrheit im internationalen Kontext ist oder Staaten sich auf dem Weg dorthin begeben. Dass das nicht auf morgen geschieht, ist unbestreibtar. Jedoch befinden wir uns in einer neuen Periode: die ökonomische Reife ist global erreicht, um international zum Sozialismus zu gelangen. Die soziale muss hiernach mit der politischen Revolution eins werden, um eine Degeneration wie in der Sowjetunion unter Josef Stalin zu verhindern. Ist es dann erreicht,ist von einem ausgeprägten Sozialismus zu sprechen. Produktionsmittel befinden sich in staatlicher Hand, es gibt eine Regierung mit imperativem Mandat (somit rechenschaftspflichtig und abwählbar), welche dann in der Lage sein wird, den Klassenkampf zu beenden. Dann liegt es dem Sozialist*innen daran, die Reste des Kapitalismus zu überwinden und jedwede Erneuerung im Keim zu ersticken und erst dann fängt auch der Sozialismus an, sich selbst zu negieren.

Das diskrepante Verhältnis des Sozialismus liegt an seinem Wesen, sich abzuschaffen, wenn er sein Ziel erreichte. Er ist somit nicht ein Ideal, eine Gesellschaft, die final angestrebt wird, sondern ein Übergangsstadium hin zur klassenlosen Gesellschaft. Doch was wird nun geschehen? Wird der starke Sozialismus bedingt durch die historischen Verhältnisse zu einem schwachen Sozialismus und damit automatisch zur Unterstufe des Kommunismus? Dieser Übergang ist kein starrer Fixpunkt, sondern eine Verkettung mehrerer Prozesse. Der Sieg der Arbeiter*innen als Klasse hat zur Bedingung, nun sich selbst zu negieren, denn der Klassenkampf hat nicht zur Folge, den Sieg einer Klasse zu verkünden, sondern alle Klassen aufzulösen. Wenn die Lohnarbeit obsolet wird, da die Arbeit mit dem Leben verschmilzt, d.h. das Leben nicht acht Stunden am Fließband stattfindet, sondern nur wenige Stunde pro Woche einzig zur Befriedung der Bedürfnisse der Menschen - nicht zur Akkumulation des Kapitals -, dann kann vom ersten Schritt in den Kommunismus gesprochen werden, der zwar der Staat als Kontrollmechanismus und Instrument des Klassenkampfes aufhört zu atmen, doch die Assoziation untereinander nicht ignoriert wird. Maßgeblich ist hierbei nicht nur die Befriedung der Bedürfnisse jedes Einzelnen, sondern auch das ruhende Gewaltmonopol, das erst dann völlig abstirbt, bis die Erkenntnis gereift ist, die Unterdrückung des Menschen durch den Menschen zu ächten.

Der Übergang zum Kommunismus wird eine internationale Schule benötigen, die die Menschen dazu erzieht, sich selbst als Herren und Frauen ihrer selbst zu sehen. Die Produktionsmittel werden dezentral zentralisiert, bei der gesellschaftlich Rätestrukturen unabdingbar bleiben, d.h. formal ein Herrschaftselement existiert, dieses jedoch dadurch eingeschränkt wird, dass die Vertreter*innen eines Betriebs oder einer Gemeinde nicht ihrem Gewissen unterworfen sind, sondern dem Votum der Wähler*innenschaft. Das Gewaltmonopol ist somit in die Hände der Menschen selbst gelegt, bei sehr wohl Gesetze und Ordnungen erlassen werden. Denn es geht nicht darum, die Freiheit des Menschen grenzenlos zu gestalten, sondern die Freiheit von der Unterdrückung zu gewährleisten, die Freiheit von der Lohnarbeit, von der Existenzangst, von der Diktatur seines eigenen Geschlechts. Der Kommunismus ist erst dann auf dem Weg, erreicht zu werden, wenn kein Kind mehr Hunger leidet, wenn kein Mensch mehr unfreiwillig obdachlos ist, wenn es keine Unterdrückung mehr gibt. Doch man entzieht sich der Naivität und muss die Verteidigung der klassenlosen Gesellschaft als Ausdruck der Vollkommenheit verstehen. Jede Form der Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus etc. wird im Keim erstickt. Die Periode zwischen dem erfolgreichen Sozialismus und dem entwickelten Kommunismus ist die eigentliche Aufgabe des Menschheitsgeschlechts, anzuerkennen, frei zu sein und diese Errungenschaft bis auf die Wurzeln zu verteidigen. Wenn die Notwendigkeit der Verteidigung nicht mehr gegeben ist, dann ist von einer klassenlosen Gesellschaft zu sprechen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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