Ein Angriff auf uns alle

#wirsindinés Inés Heider, Sozialarbeiterin an der Keplerschule in Berlin, wurde fristlos gekündigt. Grund ist, weil sie ihre Mitarbeiter*innen dazu aufrief, an einem Protest gegen Sozialkürzungen teilzunehmen.

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Wenn man als Sozialarbeiter*in auf soziale Missstände hinweist und die Stimme erhebt, daran etwas zu ändern, wird man in der BRD nicht mit Applaus quittiert, sondern einer fristlosen Kündigung. So geschah es Inés Heider, die als Sozialarbeiterin an der Keplerschule in Berlin-Neukölln tätig war. Trägerin der Schule ist die Technische Jugendfreizeit- und Bildungsgesellschaft (tjfbg), die Heider zum 10. Juli 2023 fristlos kündigte. Vorausgegangen war ein Protest von hunderten Sozialarbeiter*innen, Initiativen und Privatpersonen, die gegen die Kürzung des Haushalts des schwarz-roten Berliner Senats demonstrieren. Während genug Geld für den Ausbau des Polizeistaates da ist, soll am Sozialen gespart werden. Darunter fallen nicht nur Kürzung der Mittel für die Obdachlosenhilfe oder bei Schulen und Spielplätzen: die Kürzung von Sozialleistungen trifft besonders arme Menschen und die Jugend. An dem Protest, zu dem die Linkspartei in Neukölln aufrief, waren hiernach auch Jugendliche vor Ort, die ebenfalls ihren Unmut kundgetan hatten, um der asozialen Politik des Berliner Senats anzuprangern. Dass sich dort besonders Sozialarbeiter*innen versammelten und demonstrierten, sollte demnach auch im Interesse der Träger*innen sein. Doch das war ein Trugschluss.

Die tjfbg präsentiert sich auf ihrer Website als „Botschafter für Bildung“, die von sich behauptet, den „Dialog mit unseren Mitarbeiter*innen“ zu suchen. Dass die Deutung darüber, wie der Dialog aussieht und von wem er diktiert wird, wurde jüngst bei der fristlosen Kündigung von Heider deutlich. Dass sie ihre Mitarbeiter*innen dazu aufrief, an dem Protest gegen die Kürzungen teilzunehmen, war für die tjfbg wohl eine Botschaft der Bildung zu viel, wonach sie das als Anlass nahm, um die Kündigung auszusprechen. Dass Heider auch in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sowie der jungen GEW aktiv ist, scheint wohl einen weiteren Grund darzustellen. Die Verhinderung der gewerkschaftlichen Organisierung und der Aufruf, gegen Sozialkürzungen die Stimme zu erheben, stellt für die tjfbg scheinbar das Ende eines jeden Dialogs dar, der in ein undemokratisches Machtwort mündet. Dass ein Großteil der 30.000 Schüler*innen in Neukölln in Armut leben, soziale Diskriminierung erfahren und durch die Kürzungen noch weiter nach unten getreten werden, ist für die Trägerin dabei nicht das Problem. „Außerdem bekennen wir uns zur Charta der Vielfalt, die für ein grundlegendes Bekenntnis der Fairness und Wertschätzung von Menschen in Unternehmen steht“, schreibt sie selbstbewusst auf der Website. Für die erwähnten Schüler*innen gibt es keine „Fairness und Wertschätzung“.

Dieser Skandal bleibt freilich nicht unbeantwortet. Die junge GEW startete als Reaktion eine Online-Petition, die dazu aufruft, die Kündigung von Heider zurückzunehmen. Gleichzeitig bezeichnen sie das Handeln der tjfbg als „Union Busting“, das heißt des „Angriffs auf gewerkschaftliche Organisierung“. Die Solidarität, die Heider bis dato erfährt, ist dabei nicht zu unterschätzen. Viele Sozialarbeiter*innen und Erzieher*innen stehen hinter ihr, darunter die Beschäftigten der Arbeiterwohlfahrt Berlin (AWO). Die Kritik bleibt dabei nicht bei der Kündigung stehen, sondern ist in der Entwicklung des Landes Berlin und der BRD zu sehen, die immer schärfere Angriffe auf Sozialleistungen und Soziales generell fahren. Der Hass auf alles Soziales zeigt sich in der Auseinandersetzung mit kämpferischen Sozialarbeiter*innen und Gewerkschafter*innen, doch auch in den Kürzungen selbst, wie auch jüngst in der Ankündigung, das BAföG de facto zu kürzen. Die Organisierung der Schwächsten der Gesellschaft ist der herrschenden Klasse schon immer ein Dorn im Auge gewesen.

Damit dieser Kampf ausgetragen und letztlich gewonnen werden kann, der Kampf für eine befreite Gesellschaft, ist die Solidarität national und international unabdingbar. In diesem konkreten Fall gilt sie Inés Heider, der ihr durch die Kündigung die Lebensgrundlage genommen wurde. Wie es die junge GEW in ihrer Online-Petition betont: „Der Angriff auf Inés ist ein Angriff auf uns alle“. Ein Angriff auf die Organisierung der Beschäftigten, der Armen und Jugendlichen gegen das herrschende System. Ein Angriff auf die Würde der armen und unterdrückten Menschen. Der soziale Kahlschlag der Regierungen wird nicht zur Trennung führen, sondern die Einheit der werktätigen Klasse fördern und stärken. Inés Heider gibt den Menschen eine Stimme, die gesellschaftlich in die Unsichtbarkeit gedrängt werden – als Sozialarbeiterin, als Gewerkschafterin, als kämpferische Sozialistin.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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