Bezahlkarte und andere Abschreckungsversuche

Es reicht! Zivilgesellschaftliches Bündnis sagt Nein zur Diskriminierung von Schutzsuchenden

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Ende Januar hat der Berliner Senat beschlossen, „dass Berlin dem länderübergreifenden Vergabeverfahren zur Einführung einer Bezahlkarte für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beitritt.“ Mit einer solchen Karte würden Geflüchtete, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten, kein Bargeld mehr bekommen, sondern es würde ihnen ein Guthaben auf einer Karte gutgeschrieben. Was zunächst vielleicht harmlos klingt, weil doch immer mehr Menschen ohnehin mit Karte bezahlen, kann im Zusammenhang der bundesdeutschen und europäischen Flüchtlingspolitik als nicht unwesentlicher Baustein einer menschenverachtenden Abschreckungspolitik verstanden werden.

Offener Brief

In einem offenen Brief vom 28. Februar an Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD), den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und die Mitglieder des Abgeordnetenhauses kritisieren rund 60 Organisationen und Initiativen: „Mit der Einführung der Bezahlkarte für Bezieher*innen von Leistungen nach dem AsylbLG wird die Büchse der Pandora geöffnet – ein Instrument, das das Potenzial der absoluten Kontrolle, Überwachung und Restriktion bietet.“ Eine Bezahlkarte sei entmündigend, denn damit könne „von außen reglementiert werden, welche Waren Menschen wo einkaufen können, ob und wie viel Bargeld sie abheben dürfen, und Überweisungen ins In- und Ausland werden ihnen komplett untersagt“.

Dies sei verfassungswidrig, denn: „Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil bereits 2012 festgestellt, dass die Menschenwürde nicht für migrationspolitische Zwecke relativiert werden darf. Aber genau das passiert gerade.“ Sozialleistungen würden als Abschreckungsinstrument missbraucht, wenn Empfänger*innen von Leistungen nach dem AsylbLG, die etwa 20 Prozent niedriger sind als das Existenzminimum des Bürgergeldes, „über dieses wenige Geld noch nicht einmal frei entscheiden“ dürften. „Das dahinterstehende Ziel haben die Politiker*innen klar formuliert: Man will die Zahl der Asylsuchenden ‚deutlich und effektiv‘ senken.“ Damit würden Asylsuchende „als Menschen zweiter Klasse behandelt“ und stigmatisiert, indem ihnen unterstellt werde, „in erster Linie wegen monetärer Anreize nach Deutschland zu kommen“. Dies sei durch die Migrationsforschung und selbst durch den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages längst widerlegt.

Basiskonto statt Bezahlkarte

Anfang März hat sich das Bundeskabinett auf eine Änderung des AsylbLG zur Einführung einer Bezahlkarte verständigt. Damit „soll unter anderem verhindert werden, dass Asylbewerber Geld an Schlepper oder an ihre Familie oder Freunde ins Ausland überweisen“.

In ihrem offenen Brief hatten die Verfasser*innen die Frage aufgeworfen: „Wenn Menschen in einer Erstaufnahmeeinrichtung wohnen, wo anfangs alle leben müssen und manche auch für die gesamte Zeit ihres Aufenthalts in Deutschland, dann erhalten sie einen monatlichen Barbetrag von maximal 204 Euro pro erwachsene alleinstehende Person. Wenn es den Menschen durch äußerste Sparsamkeit gelingt, 20-30 Euro davon zur Seite zu legen, um damit ihre Familien in Afghanistan, Syrien, Eritrea oder sonst wo zu unterstützen, ist fraglich, was daran verwerflich sein soll und worin der Sozialhilfemissbrauch liegt.“ Sie weisen darauf hin, dass Asylsuchende gemäß dem Zahlungskontengesetz „einen Anspruch auf den Abschluss eines Basiskontovertrags“ haben, und dass es 2015 in Berlin bereits ein solches Konto bei der Sparkasse gab. Sie fordern: „Diese Praxis der Basiskontoeröffnung muss in Berlin wieder forciert werden, anstatt weiter dem humanitären wie rechtlichen Abwärtstrend zu folgen.“

"Remigration" und "Rückführungsverbesserungsgesetz"

Das Medienhaus Correctiv berichtete am 10. Januar über einen „Geheimplan gegen Deutschland“, der vorsieht, dass Menschen „aufgrund rassistischer Kriterien aus Deutschland vertrieben werden können – egal, ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht“. Der Begriff „Remigration“ wurde zum neuen Unwort. Daraufhin demonstrierten wochenlang bundesweit sehr viele Menschen unter dem Motto „Alle zusammen gegen den Faschismus“. Selbst CDU-Politiker*innen lobten die neue Demokratiebewegung und beteiligten sich, auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gingen in Potsdam mit auf die Straße.

Der Bundestag beriet in seiner Sitzung am 18. Januar auch über das Thema „Wehrhafte Demokratie in einem vielfältigen Land – Klare Kante gegen Demokratiefeinde und Vertreibungspläne“. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte, wer „von ‚Reconquista‘ und ‚Remigration‘ fantasiert“, knüpfe an „Gedanken an, die den menschenverachtenden Rassengesetzen der Nationalsozialisten, der Wannsee-Konferenz und der Shoa den Weg bereitet haben“.

Als übernächster Tagesordnungspunkt folgte der Beschluss über das „Rückführungsverbesserungsgesetz“. Faeser: „Mit der Rückführungsoffensive arbeitet diese Bundesregierung konsequent daran, dass Abschiebungen von den Ländern schneller und effizienter durchgeführt werden können.“

Nennenswerte Proteste gab es nicht. Am 27. Februar ist das Gesetz, das eine Reihe von Asylgesetzen ändert, in Kraft getreten. Beispielsweise wird das AsylbLG dahingehen ergänzt, dass „soweit wie möglich Arbeitsgelegenheiten bei staatlichen, bei kommunalen und bei gemeinnützigen Trägern zur Verfügung gestellt werden, wenn das Arbeitsergebnis der Allgemeinheit dient“. Neben dieser möglichen Arbeitsverpflichtung werden ausdrücklich die Grundrechte auf Freiheit der Person, Fernmeldegeheimnis und Unverletzlichkeit der Wohnung eingeschränkt.

Die Panik kommt wieder hoch

In einem Kommentar auf Radio Eins berichtete die RBB-Journalistin Iris Sayram am 26. Januar über ihre Kindheit und über die Angst ihres türkischen Vaters, abgeschoben zu werden. Nach 20 Jahren in Deutschland hatte er noch immer keine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Für sie als migrantisches Kind war „die Abschiebung die ultimative Bedrohung“. Eine ähnliche Panik komme nun wieder hoch „bei vielen aus meiner türkisch-arabischen Bubble, allerdings nicht erst durch die Correctiv-Recherchen, sondern durch Äußerungen und Vorschläge aus der sogenannten politischen Mitte“. So habe die Zeitschrift Der Spiegel im Oktober 2023 den Bundeskanzler mit der Aussage zitiert: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“ Die CDU habe Anfang November vorgeschlagen, „Ausländer, die eine antisemitische Straftat begehen, die sollten doch ihren Aufenthaltsstatus verlieren. Und das Strafrecht möge man doch gleich mal mit verschärfen.“

In dem von Sayram genannten Spiegel-Interview führte Bundeskanzler Scholz aus, wie „durch ein ganzes Bündel an Maßnahmen“ die „irreguläre Migration“ verringert werden soll. Beispielsweise durch schärfere Grenzkontrollen, neu erklärte „sichere Herkunftsländer“, durch „Sachleistungen statt Geld“ oder indem „gemeinnützige Arbeit“ angeboten wird. Die Interviewer registrierten „einen neuen, harten Ton in der Migrationspolitik“.

Gleichwertigkeit aller Menschen?

Scholz betonte gleichzeitig, dass „wir Arbeitskräfte aus anderen Ländern bei uns brauchen“, insofern werde es „auch mehr Zuwanderung brauchen“. Es ist der altbekannte und doch immer wieder erschreckende Blick auf Menschen aus der Perspektive von Nützlichkeitserwägungen: Wen brauchen „wir“, wen braucht Deutschland, und wer ist überflüssig, unnütz, und soll am besten so schnell wie möglich abgeschoben werden?

Wie belastbar ist der wohlklingende Slogan „Nie wieder ist jetzt“, mit dem unter Schirmfrau Bundestagspräsidentin Bärbel Bas schon am 10. Dezember 2023 in Berlin Politiker*innen und Prominente „Gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ auf die Straße gingen? Bundeskanzler Scholz rief auf: „Jede und jeder Einzelne kann im Alltag ein Zeichen gegen Antisemitismus, Rassismus, Hass und Hetze setzen und die Stimme erheben.“ Wenn dies mehr als schöne Worte wären, dann wären alle Menschen gleichwertig, bedingungslos. Wenn … Aber es sind die gleichen, die all dies Schöne predigen, die gleichzeitig keine Scheu haben, Schutzsuchende mit einer Bezahlkarte in ihrem Alltag zu diskriminieren.

Mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz – welch menschenverachtendes Wortungetüm – können Geflüchtete länger als bisher und praktisch direkt nach ihrer Einreise in Haft genommen werden, obwohl sie sich nichts haben zuschulden kommen lassen, außer dass sie Schutz suchen. Nächtliche Abschiebungen werden erleichtert, noch mehr Menschen als bisher aus dem Schlaf gerissen, abgeschoben – mitunter sogar in den sicheren Tod.

Hier lässt sich nur wiederholen: „Wie kann das in einem sich als zivilisiert verstehenden, vermeintlich demokratischen Land passieren? Niemand kann sagen: ‚Ich habe von nichts gewusst‘, denn es geschieht vor unser aller Augen. Menschen, manche Menschen, werden schon wieder behandelt, als seien sie – ja was? Als ‚Ausreisepflichtige‘ werden sie in eiskalt tödlicher Behördensprache bezeichnet, faktisch behandelt wie ‚Untermenschen’. ... Hier und heute gibt es offensichtlich wieder lebenswertes und nicht lebenswertes Leben – nichts gelernt aus der Geschichte?“ (Rabe Ralf, Juni 2021, S. 18)

Weitere Informationen: www.fluechtlingsrat-berlin.de, Tel. (030) 22476311

Dieser Artikel erscheint in der Ausgabe April/Mai der Berliner Umweltzeitung "Der Rabe Ralf". Die Zeitung braucht dringend Unterstützung: https://www.grueneliga-berlin.de/publikationen/der-rabe-ralf/aktuelle-ausgabe/brandbrief/

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Geschrieben von

elisvoss

Freiberufliche Autorin, Journalistin, Vortragende und Beraterin zu Solidarischem Wirtschaften und Selbstorganisation in Wirtschaft und Gesellschaft.

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