Solidarisch Wirtschaften – aber wie?

WieWollenWirWirtschaften Es ist an der Zeit, diese Frage immer lauter zu stellen, statt mit einem wirtschaftlichen Weiter-So zielsicher ins klimakatastrophale Desaster zu steuern.

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Mit Corona gelangte die Frage, was wirklich wichtig ist und was Menschen zum Leben brauchen, aus kleinen Politzirkeln ins Licht der breiten Öffentlichkeit. Die vielfältigen Krisen machen deutlich: So wie bisher kann es nicht weitergehen mit der Wirtschaft. Die Corona-Krise hat gezeigt was möglich ist: Flugverkehr und Massentourismus wurden drastisch reduziert und ganze Industriezweige heruntergefahren, allen voran die klimaschädigende Autoindustrie. Die weitaus gefährlichere Klimakatastrophe scheint kein Grund zum Umschwenken zu sein, die Wirtschaft muss gerettet werden. Warum eigentlich? Warum soll die Wirtschaft gerettet werden, aber nicht die Menschen, die massenhaft vor aller Augen sterben?

Ein anderes Verständnis von Wirtschaft

Wirklich wichtig wäre gerade jetzt ein anderes Verständnis von Wirtschaft, denn „die Wirtschaft“ gibt es nicht. Was unter Wirtschaft verstanden wird, dieses aus Geld mehr Geld und daraus noch mehr Geld zu machen, das hat mit Wirtschaft nichts zu tun, sondern es handelt sich um ein Verbrechen. Der Wirtschaft sollte ihr Subjektstatus aberkannt werden, denn die Wirtschaft ist keine Person, sie hat kein eigenes Recht, sondern soll den Menschen dienen und für die Menschen da sein, nicht umgekehrt. Das Wirtschaften ist ein Prozess zur Herstellung des Lebensnotwendigen. In diesem Prozess des Wirtschaftens stellen Menschen mit ihrer Fähigkeit zu arbeiten und sich kreativ die Welt anzueignen, aus natürlichen Rohstoffen in vielerlei Schritten der Wertschöpfung das her, was sie benötigen. Dies wirft die Frage auf, wer Zugang zu den Ressourcen hat und wie sie vor Vernutzung geschützt werden können. Und es wirft die Frage nach der Arbeit auf, denn diese wird überwiegend jenseits der Erwerbsarbeit und oft von Frauen geleistet, die ihre Familien und Gemeinschaften versorgen. In der Erwerbsarbeit stellt sich die Frage danach, was von den beschäftigten selbst als „gute Arbeit“ verstanden wird. Es gibt auch keine allgemeingültige Festlegung, was lebensnotwendig ist und welche Bedürfnisse daher legitim sind. Die Frage, was überhaupt hergestellt wird, mit welchen Rohstoffen, Mitteln und Methoden und in welcher Menge, und wie, nach welchen Maßstäben dies Hergestellte dann unter denen verteilt wird, die es benötigen, das ist letztlich eine Frage der Demokratie: Wer entscheidet darüber? Jedoch gibt es nicht „die“ Demokratie, sondern neben der parlamentarischen Demokratie die Direkte Demokratie (zum Beispiel Volksentscheide, Risiko „Mogelpackung“) und die Partizipatorische Demokratie (als Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung oft eher unverbindliches Partizipatrallala und „Mitmachfalle“) sowie die Rätedemokratie. In dieser werden Entscheidungen nach dem Subsidiaritätsprinzip von den jeweils Beteiligten getroffen, nur übergeordnete Belange werden auf höheren Ebenen behandelt, von Delegierten, die ein imperatives Mandat haben, also an die Entscheidung ihres Entsendegremiums gebunden sind.

Zum Beispiel Donut-Ökonomie

Die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth hat ihrem Buch „Donut-Ökonomie“ eine schöne Sichtweise vorangestellt: „Das machtvollste Werkzeug in der Ökonomie ist nicht das Geld, auch nicht die Mathematik. Es ist der Bleistift. Denn mit einem Bleistift kann man die Welt neu zeichnen.“ Sie ermutigt die Menschen zum Selberdenken und sich ein eigenes, lebensnahes Bild vom Wirtschaftsprozess zu machen. Mit dem eingängigen Bild eines süßen, fettigen Gebäckkringels zeigt sie, worum es beim Wirtschaften gehen sollte. Nur im Donut selbst können alle Menschen weltweit gut leben, wenn die inneren, sozialen Grenzen (zum inneren Loch im Kringel) nicht unterschritten, und die äußeren, planetaren Grenzen (der äußere Rand des Donut) nicht überschritten werden. Es geht um gute Lebensverhältnisse und um den Erhalt der Lebensgrundlagen. Sollten nicht in Anlehnung daran die drei Nachhaltigkeitsaspekte Ökonomie, Ökologie und Soziales – die im 3-Säulen-Modell oder im Nachhaltigkeitsdreieck dargestellt werden – verändert werden? Die Wirtschaft an sich braucht keine eigene Berücksichtigung, sie ist ein Mittel zum Zweck. Es kommt darauf an, in demokratischen Prozessen auszuhandeln, wie die sozialen und ökologischen Ziele erreicht werden können. Darum sollte die Ökonomie im Nachhaltigkeitsdreieck durch Demokratie ersetzt werden.

Degrowth – aber kein Desaster!

Progressive Wissenschaftler*innen und Aktive der Klimagerechtigkeitsbewegung betonen schon lange, dass eine Rücknahme des Wirtschaftswachstums (englisch „degrowth“) notwendig ist. Es kommt allerdings darauf an, ob dieses Degrowth „by design or by desaster“ stattfindet, ob es also sozial verträglich gestaltet wird oder mit desaströsen Zuständen einhergeht.

Wie Griechenland ab 2014 von der Europäischen Union unter Federführung der deutschen Regierung einem zerstörerischen Sparprogramm unterworfen wurde kann als Beispiel für „degrowth by desaster“ gelten. Die Folgen spüren die Menschen dort bis heute. Die Folgen von Corona haben auch hierzulande diejenigen am meisten zu spüren bekommen, die ohnehin schon am wenigsten haben. Wenn es nun wieder aufwärts gehen soll mit der Wirtschaft, ist abzusehen, dass die sozialen Spaltungen zunehmen werden.

Nachhaltig und solidarisch Wirtschaften

Eine Wirtschaft für die Menschen und nicht für Profite ist keine Utopie, sondern es gibt sie bereits. Weltweit tun sich Menschen in kleineren oder größeren genossenschaftlichen Unternehmungen zusammen, um das Notwendige herzustellen, von Wohnungen über Lebensmittel bis zu nichtkommerziellen Medien und sozialen Angeboten. Neben dieser wirtschaftlichen Selbsthilfe spielen öffentliche Unternehmen eine besonders wichtige Rolle für die Versorgung. Im Gesundheitsbereich hat Corona daran erinnert, dass Privatisierung und Ausrichtung auf Profitabilität grundlegend falsch sind. Dem Umdenken müsste nun auch konsequentes Umsteuern folgen, ebenso wie in anderen Bereichen der Versorgung mit dem Lebensnotwendigen. Die Infrastrukturen für Energie und Wasser (v.a. Leitungsinfrastrukturen), Abwasser- und Müllentsorgung, Bildung und Mobilität gehören in öffentliche Hand. Das ist kein Plädoyer für Staatsbetriebe, die viel zu oft wie profitorientierte Unternehmen funktionieren (Beispiel Deutsche Bahn), sondern für öffentliche Unternehmen, die von allen Beteiligten, also den Beschäftigten, den Nutzer*innen und Vertreter*innen der öffentlichen Hand, transparent und demokratisch gesteuert und kontrolliert werden. Eine andere Wirtschaft beginnt vor Ort in den Kommunen und erfordert ebenso Neujustierungen auf nationalstaatlicher Ebene und in transnationalen Vereinbarungen. In der niederländische Hauptstadt Amsterdam erarbeitet die Verwaltung beispielsweise gemeinsam mit Kate Raworth einen Leitfaden für eine gedeihliche Stadtentwicklung im planetarischen Gleichgewicht. Damit soll das Donut-Modell für eine Wirtschaft nach Corona angewendet werden. Die Ausrichtung der gesamten Wirtschaft auf die Herstellung des Lebensnotwendigen erfordert eine konsequente Demokratisierung der Wirtschaft. Es ist an der Zeit für eine umfassende Konversion der Produktion, einschließlich Forschung und Entwicklung, von militärisch zu zivil und von extraktivistisch zu ökologisch.

Weiterlesen:

Artikelserie Nachhaltig wirtschaften – aber wie? in der Berliner Umweltzeitung Rabe Ralf:

Teil 1: Vorschlag zum Gelingen – mit Donut-Ökonomie und demokratischer Umsetzung

Teil 2: Weniger Globalisierung und Wachstum durch Corona – eine Chance zum Umsteuern?

Teil 3: Trotz allem nicht aufgeben – Wirtschaftsdemokratie!

Zu diesem Thema habe ich einen Online-Vortrag (youtube) gehalten, über den ich am 23.08.2020 mit Jürgen Kippenhan vom LOGOI Institut für Philosophie und Politik diskutiere.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

elisvoss

Freiberufliche Autorin, Journalistin, Vortragende und Beraterin zu Solidarischem Wirtschaften und Selbstorganisation in Wirtschaft und Gesellschaft.

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