HKW-Jury-Debatte: Was für „GNTM“ gilt, gilt auch für Literaturpreise

Diversität Diversität steht im Fokus der Aufmerksamkeit: Heidi Klum und auch der Literaturbetrieb blicken für Preise immer mehr über den Tellerrand hinaus. Eine Debatte über das Verhältnis von Politik und Ästhetik wäre angebracht. Die Frage ist: Wie?
Ausgabe 21/2024
HKW-Jury-Debatte: Was für „GNTM“ gilt, gilt auch für Literaturpreise

Foto: Imago / Future Image

Ebenso wenig, wie bei Germany’s Next Topmodel das „schönste Mädchen Deutschlands“ ausgezeichnet wird, gewinnt bei Literaturpreisen das beste Buch. Das liegt nicht nur daran, dass es für Literatur keine messbaren Kriterien gibt oder dass die Institutionen, die Literaturpreise verleihen, oft auch kulturpolitische Anliegen verfolgen. Jurymitglieder sind neben ästhetischen Kriterien in ihren Entscheidungen implizit oder explizit von außerliterarischen Maßstäben beeinflusst. Und sie wissen, dass Preisverleihungen so beobachtet werden: Selbst da, wo keine politische Absicht vorlag, findet eine politische Deutung statt.

Man kann das anhand der Nominierungslisten jedes größeren Literaturpreises der letzten Jahrzehnte verfolgen. Den Georg-Büchner-Preis etwa erhielten seit seiner Neugründung 1951 bis ins Jahr 2011 nur sieben Autorinnen. Ab 2012 wurden innerhalb weniger Jahre gleich vier Frauen prämiert. Es sind renommierte Schriftstellerinnen wie Sibylle Lewitscharoff und Terézia Mora dabei. Trotzdem ist klar, dass der erhöhte Frauenanteil in den letzten Jahren auch literaturferne Gründe hatte.

Wenn zwei Ex-Jurymitglieder des vom Berliner HKW verliehenen Internationalen Literaturpreises monieren, dass beim Auswahlverfahren 2023 politische Kriterien dominierten, dann könnte man also entgegnen, dass das keine echte Neuigkeit ist. Juliane Liebert und Ronya Othmann veröffentlichten vergangene Woche einen Enthüllungstext in der Zeit, in dem sie ihren Mitjuroren vorwarfen, die Kriterien für die Preisvergabe missachtet zu haben. Diesen zufolge sollen Ansehen, Nationalität, Verlag, Person, politische oder religiöse Ansichten unberücksichtigt bleiben. Das HKW betonte inzwischen in einer Stellungnahme, dass die Kriterien „grob unvollständig“ wiedergegeben wurden: Zusätzlich gehe es unter anderem um die „Einzigartigkeit des Themas“, die „Wirkungsweise“ und „Dringlichkeit“.

Was Othmann und Liebert beanstanden, ist allerdings nicht bloß, dass Politisches und Ästhetisches vermengt wurden, sondern dass nach einhelliger Ansicht bessere Autorinnen aussortiert worden seien, weil sie nicht divers genug erschienen. So sollten dem Bericht zufolge Mariette Navarro und Péter Nádas nicht auf der Shortlist auftauchen, weil es sich bei ihnen um eine „weiße Französin“ und einen „weißen Mann“ handele – obwohl sich alle einig gewesen seien, dass sie gemessen an der Qualität auf die Liste gehörten. Wenn es sich so ereignet haben sollte – das HKW widerspricht dem –, wurde auf diese Weise das Werk jener Personen, für die sich die identitätspolitisch argumentierenden Jurymitglieder einsetzten, im Grunde abgewertet.

An sich könnte man es begrüßen, dass eine Debatte über das Verhältnis von Politik und Ästhetik bei Literaturpreisen angestoßen wurde. Wann Diversität als Argument sinnvoll ist und wo eine Begründung durch das Ausspielen identitätspolitischer Argumente gegen literarische Qualitätskritierien ungewollt rassistisch wird, darüber sollte man streiten. Indem Othmann und Liebert vorgeblich wörtliche Äußerungen aus der Jury zitieren, begehen sie aber nicht nur einen Vertrauensbruch. Sie nehmen auch in Kauf, dass die Nominierten des Vorjahres womöglich glauben, nicht aus Qualitätsgründen auf der Shortlist gelandet zu sein. Fruchtbarer wäre es, wenn sie vom konkreten Fall abstrahiert hätten. So aber bekommt man den Eindruck, dass es weniger um die Sache geht als um persönliche Kränkungen, Eitelkeiten oder Aversionen. Auch das ist, wie man weiß, leider der ganz normale Juryalltag.

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