„Trotz“ von Ronja von Rönne: Rückwärtsgewandt wird es schnell toxisch
Essay Bekannt wurde Ronja von Rönne mit einem skandalträchtigen Essay über Feminismus. Ihr neues Buch handelt vom „Trotz“ und ist von zweifelhaftem Niveau
Ronja von Rönne beherrscht die Form des selbstironischen, scharfsinnigen, gewollt flapsigen Schreibens meisterhaft
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Es gibt wenige Tugenden, die so eine negative Karriere hingelegt haben wie der Trotz. Galt er ehemals als mutige, männlich konnotierte Form des Widerstands, wurde er seit dem 19. Jahrhundert zu einer kritisch bewerteten Eigenschaft von Kindern und Frauen degradiert. Spätestens seit dem Erscheinen der unzähligen Trotzkopf-Geschichten, in denen widerspenstige Teenagerinnen lernen sollten, die sozialen Rollenerwartungen an Frauen anzunehmen, war klar, dass Trotz allenfalls etwas ist, das man belächeln kann.
Es leuchtet deshalb unmittelbar ein, dass der Trotz eine Rehabilitation verdient hat, wie sie Ronja von Rönne in ihrem neuen Buch beabsichtigt. Ihr Essay Trotz hebt darauf ab, dass trotziges Verhalten zwar selbstdestruktive Formen annehmen, im besten Fall jedoch ein
n, im besten Fall jedoch eine Form der Selbstbehauptung darstellen kann.Rönne leitet diese These von der „Janusköpfigkeit“ des Trotzes vor allem aus ihrer eigenen Biografie ab: Eine Schlüsselszene des Buchs bildet das Erscheinen ihres skandalträchtigen Essays Warum mich der Feminismus anekelt im Jahr 2015. Der Debattenbeitrag in der Welt, in dem die damals 23-Jährige argumentiert hatte, dass die Frauenquote „in einem Land, in dem der mächtigste Mensch eine Vagina hat“, als Vorteilsbeschaffung gelten müsse, habe „Wellen von Hass“ ausgelöst: „Mein journalistischer Ruf schien ruiniert. Ich war das Postergirl für einen Reaktionismus geworden, der doch eigentlich gar nicht meiner war.“Der Trotz sei für sie in dieser Situation „überlebenswichtig“ geworden. Er habe geholfen, gegen eigene Versagensängste, Depressionen und die Kritik von außen trotzdem weiterzumachen – selbst dann, wenn er eher peinliche Formen annahm, wie die Anreise zum Bachmann-Preis in einem „massiv unsympathischen und saulauten geliehenen Porsche“.Tatsächlich war der Trotz bei Rönne von Beginn an eine dominante Schreibhaltung – das begann nicht erst mit dem Feminismus-Eklat, der sich rückblickend eher als ein Karrierebooster erwies, sondern bereits mit ihrem Blog Sudelheft. Auch bei den weiteren Stationen ihrer Laufbahn – sie wechselte von der Welt als Kolumnistin zur Zeit, moderierte auf Arte ein niedrigschwelliges Philosophiemagazin und hostete einen Podcast – blieb das Image der respektlosen, trotzigen Jungautorin ein wesentlicher Teil der Selbstinszenierung. Das änderte sich erst, als Rönne ihre Depression öffentlich machte und den Roman Ende in Sicht (der Freitag 06/2022) über den Roadtrip zweier ungleicher suizidaler Frauen schrieb, der erstmals einen neuen, sanfteren Ton anschlug. Auch von der Suche nach diesem neuen Ton und dem Willen, den eigenen Trotz zu überwinden, handelt der Essay.Ronja von Rönne: Mischung aus Schulaufsatz und Wikipedia-EintragMan kann sich an dieser Stelle fragen, was man eigentlich in dem Buch über Trotzlernt – abgesehen davon, dass er offenbar ein oftmals produktiver, manchmal aber auch lächerlicher oder hinderlicher Wesenszug der Autorin ist. Weil Rönne dieses Problem vielleicht ebenfalls bewusst ist und weil ihre Biografie dann doch noch nicht genug Stoff für ein Buch hergibt, stellt sie anhand von historischen oder aktuellen Beispielen wiederholt Überlegungen über die Funktionsweise von Trotz an.Und genau da fangen die eigentlichen Probleme an. Denn hier schlägt die Bekenntnisschrift in eine Mischung aus Schulaufsatz und Wikipedia-Eintrag um. Man kann von der gegenwärtigen Mode des „Personal Essay“ halten, was man will – unbestreitbar ist, dass Rönne diese Form des selbstironischen, scharfsinnigen, gewollt flapsigen Schreibens meisterhaft beherrscht. Was die Autorin eindeutig nicht beherrscht, sind abstrakte Reflexionen über Begrifflichkeiten oder die Darstellung geistesgeschichtlicher Zusammenhänge.Es ist bestürzend, wie das Niveau des Essays abgleitet, wenn Rönne sich an einer Genealogie des trotzigen Verhaltens versucht. So beschreibt sie etwa die Aufklärung gleichsam als Geburtsstunde des modernen, trotzigen Menschen: „Die Aufklärung rückte das individuelle Denken und die Vernunft in den Mittelpunkt und hinterfragte traditionelle Autoritäten wie die Monarchie und die Kirche.“ Oder auch: „Die Aufklärung war eine Zeit des großen Wandels und der intellektuellen Umwälzungen, die das Denken und die Gesellschaft in Europa maßgeblich beeinflusste.“Es ist schwer zu entscheiden, wo man zuerst einhaken möchte: bei dem klischeehaften und verkürzten Verständnis von „Aufklärung“, das durch einen einzigen Blick in die Forschungsliteratur revidiert worden wäre; bei der Frage, inwiefern es gerechtfertigt ist, etwa die staatskritischen Abhandlungen von Jean-Jacques Rousseau als Ausdruck von „Trotz“ zu begreifen; oder bei dem Problem, worin eigentlich die Verbindung zwischen diesem philosophischen „Trotz“ – wenn es denn einer sein soll – und dem Porsche-Auftritt von Rönne liegen soll. Ist tatsächlich jede Form der Rebellion mit Trotz gleichzusetzen?„Trotz“ ist ärgerlich und bedauerlichHätte der Essay sich mit dieser Art von Fragen ansatzweise auseinandergesetzt, hätte er ein wertvoller Beitrag zur Diskussion um aktuelle Protestkulturen etwa im Umfeld der Letzten Generation sein können. So aber hat man den Eindruck, dass alles Mögliche über einen Kamm geschoren und in guten und schlechten Trotz eingeteilt wird – wobei diese Einteilung kaum verhohlen mit den eigenen Weltanschauungen verknüpft wird. „Toxisch“ wird der Trotz bei Rönne, wenn man ein „rückwärtsgewandtes“ Weltbild pflegt oder die CSU wählt; produktiv ist er, wenn man gegen Rassismus und Homophobie kämpft.Damit aber kollabiert der gesamte Anspruch des Essays: Trotz im positiven Sinn ist nur noch das, was die Autorin selbst für progressiv hält. Trotzmuster, so paraphrasiert Rönne einen Psychologen, seien zwar teilweise genetisch veranlasst, aber auch durch „Erziehung, Erfahrungen, Kultur und soziales Umfeld“. Man fühlt sich nach der Lektüre dieser psychologischen Expertenkommentare kaum schlauer als zuvor.Es ist nicht nur ärgerlich, dass Rönne ein so interessantes und zeitgemäßes Thema einfach verschenkt, sondern auch bedauerlich, dass sie mit dem neuen Buch nicht in der Spur ihres letzten, weitgehend positiv besprochenen Romans Ende in Sicht geblieben ist. Es gibt nämlich durchaus Passagen in Trotz, die an den Ton des Romans erinnern: die Geschichte des besten Freundes Martin, bei dem bereits als Teenager Diabetes diagnostiziert wurde, dem wegen seiner Weigerung, sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen, ein Bein amputiert wurde und der nur knapp überlebte. Diese anrührend, komisch und stilsicher geschriebene Freundschaftsgeschichte hätte – im Gegensatz zu Rönnes Reflexionen über Trotz – problemlos ein ganzes Buch füllen können.