Jörg Fausers Briefe an seine Eltern: „Man hängt halt so an dem, was man hat“
Literatur Wunderbarer Trotzkopf: Ein Band mit Briefen an die Eltern beschließt die dritte Werkausgabe, die Jörg Fauser – Ausnahmeschriftsteller der westdeutschen Nachkriegsliteratur – gewidmet ist. Porträt eines akribischen Arbeiters
Symbolbild Jörg Fauser: Zeitung lesend, mit Kippe im Mund. Vielleicht regte er sich da gerade auf
Foto: Leoiw NL13/Wikipedia/CC BY-SA 4.0
Oft war das ziemlich dick aufgetragen, was über Jörg Fauser, diesen Ausnahmeschriftsteller der westdeutschen Nachkriegsliteratur, nach seinem Tod 1987 gesagt und geschrieben wurde. Manchmal dicker als das Papier des neuen, mit Faksimiles versehenen Bandes Man hängt halt so an dem, was man hat. Er beschließt die mittlerweile dritte Hardcover-Werkausgabe und enthält Fausers Briefe an die Eltern aus seinem nur 43 Jahre währenden Leben; leider sind deren Schreiben an den Sohn verschollen. Diesmal verdanken wir Diogenes, dass Fausers Unsterblichkeit noch einmal durch 14 schmucke Bände verlängert wurde.
Aber wie kann man dieses Buch besprechen, ohne die beliebten Klischees zu bedienen, die Fauser beschreiben: „Asphaltliterat“, „Anti-Walser
t“, „Anti-Walser“, „Altachtundsechziger-Verächter“ oder „Außenseiter“? Diese Klischees legten sich wie kalter Zigarettenrauch auf die Zeilen. Ja, man ist schnell mit solchen Metaphern zur Hand. Dabei hätte Fauser das bestimmt mit der Kippe im Mund weggelächelt und im Frankfurterisch seine Worte wiederholt: „Ich habe ein gutes Verhältnis zum Klischee.“ Auch sollte man aufpassen, dass man nicht die gleichen Textbausteine zusammenschiebt, die man ja selbst mitproduzierte, um sie dann in Simon Sahners gerade erschienener Dissertation mit dem Titel Der Wirklichkeit verfallen (Transscript) wiederzufinden. Sie befasst sich akribisch mit der deutschen Beat- und Undergroundliteratur von 1960 bis 1980. Fauser darf darin nicht fehlen, er ist quasi ihr Hauptprotagonist. Logo.Nun ist Fauser also nicht nur dreifach kanonisiert, sondern auch längst verwissenschaftlicht: „An diesen Beispielen zeigt sich deutlich, dass das paratextuelle Netz, das ein Narrativ um Jörg Fauser bildet, weitergeschrieben und unabhängig von seinem Werk rezipiert werden kann“, heißt es bei Sahner. Nun denn. So warf sich im letzten Herbst auch das paratextuelle Netz im Sonderband von text + Kritik zum Thema „Literarischer Journalismus“ auf Fauser. Ihm sind darin gleich zwei Beiträge gewidmet. Zum Glück schrammen sie nur selten am Duktus eines Proseminars vorbei.Todessehnsüchtige LyrikDie Herausgeberin (und Freitag-Autorin) Erika Thomalla leitet ihre Einführung in die komplexe Materie vorsorglich mit der knalligen Anekdote ein: „Als der Papst 1980 nach Deutschland kommt, geht Jörg Fauser nicht hin.“ Das mit Johannes Paul II., der gerade mit seiner dunklen Vergangenheit konfrontiert wird, ist gewiss nur Zufall, aber vielleicht auch ein himmlisch schönes Zeichen für Fausers ungebremste Aktualität und Dringlichkeit, die aus seinen journalistischen Arbeiten hervorscheinen – etwa in denen für Enzensbergers Transatlantik, Spiegel, Playboy und andere. Sie wirken wie Epiphanien im oftmals langweiligen, moralisierenden Gegenwartsjournalismus.Gleiches gilt selbstverständlich für seine todessehnsüchtige Lyrik(-Prosa). „Wenn dann auch der übernächste heiße literarische Scheiß vorbeigezogen ist, werden Fausers Gedichte immer noch Leser*innen haben“, schreibt der Lyriker Björn Kuhligk im Nachwort der Sammlung Ich habe die großen Städte gesehen (2019) und weist bei dieser Gelegenheit auch aufs Profane hin: Fast jedes Gedicht habe in irgendeiner Zeile ein alkoholisches Getränk intus.Dass Fauser mindestens sechs Jahre ein Junkie war und diese Sucht durch Alkoholismus zu überwinden wusste, ist hinreichend bekannt. Aber deswegen ist, wie Benjamin von Stuckrad-Barre einmal über Fausers Rohstoff schrieb, ebenjenes Buch nicht automatisch „wohl der beste in deutscher Sprache verfasste Drogen-Roman“. Kein Zweifel, er ist so wichtig für die Nachkriegszeit wie etwa Wolfgang Koeppens Tauben im Gras, wie Maxim Biller einmal dozierte. Aber vor allem ist dieses seinen Eltern gewidmete Buch das Selbstzeugnis eines Menschen, der schon als Kind wie verrückt daran arbeitet, ein Schriftsteller zu werden. Und darum schon als Schüler in einer Frankfurter Regionalzeitung veröffentlicht. Das machen die Briefe an die Eltern fast noch klarer als die Prosa.Zusammen ergeben die Briefe das faszinierende Porträt eines akribischen Arbeiters, keines Träumers. Auch wenn das Rauschgift und der Suff ihn sehr oft in Traumwelten katapultierten. Aber wie sein geliebtes Alter Ego Harry Gelb will er einfach nur schreiben, die Wirklichkeit aufsaugen und „eine neue Literatur“, nicht dieses „bombastische Pathos“ der cleveren Studenten. Die Briefe erzählen somit die Coming-of-Age-Geschichte eines Trotzkopfes, eines linken Szene-Skribenten, der sich geschäftsmännisch Schritt für Schritt zu einem Bestsellerautor mausern wird. „Ich bin ein Profi“, wie er Hellmuth Karasek, dem Literaturkritiker und späteren Profi der Selbstvermarktung, in den 80ern sagen wird.Amerikanophiler QuerdenkerAuch das Politische wird in den Briefen zum Privaten. Man lernt einen amerikanophilen Querdenker kennen, der schöpferisch von seinen US-Idolen Bukowski, Burroughs, Chandler, Hammett und anderen zehrt (über allen aber schwebt gleichwohl Joseph Roth). Auch mit seiner Meinung zum Nato-Doppelbeschluss hält er nicht hinter dem friedensbewegten Berg: „Es hätte damals sofort nachgerüstet werden müssen ohne Wenn und Aber, bevor die Russen ihre Propagandamaschine auf Touren brachten.“ Von diesem intellektuell ausgetragenen Kampf eines Sohnes mit den geliebten Eltern zeugte bereits vor 30 Jahren die Briefauswahl Ich habe eine Mordswut (Paria). Darin gesteht Fauser 1974 seiner „lieben Mammi“ und dem „liebem Pappi“, dass er zu Depressionen neige. „Auch der Alkohol hilft da meistens nicht.“ Und ihm „schwant Arges“: „Die Rechten würden mich am liebsten wahrscheinlich aus Deutschland rausschmeißen, genau wie die Linken.“Auch hier blitzt wieder Fausers Aktualität im gesellschaftlichen Diskurs auf, der sich endlos um links, rechts, libertär oder woke zu drehen scheint. Nicht wenige seiner Sätze flögen ihm heute um die Ohren. Bestimmt auch dieser, den man in seiner fulminanten Marlon-Brando-Biografie findet, die ja eigentlich eine Fauser-Autobiografie ist: „In einer Welt, in der es von Revolutionären nur so wimmelt, ist der Rebell der Mann von gestern, der Konservative.“ Autorinnen von heute wie Ronja von Rönne verehren ihn dennoch, Helene Hegemann nimmt ihn in der Werkausgabe klipp und klar vor dem Chauvi-Verdacht in Schutz.Oben genannter Briefauszug von 1974 findet sich leider nicht im aktuellen Diogenes-Band, nur in einem um fast 200 Seiten längeren digitalen Vorabexemplar. Man darf annehmen, dass der Herausgeber Peter Graf wegen des teuren dicken Papiers ordentlich herauskürzen musste. Dass er dies schweren Herzens tat, auch das darf man annehmen; Graf ist schließlich ein literarischer Schatzjäger und leitet den Verlag Das Kulturelle Gedächtnis.Im Falle von Fauser das Belanglose vom Wichtigen zu trennen, ist zudem besonders schwer. Hier gelingt ja nicht einmal die Trennung von Autor und Werk.Bei zwei starken Persönlichkeiten herangewachsenSo fehlt im neuen Briefband leider auch die erstaunliche Rezensionsleidenschaft des elfjährigen Schülers des humanistischen Lessing-Gymnasiums. Gegenüber seinem Pappi ärgert er sich 1956 über die Darstellung der Römer in einer Hannibal-Biografie: „Sie wären steif und hölzern und die Sprache wäre zischend und knatternd. Ich habe eine Mordswut. Am liebsten würde ich dem Schriftsteller schreiben!“Fauser wächst zwischen „zwei starken Persönlichkeiten heran, die aus dem Mainstream-Adenauer-Deutschland herausfallen, als Künstler und widerständige, hochmoralische Menschen“, schreiben Matthias Penzel und Ambros Waibel in ihrer richtig tollen und dummerweise vergriffenen Fauser-Biografie Rebell im Cola-Hinterland (2004). Vater Arthur ist Maler, war ein überzeugter Kommunist und wurde im Dritten Reich als „entarteter“ Künstler verfolgt. Später erhält er immerhin verschiedene Auszeichnungen, darf sogar 1958 als Stipendiat in der Villa Massimo in Rom verweilen.Seine Familie wohnt derweil in der Ernst-May-Siedlung in der Frankfurter Römerstadt. Mutter Maria ist Schauspielerin und ernährt die Familie mit ihrer Arbeit beim Hessischen Rundfunk, Jörg steuert als Kinderstar im Rundfunk zum Auskommen bei. Der letzte Brief an seinen Pappi stammt aus dem April 1987, hier bewundert der Sohn, wie sehr der 75-Jährige noch so „wunderbar beisammen ist – wenn auch sicher unter Beschwernissen … Ich freue mich jedenfalls jedes Mal auf unsere Gespräche, die sich wie ein roter Faden durch mein Leben ziehen“.Wie schnell ein solcher Faden reißen kann, weiß jedes Kind. Man hängt halt so an dem, was man hat.Placeholder infobox-1