Darum in die Ferne schweifen!

Interstellar Christopher Nolans Science-Fiction-Monument greift enthusiastisch nach den Sternen. Geldverschwendung oder der ewige Traum, der nie ausgeträumt werden wird?

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Darum in die Ferne schweifen!

Bild: Warner

Christopher Nolans Sci-Fi-Epos „Interstellar“ geistert derzeit durch die Kinos und spukt in den Köpfen der Menschen herum, die sich nicht von ein paar merkwürdigen Plotentscheidungen und vielleicht dem einen oder anderen Quäntchen Kitsch vergraulen lassen. Es ist einer dieser Filme, die man im Kino erleben muss, einer dieser Filme (wie James Camerons „Avatar“, Alfonso Cuarons „Gravity“ oder Terrence Malicks „Tree Of Life“), die man auf der größtmöglichen Leinwand sehen sollte und die daheim auf dem Flachbildschirm nur einen Bruchteil seiner Wirkung entfalten können.

Und auch wenn man argumentieren könnte, dass die in „Interstellar“ verhandelten philosophischen und wissenschaftlichen und, ja, menschlichen Fragen zu sehr in einem kommerziellen Blockbusterfilm hinter viel Bildgewalt versteckt werden, taucht doch in der öffentlichen Diskussion ein Thema immer wieder auf, eine Frage die in diesem Film alternativlos beantwortet wird: Brauchen wir die Raumfahrt? Brauchen wir die Astronomie, bemannte Flüge in den Weltraum, die Suche nach „erdähnlichen Planeten“, die Suche nach Signalen außerirdischer Intelligenz?

Eine beliebte Phrase dieser Zeit bezüglich der immernoch milliardenschwer subventionierten Raumfahrtprogramme ist: „Wäre das viele Geld nicht anderswo sinnvoller verwendet als es ins Vakuum zu verpulvern?“ Angesichts der grassierenden Armut und Versorgungsknappheit auf unserem kleinen blauen Ball ist das sicherlich eine zulässige Frage.

Und der Film suggeriert uns auch eine Art Unvermeidbarkeit der Notwendigkeit, irgendwann den Planeten zu verlassen weil wir ihn endgültig unbewohnbar gemacht haben in unserer Zerstörungswut und Kurzsichtigkeit. Man könnte sagen: Wenn die Menschheit Aussichten auf einen „Fluchtort“ hat, hat sie kaum mehr Interesse, das zu reparieren was sie angerichtet hat bzw. zu verhindern dass die Zerstörung und Ausbeutung weitergeht.

Auch das ist ein Punkt der dafür spräche, der (örtlich) fernen Zukunft den Rücken zu kehren um die Gegenwart in den Griff zu bekommen.

Doch sind es wirklich die Raumfahrtprogramme, die dazu führen, dass so viele Milliarden Menschen Hunger leiden müssen? Das Budget der NASA beläuft sich auf ca. 1% des US-Haushalts. Das wären im Jahr 2013 etwa 40 Milliarden US-Dollar. Das ist gerade einmal die Hälfte des Vermögens von Microsoft-Gründer Bill Gates. Die Ausgaben der USA für ihr Militär betrug das beinahe 20-fache im Jahr 2010. Könnte man das Geld das in die Raumfahrt gesteckt wird, anderweitig hilfreich verwenden? Ja, sicher. Sollte man das Geld aus der Raumfahrt abziehen? Ich sage: Nein.

Was macht den Menschen einzigartig? Als Spezies? Diese Frage stellen wir uns immer wieder. Die Weltreligionen bescheinigt Menschen im Gegensatz zu allen anderen Kreaturen eine unsterbliche Seele, die Wissenschaft glaubte lange, das Bewusstsein, die Möglichkeit zur Selbstreflexion und die Sprache seien Alleinstellungsmerkmale des Homo Sapiens. Doch je genauer wir die Natur, je genauer wir diese Welt in der wir leben betrachten, desto mehr verschwimmen die Grenzen zwischen intelligent und instinktiv, zwischen lebendig und leblos. Selbst Pflanzen sollen soetwas wie Schmerz empfinden können, Vögel tanzen voller Freude zu Musik und Schimpansen lernen Gebärdensprache. Was ist unser Alleinstellungsmerkmal? Die Zerstörungswut? Die Ausbeutung? Das Verzehren gekochter Tiere und Früchte? Es gibt nicht viel her.

Oder ist es die Neugier? Das andauernde Streben nach mehr, das Streben dorthin zu gehen wo niemand zuvor war? Kein Delphin hat je aus Plankton Flügel gebaut und ist aus dem Ozean in die Lüfte entsprungen, keine Katze hat sich ein U-Boot gebaut um an die tiefste Meeresspalte zu tauchen um zu erforschen was dort existiert. Kein Vogel hat jemals die Atmosphäre des Planeten verlassen.

Sollte der Mensch ein Alleinstellungsmerkmal haben, eine Besonderheit, die ihn von allen anderen Lebensformen unterscheidet, die hier auf Erden entstanden sind, so ist es sein Willen und seine Fähigkeit, diesen Planeten zu verlassen. Alle auch noch so entlegenen Ecken unserer Erde sind von unglaublichen Kreaturen bevölkert, selbst in den tiefsten vulkanischen Meeresspalten haben sich Lebewesen angesiedelt, doch der Weltraum in seiner beinahe unendlichen Kälte wurde noch von keiner Kreatur der Erde bezwungen außer dem Menschen. Wer weiß, vielleicht ist es ja die evolutionäre „Aufgabe“ des Homo Sapiens oder seines Nachfolgers, „das Leben“ fortzutragen zu anderen Sternen.

Wir wissen selbst allzu gut, dass wir momentan nicht gerade das Musterbeispiel eines Botschafters des Lebens darstellen. Das waren wir wohl noch nie. Und doch sind wir diejenigen die den Weg bezwingen können, vielleicht, irgendwann. Sei es per Generationenraumschiff, sei es per Wurmloch (wie in „Interstellar“) oder sei es durch eine physikalische Entdeckung, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Die Filmwelt ist dieser Tage wieder voll von Science Fiction, die Sehnsucht nach den Sternen wird wiederbelebt. Ich werde mich nicht dagegen wehren, so kontrovers viele Gedanken um die Raumfahrt auch sein mögen. Alle Astronauten die jemals aus einem Raumschiff oder der ISS oder vom Mond aus auf die Erde herabgeblickt haben, teilen einen Gedanken: Was für ein Wahnsinn dass wir dieses blaue Juwel mit Verwüstung und sinnlosem Gemetzel überziehen! Was für ein Mangel an Ehrfurcht vor der Zerbrechlichkeit unseres Paradieses! Vielleicht sollten wir alle einmal von einem Raumschiff aus auf die Erde herabsehen … und wenn es nur dafür ist, diese Lektion zu lernen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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