Die unwahrscheinliche Kunst des Comebacks

Blur 16 Jahre nach ihrem letzten Album als Quartett hat die Originalbesetzung von Blur ein neues Album veröffentlicht: "The Magic Whip".

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Wir Musikliebhaber sind vernarrt in die Kleinkriege zwischen Sängern und Gitarristen. Das öffentliche Gestichel zwischen Keith Richards und Mick Jagger, die Trennung der Smiths wegen eines Dauerstreits zwischen Morrissey und Johnny Marr, das öffentliche Zerwürfnis der Gallagher-Brüder und das vorläufige Ende von Oasis... Die explosive Dynamik zwischen Sänger und Gitarristen ist eine derartige Trope des Rock'n'Roll, dass Cameron Crowe in seinem wunderbaren Film „Almost Famous“ dieses Phänomen ebenso aufnahm. Graham Coxon ist ein Musterbeispiel eines kongenialen Rockgitarristen an der Seite eines brillianten Songwriters und Frontmannes. Der eine introvertiert, der andere extrovertiert, der eine Alkoholiker, der andere hyperaktiver Stoner (!), es war nur eine Frage der Zeit dass dieses Gemisch zu einer Explosion führen würde. Bereits bei den Aufnahmen zu Blurs sechsten Studioalbum „13“ (1999) wurde es immer schwieriger zwischen den beiden und beim Versuch 2002 eine weitere Platte aufzunehmen, verließ Coxon schließlich die Band, die dann als Trio noch „Think Tank“ (2003) herausbrachte und dann in den Vorruhestand ging.

Sechs Jahre später trafen sich Damon Albarn und Graham Coxon wieder, begruben das Kriegsbeil und beschlossen, wieder gemeinsame Auftritte zu absolvieren. Im Gegensatz zu den meisten solcher Comebacks erscheint es hier aufrichtig, dass sich vier alte Freunde, die einander Brüderersatz waren, wieder zusammenfanden um das miteinander zu tun was sie am besten konnten, und nicht vier Businesspartner aus finanziellen Gründen persönliche Differenzen hinten anstellten. Ihre Comebackshows bei Glastonbury und im Londoner Hyde Park waren für die Band selbst „die besten Gigs die wir je gespielt haben“ und wenn man auf YouTube oder sonstwo hineinschaut, dann kann man sich das gut vorstellen. Zum Record Store Day 2010 veröffentlichten sie am 1. April völlig überraschend eine kleine, unspektakuläre Single namens „Fool's Day“ und den Fans ging das Herz auf als sie Damon Albarns Stimme und Graham Coxons Gitarre wieder in ein und demselben Song hören konnten, nachdem Albarn mit seinen diversen anderen Projekten und Coxon mit seinen drei Soloalben sich getrennt musikalisch ausgetobt hatten. Ein Satz in „Fool's Day“ muss bei einigen Fans Hyperventilation ausgelöst haben: „the forthcoming dramas of studio / and the love of old sweet music / we just can't let go“. Ein neues Album?

Vier Jahre später war die Hoffnung verflogen. Keiner in der Band sprach mehr davon. Albarns Anmerkung auf einem Festival im Jahr 2013, dass die Band in einer Tourpause in Hongkong sich 5 Tage lang in ein Studio eingemietet und eine neue Platte aufgenommen hätten, schien sich nicht zu bewahrheiten: Albarn brachte sein erstes Soloalbum heraus und ging damit auf Tour. Und dann, im Februar 2015, platzte die Bombe: Coxon hätte das Material aus den Hongkong-Sessions mit dem alten Blur-Produzenten Stephen Street „aufgeräumt“ und zu Songs zusammengestellt, sie Damon Albarn vorgespielt, der so begeistert war, dass er zurück nach Hongkong flog um dort die Texte für das Album zu schreiben. Kurz danach war es fertig und vor drei Wochen ist es erschienen. 16 Jahre nach dem letzten Album als Quartett. Und die Feuilletons waren außer sich.

Es ist ein sehr gutes Album geworden, ein sympathisches Stück Musik mit einigen Anleihen aus der eigenen Bandvergangenheit, aus den diversen Seitenprojekten und auch einigen ganz neuen Ansätzen. „Lonesome Street“ ist old school Blur wie es kaum mehr old school geht, mit „Ong Ong“ ist eine ziemlich alberne Mitsing-Hymne für die Stadien dabei, „Go Out“ lässt Graham Coxons Noise-Gitarren freien Lauf und marschiert dazu breitbeinig „to the lo-o-o-o-ocal“, „Ghost Ship“ ist ein unwiderstehlicher Sommersong mit Südseegitarren und einem wunderbaren Reggae-Bass und „Thought I Was A Spaceman“ ist ein halbelektronischer Spaziergang durch eine dystopische Zukunft nach dem Zusammenbruch des Ökosystems. Was dem Album fehlt, und das lässt sich natürlich durch den Entstehungsprozess recht einfach erklären, ist ein roter Faden, eine Art Großes Ganzes.

Nach den „Britpop“-Standardwerken „Parklife“ und „The Great Escape“ begaben Blur sich 1997 weg vom crowd pleasing Pop und brachten mit „Blur“ ein Album heraus, das anstrengend war, das lärmte, knatterte, rauschte. Ausgerechnet „Song 2“ ist seitdem Blurs bekanntester Song, er hätte fast ein Nirvana-Song werden können, hätte man den depressiven Kurt Cobain mit einem hyperaktiven Damon Albarn ersetzt. 1999 dann kam „13“ und dort waren kaum noch Songs zu finden in all dem Lärm aus dissonanten Gitarrenwänden, unter die sich Albarns erschöpfte, zittrige, aufgewühlte Stimme mischte wie ein Geist. Ein Jahr vor Radioheads „Kid A“ war „13“ eine radikale Zerstörung des bisherigen Bandsounds, die seinesgleichen suchte. Die drei halbwegs freundlichen Songs „Tender“, „Coffee & TV“ und „No Distance Left To Run“ waren Trojanische Singles für ein unglaublich düsteres, grandioses Album voller Verzweiflung, Verlust und unbändiger Wut – Damon Albarn hatte sich zuvor von seiner langjährigen Partnerin Justine Frischmann getrennt. Und „Think Tank“, das Album das größtenteils ohne Gitarristen auskommen musste, wurde dadurch zu einem groovenden Meisterwerk der Einfachheit, in dem lediglich der viel zu typische Blur-Haudrauf-Song „Crazy Beat“ den Fluss des Albums störte.

„The Magic Whip“ nun ist ganz klar ein ziemliches Kuddelmuddel, ein bunter Strauß aus verschiedensten Stilen und Atmosphären und das vermindert ein wenig dessen Gesamteindruck. Dennoch ist das Jammern auf sehr hohem Niveau, schaffen es Bands doch seltenst nach langer Pause ein wirklich gutes Comebackalbum zu veröffentlichen, das nicht nach cash grab klingt, sondern nach vier Freunden die endlich wieder zusammen Musik machen. Es bleibt zu hoffen, dass sie das nicht gleich wieder sein lassen.

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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