Entschuldigung: optional

Mini-Exkurs Sprache Vor 15 Jahren "erfand" die Dudenredaktion per Wettbewerb das Wort "sitt" als Gegenstück zu durstig. Was sagen uns Lücken in der Sprache?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wenn der eine Danke sagt, sagt der andere Bitte.

Wenn der eine Thank You sagt, sagt der andere You're welcome.

Wenn der eine Merci sagt, sagt der andere De rien.

In den meisten Sprachen gibt es ein dementsprechendes Pendant. Natürlich gibt es auch noch Variationen, im Deutschen beispielsweise Gern geschehen, Nichts zu danken oder Da nich für. Aber im Großen und Ganzen ist das Bitte nach dem Danke vorgesehen. Wenn man also einmal davon absieht, dass Danke und Bitte auch inflationär verwendet werden, so wie wenn bei McDonald's jemand eine Bestellung in die Küche schreit (Konzernvorschrift: Antwort "Danke!" - das war vor etlichen Jahren, ich glaub das wurde schnell wieder abgeschafft), so gibt es eine sprachliche Norm für die Dankbarkeit und deren Erwiderung. Wobei ja die Dankbarkeit auch nur eine Erwiderung ist. Eine Erwiderung einer Tat, eines Gebens und Nehmens. Der Nehmende sagt Danke und der Gebende darauf (oder schon vorher) Bitte. Das muss natürlich nicht sein, wäre auch sehr merkwürdig wenn bei einem Rockkonzert nach dem Applaus der Sänger Danke ins Mikrofon sagt und ihm dann ein tausendfaches BITTE zurückschallt.

Aber nehmen wir einmal eine andere Situation. Jemand entschuldigt sich. An sich schon eine sprachhistorische Verdrehung durch Verkürzung, er bittet um Entschuldigung/Verzeihung. Entweder weil er etwas angestellt oder gestört hat, oder weil um Aufmerksamkeit bittet (Ankündigung einer Störung) oder weil er jemanden bittet zur Seite zu gehen (auch Ankündigung einer Störung). Es ist die Bitte an jemanden, eine Bitte um Nachsicht, ein Eingestehen einer Störung in der Vergangenheit oder Zukunft, die Bitte um Vergebung. Die Vergebung ist ein ganz fundamentaler Bestandteil der christlichen Konfessionen und auch der subtilen Unterschiede zwischen ihnen. Während Katholiken zur Beichte gehen müssen, sind Protestanten weitgehend automatisch schuldfrei wenn sie das Jenseits antreten (grobe Vereinfachung meinerseits).

Nur was ist mit der sprachlichen Erwiderung auf die Bitte um Verzeihung?

Wenn der eine Entschuldigung sagt, sagt der andere ... "Ist doch nicht schlimm." oder "Macht doch nix." oder "Schon okay."

Wenn der eine Sorry sagt, sagt der andere ... "No problem." oder "Don't worry." oder "It's no biggie."

Wenn der eine Pardon/Excuse-moi sagt, sagt der andere ... "C'est pas grave." oder "Pas de problème."

Es sind Behelfsformulierungen, da die Sprachen kein festes Pendant anbieten, zumindest diese drei nicht. Diese sprachliche Lücke scheint darauf hinzuweisen dass Vergebung nicht erwartbar ist. Sie ist optional. Und die meisten sprachlichen Behelfskonstrukte weisen auch nicht auf wirkliche Vergebung hin, mehr auf Relativierung der "Störung": "Nicht so schlimm"/"No biggie"/"C'est pas grave". "Entschuldigung angenommen", "I forgive you" oder ähnliches sagt man nur in ganz besonderen Fällen einmal.

Die Schuld ist also ein Konzept, das schwer zu tilgen ist, sagt uns die Sprache, und sie ist von Fall zu Fall zu betrachten und zu bewerten. Dankbarkeit hingegen verdient eine freundliche Erwiderung.

Auch wenn sie oft zu fürchterlichen Missverständnissen führt und zweckmissbraucht wird - ich mag Sprache.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden