Fade Out Again

Radiohead Die Oxforder Band hat ihr neuntes Studioalbum, "A Moon Shaped Pool" veröffentlicht. Warm und düster zugleich klingt es irgendwie nach Abschied

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Fade Out Again

Mark Metcalfe / AFP / GETTY IMAGES

Seit dem Album In Rainbows 2007 und dessen Veröffentlichungs-Coup haben Radiohead ein gutes Händchen für Albumpromotion oder das Fehlen einer solchen bewiesen. Das gestern erschienene A Moon Shaped Pool wurde erneut nur einen Tag vor der Veröffentlichung angekündigt, eine Woche zuvor hatte die Band ihre Website und ihre Social Media Accounts komplett leergefegt und auf eine leere weiße Seite reduziert, nur um kurz darauf nacheinander zwei Musikvideos zu präsentieren, die sowohl musikalisch als auch visuell nicht unterschiedlicher sein könnten. „Burn The Witch“, bebildert mit einer Knetmasse-Animations-Nacherzählung des Films „The Wicker Man“, ist eine hochtypische bedrohliche Radiohead-Hymne mit hektischen Streicher-Stakkatos und einem pulsierenden Beat aus einer alten analogen Drummachine, „Daydreaming“ hingegen eine Pianoballade im ähnlichen Fahrwasser wie „Codex“ auf dem letzten, etwas unausgegorenen Album The King Of Limbs. Im Video von Regisseur Paul Thomas Anderson (Magnolia, Boogie Nights, The Master etc.) spaziert ein ganz schön alt und fertig aussehender Thom Yorke durch tausend Türen und Räume, durch Einkaufszentren, Privatwohnungen, leere Fabrikhallen, Strände, nur um sich am Ende in einer Höhle in einer Eislandschaft vor ein Lagerfeuer zu kauern, während eine gespenstisch verfremdete Rückwärts-Stimme angeblich „half my life, half my life“ grollt.

Nach diesen zwei krass gegensätzlichen Songs, die das Album eröffnen und in denen man außer Piano und Bass in „Daydreaming“ keinen tatsächlich live spielenden Musiker der Band zu hören bekam, kommt mit „Decks Dark“ der Radiohead-Bandsound zurück, der besonders In Rainbows geprägt hat: Sehr trockenes, spärliches Schlagzeug, wunderbar tropfende Pianoklänge und zurückgenommene E-Gitarren, stets kurz vor einem lauten Ausbruch, der aber nie passiert. Das entspannteste Radiohead-Stück nach „Seperator“ auf dem letzten Album. „Desert Island Disk“ dann gibt sich vollends einer in Radiohead-Harmonien getunkten Folkatmosphäre hin, die auch von Nick Drake oder Elliot Smith hätte stammen können. Spätestens hier wird klar: Die entspannten Radiohead der zweiten Hälte von The King Of Limbs sind uns erhalten geblieben. „Burn The Witch“ war in Wirklichkeit ein sehr trügerischer Opener. Aggressive Töne und laute Crescendos gibt es hier nicht mehr, am ehesten noch bei „Ful Stop“, dessen Drums aber auch drei Minuten erst einmal durch einen Filter gedreht wummern bis die volle Band für einen allzu kurzen Moment so klingt „wie früher“, wozu passenderweise Thom Yorke jauchzt „Ah the good times! / Take me back again!“. Ein Highlight.

„Glass Eyes“, das Mittelstück des Albums, stellt die von Gitarrist und Filmkomponist Jonny Greenwood grandios arrangierten Streicher in den Vordergrund, der Song wirkt aber mehr wie eine Nebenbemerkung, bevor mit „Identikit“ ein Song folgt, den die Band auf ihrer letzten Tour ausgiebig live gespielt hatte, und der live tatsächlich etwas fieser und härter war als in dieser dem Albumsound angepassten Version, die allerdings mit einem sehr eigenartigen Gitarrensolo endet, das einem ein breites Grinsen ins Gesicht malt. „The Numbers“ ist eine langsam rollende Alternative-Folk-Nummer, die man auch in den frühen 70er Jahren verorten könnten. Wie der Großteil des Albums kommt auch dieser Song ohne eine klare Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Struktur aus und rumpelt eher hypnotisch voran, bis wieder geisterhafte, düstere Streicherattacken das Ruder übernehmen.

„Present Tense“ ist eine wunderbare, leise tanzende Folkhymne, in denen die unverwechselbaren Radiohead-Akkorde Thoms aus tausend Echos herausragende Stimme tragen wie auf Wolken. Wo das melodisch artverwandte „Jigsaw Falling Into Place“ auf In Rainbows noch treibend nach vorne peitschte, hat Thom Yorke hier eher Resignation in seiner Stimme: „All this love will be in vain“.

Bei „Tinker Tailor Soldier Sailor Rich Man Poor Man Beggar Man Thief“ kommt noch einmal das düstere Elektronikamoment von Kid A und Amnesiac zum Zug, das in einem Gewittersturm von Jonny Greenwoods cineastischen Streichern ertränkt wird, bis der mit Abstand älteste Song auf dem Album, „True Love Waits“, das Album mit verzweifelter Hoffnung in die Nacht verabschiedet.

Ein wunderbar warmes Album ohne große hymnische Momente, ohne sofort hängenbleibende Melodiebögen, ohne jeden Funken Aggressivität und ohne nennenswerte Erneuerungen im ohnehin schon sehr breitgefächteren Sound der Band. Ein traurig-schöner Schwanengesang, ob nun auf Thom Yorkes letztes Jahr zerbrochene Ehe oder vielleicht auf Radiohead an sich. Es klingt wie ein leises goodbye. Und man möchte mit Yorke am Ende von „True Love Waits“ mitheulen: „Just don't leave! Don't leave!“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen