Parasiten und Symbionten: Aronofskys "Noah"

Film Eine Bibelverfilmung, die Gläubigen wie Nicht-Gläubigen viel zu sagen hat. Und vieles davon will man lieber nicht hören. PS: Spoiler Alert.

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Als der Film „Noah“ mit Russell Crowe in der Hauptrolle, unter der Regie von Darren Aronofsky (Requiem For A Dream, Black Swan, The Fountain etc.), in die Kinos kam, hatte er schon eine ganze Menge Aufregung erzeugt. Bei Aronofsky-Fans, die nicht verstanden, warum er einen Bibel-Film macht, bei religiösen Menschen weil der Film angeblich nicht wortgetreu zur Geschichte in der Bibel sei. Im Nahen Osten wurde der Film gleich in mehreren Ländern verboten. Aus meiner Sicht beste Voraussetzungen für einen gelungenen Kinoabend.

Aronofsky nimmt sich jede Freiheit, die er als Künstler hat, und scheut nicht davor zurück, fromm gläubige Menschen vor den Kopf zu stoßen.* Und doch hat er die Essenz des biblischen Märchens von der ersten (Beinahe-)Ausrottung der Menschheit durch ihren Schöpfer bewahrt und daraus eine aufrichtige Geschichte von Moral und Verantwortung gemacht, ein Manifest des environmentalism, ein Film sowohl für Gläubige als auch für Nicht-Gläubige, die aber die Erhabenheit der Natur, des Ökosystems, des Universums hochhalten. Brilliant kombiniert der Regisseur in einer spektakulären Zeitraffer-Sequenz die Geschichte von Schöpfung mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen auf dem Stand des 21. Jahrhunderts, vom Urknall bis zu Darwins Evolution. Die Sequenz endet bei Adam und Eva, leuchtende haarlose nackte Schemen im Garten Eden, und doch ist das letzte das man davor sieht, ein Menschenaffe.

So sehr er damit Kontroverse ausgelöst hat, Aronofsky ist auf Versöhnung aus in diesem Film. In einer Zeit in der wieder eine Art Kulturkrieg begonnen hat zwischen Wissenschaft und Religion. Die Evolution wird wieder zu einer „Theorie“ zurückgestuft und Kreationismus wird an Schulen gelehrt als gleichberechtige Lehre zu der der Evolution. Dass der Klimawandel unter anderem menschengemacht ist, ist wissenschaftlicher Konsens. Und doch ist das Meme climate change is a hoax mittlerweile salonfähig geworden. Die Wissenschaft wird als kalt, mathematisch, herzlos empfunden, als nicht in der Lage, Schönheit, Staunen, Erhabenheit, Seele anzuerkennen oder befriedigend zu erklären. Und warum das Universum entstanden ist, kann sie auch nicht sagen.

Aronofskys „Noah“ strickt aus der bemerkenswerten Geschichte in der Bibel, in der der unfehlbare Schöpfer der Welt sich schuldig fühlt, den destruktiven, zerstörerischen Menschen erschaffen zu haben und daraufhin erstmal den gesamten Planeten auslöscht, einen auf andere Weise ebenso bemerkenswerten Film, der die Sorgen des „Schöpfers“ (das Wort „Gott“ fällt nicht in diesem Film) und seines Dieners Noah ernstnimmt. Und Noah nimmt es so radikal ernst, dass er beinahe zum Monster mutiert, das die ein Fortbestehen der Menschheit ermöglichenden Zwillingstöchter, die seine Adoptivtochter (Emma Watson) an Bord der Arche auf die Welt bringt, bei der Geburt töten will, damit das ganze Elend nicht wieder von vorne beginnt. Doch im letzten Moment bringt er es doch nicht übers Herz.

Und als die Arche sicher auf dem Trockenen gelandet ist und die Tiere in die neue Welt wandern, sieht man Noah wie er sich einsam am Strand betrinkt über seine Verfehlung, eine erneute menschliche Fortpflanzung nicht verhindert zu haben, dann versteht man ihn auf schauerliche Art und Weise. Wie unsere Welt heute aussieht ist vergleichbar mit der Welt von Tubal-Cain, der den Mensch als Krone der Schöpfung sieht und dafür bestimmt, den Planeten auszuplündern. Viele Menschen empfinden Scham darüber was wir aus dem Planeten gemacht haben, einige sagen sogar dass der Mensch eine Art Virus ist, der getilgt werden muss. Und das sind nicht nur fanatische Sektenführer.

Zwei Gesellschaften werden zu Beginn in „Noah“ gegenübergestellt: Eine brutale industrialisierte Menschenkultur unter Führung von Tubal-Cain (Ray Winstone), ein veritables Sodom & Gomorrha, und auf der anderen Seite die Familie Noahs, die nomadisch und abgeschieden vom Rest der Menschheit durch die karge Landschaft zieht, stets darauf bedacht, von der Natur „nur zu nehmen was uns nützt“ und die hübsche Blume, die der Sohn pflücken will, stehen zu lassen. Der Mensch im friedlichen Einklang mit der Natur, eine vegane Version des vielbeschworenen Goldenen Zeitalters. Es ist ein starker Kontrast, einer der uns allen zu schwierig erscheint. Wir glauben nicht, unsere Lebensart komplett ablegen zu können und quasi in den Dschungel zurückzukehren. Und doch können wir uns fragen: Gibt es überhaupt einen anderen Weg?

Wenn man sich die Schöpfungs-Zeitraffer-Sequenz ansieht, bekommt man ein Gefühl der Ehrfurcht. All das was jetzt existiert, brauchte Jahrmillionen um zu wachsen, zu entstehen, sich zu entwickeln, und der Planet Erde ist ein Juwel in diesem Universum. Doch alles was wir als Menschen auf die Reihe bringen ist Zerstörung und mutwilliges Eingreifen in den Lauf der Dinge. Organisationen wie Greenpeace oder mit einigen Abstrichen der WWF versuchen ihr menschenmögliches, der schier unaufhaltsamen Entwicklungen beizukommen, ein wenig entgegenzusteuern. Aber sobald Monsanto weltweit genmanipulierte Samen verstreut hat, ist auch das nicht mehr zurückzunehmen. Irgendwann ist der letzte Thunfisch gegessen, der letzte Urwaldbaum gefällt, irgendwann stirbt die letzte Bienenkönigin. Und dann können wir uns alle fragen, ob es nicht besser gewesen wäre, rechtzeitig zu bemerken dass wir nicht die Macht haben alles zu zerstören um dies auch konsequent zu tun, sondern um aus dieser Macht Verantwortung zu lernen. Das wusste schon Spidermans Onkel. Und gäbe es einen Gott, er wäre gut beraten, sich das nocheinmal zu überlegen, was er nach der Flut versprach: Die Menschheit nicht noch einmal auszurotten.

Ich möchte das natürlich nicht. Ich möchte gern leben. Ich möchte gern sehen wie wir uns verändern, wie wir aus Parasiten wieder Symbionten werden. Doch jeder Tag nährt meine Zweifel. Der Film „Noah“ hat mir beides vermittelt: Den Zweifel an der Menschheit wie den Glauben an die unbedingte Notwendigkeit, die Natur, den Planeten zu bewahren und dabei immer bei sich selbst zu beginnen. Und wenn nach einem in Regenbogenfarben leuchtenden Signal des „Schöpfers“ am Ende des Films dann im Abspann die Grabesstimme von Patti Smith erklingt, habe ich das Gefühl, Darren Aronofsky sieht das ähnlich.

NOAH (2014)

Directed by Darren Aronofsky
Written by Darren Aronofsky and Ari Handel
Director of Photography: Matthew Libatique
Production design: Mark Friedberg
Music: Clint Mansell

Starring: Russel Crowe, Jennifer Connelly, Ray Winstone, Emma Watson, Logan Lerman, Douglas Booth, Nick Nolte and Anthony Hopkins

*Die Einbeziehung von sogenannten gefallenen Engeln (Watchers) in die Geschichte wirkt zu Beginn erst einmal äußerst merkwürdig. Als sie allerdings erklärt werden, sind die visuellen Entscheidungen Aronofskys sowohl nachvollziehbar als auch beeindruckend.

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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