Unheimliche Begegnung mit Schlapphut

Verschwörungstheorie Ein Gespräch mit einem Unbekannten in einer Bar entwickelte sich zu einer Reise ins Herz der Finsternis.

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Man muss sich die Ausgangssituation so vorstellen: Ein Abteilungsleiter eines Energieversorgers, ein traumatisierter Marineoffizier und ein Musiker diskutieren im überdachten Außenbereich einer Stammkneipe, die eigentlich mittlerweile mehr ein Restaurant ist, über den IS, über eine bevorstehende Mittelmeermission der deutschen Marine in Richtung Naher Osten von der noch nirgends zu lesen oder zu hören war, über potentielle zivile Opfer und die Befehlskette. Es war also bereits eine intensive Unterhaltung zwischen drei völlig verschiedenen Menschen, die sich allerdings gegenseitig sympathisch waren.

Eine Frau um die 50 kam zu unserem Tisch und fragte ob wir von der Diskussionstruppe seien, mit der sie verabredet war, weil sie uns über Syrien und Irak reden hörte und es in ihrer Gruppe auch darum gehen sollte. Wir verneinten, boten ihr aber an sich zu uns zu setzen. Zunächst kamen wir auf die beiden malaysischen Flugzeuge und ihren Verbleib bzw. den Grund ihres Absturzes/Verschwindens und auf die eine oder andere Theorie dazu. So gab es die Äußerung dass das erste Flugzeug nicht gefunden wurde weil man bewusst an der falschen Stelle gesucht habe, in Wahrheit wäre es im chinesischen Hoheitsgebiet abgeschossen worden weil es vom geplanten Kurs bewusst abgewichen sei um Kerosin zu sparen aufgrund finanzieller Engpässe bei Malaysian Airlines. Das waren die Theorien des Marineoffiziers, der meinte dazu auch Fakten zu haben, die aber natürlich geheim seien, da es sich um eine bewusste Vertuschung handle, um keinen Konflikt mit China zu provozieren.

Die uns unbekannte Frau hatte andere Theorien, die sich um Pharmaverschwörung, AIDS und ein US-Patent drehten, das wohl fünf Menschen gehörte, von denen vier in dem Flugzeug waren und nun der letzte alleiniger Patenthalter sei. Inzwischen waren auch die Diskussionskollegen der Frau aufgetaucht: Alles sympathisch aussehende Menschen zwischen 45 und 60 Jahren, von Kleidung und Gebaren hätte ich sie in eine Schublade gesteckt auf der „Sozialpädagogen, Lehrer, Grünen-Wähler“ stehen könnte. Neben mich hatte sich ein Mann mit Schlapphut gesetzt, ich schätze so Mitte 50. Er hatte das Thema AIDS-Forscher beim über der Ukraine abgeschossenen zweiten Flugzeug mitbekommen und brachte seinen ersten Punkt: AIDS ist gar nicht real, AIDS ist eine Propagandalüge. Er holte weit aus und nannte ständig Namen von Autoren aus deren Werken er sein „Wissen“ bezog.

Ich hinterfragte ihn meist sofort wenn mir etwas komisch vorkam, da er mir genauso argumentierte wie andere: Ich habe das in einem Buch gelesen, deswegen stimmt es, und was in allen anderen Büchern steht ist eine Propagandalüge um das Volk dumm zu halten. Die Chemtrails kamen überraschenderweise nicht zu Wort. Auf all meine kritischen Einwürfe, gerade die Frage was ihm die Sicherheit gibt, dass all die Namen die er aufzählte und von denen ich noch nie etwas gehört hatte die Wahrheit sagten, wenn er gleichzeitig dem „uninformierten Volk“ Leichtgläubigkeit vorwarf, wich er aus und brachte neue Bücher und neue Namen, die das bestätigen würden.

Als nächstes kam der menschengemachte Klimawandel dran, man konnte die Verschwörunguhr nach dem Mann mit Hut stellen. Die Mondlandung, 9/11, Klimawandel: alles fake, alles Propaganda, alles Manipulation. Die Greatest Hits der Verschwörungstheoretiker. Und ich bin nun wirklich kein eiserner Ablehner von solchen Theorien, zu viele haben sich in der Vergangenheit bestätigt. Und es werden sich noch viele weitere bestätigen, da bin ich mir sicher.

Doch so geballt mit immer der gleichen Argumentationsbasis („Du musst einfach das Buch X von Autor Y lesen, dann wirst du verstehen...“) begann ich, langsam aus der Konversation auszusteigen, zumindest aus dem neugierigen Part. Ich wurde abweisend. Jeder einzelne Punkt von ihm wurde von mir sofort hinterfragt, zerstückelt, abgelehnt. Und ich war nicht sonderlich stolz auf mich. Doch der Hutmann ließ sich davon nur noch anstacheln. Irgendwann fiel der Satz „Hitler hat gar nicht den 2. Weltkrieg angefangen, es blieb ihm nichts anderes übrig als sich gegen Polen zu verteidigen.“

Dass dieser Satz im Zusammenhang mit dem Punkt fiel dass die Geschichte von den Siegern geschrieben wird und man ihr deswegen nicht trauen kann, einem Satz also dem ich klar zustimmen kann, spielte keine Rolle mehr. Jetzt waren wir auf einem ganz anderen Planeten gelandet. Und es dauerte nicht mehr lang bis er eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, einen gewissen Teil der Menschheit ausgemacht hatte, die schlichtweg das Böse darstelle. Ich versuchte mit meinen letzten argumentativen Kräften darauf hinzuweisen dass „gut“ und „böse“ keine Charaktereigenschaften sind, und schon gar nicht ist eine ganz klar definierte Gruppe komplett böse, da brachte er seinen letzten Punkt: Er nannte die Gruppe die er meinte. Er umschrieb sie, ihren Namen zu sagen schien ihm wohl zu gefährlich. Er sprach von „denjenigen die nur das alte Testament lesen“, den „Jachwe-Jüngern“. Hier saß ich also eine Stunde mit einem Schlapphut tragenden Bioladen-Aficionado zusammen um am Schluss von ihm zu hören, dass Hitler unschuldig ist und die Juden das Böse auf der Welt darstellen.

Ich sagte zu ihm „Ab hier höre ich dir nicht mehr zu“ und hab mich versucht, wieder mit dem Marineoffizier zu unterhalten, der allerdings auch mit einer anderen Vertreterin der Mittwochabend-Diskussionsgruppe in einer Auseinandersetzung feststeckte. Schlapphut neben mir hörte nicht auf weiterzufaseln, weiter zu begründen warum die Juden das personifizierte Böse auf Erden seien, ich sagte ihm mehrmals er möge aufhören mit mir zu reden, aber es war zwecklos, es sprudelte geradezu aus ihm heraus. Also gabs ein lautes „Fick dich!“ und den Mittelfinger von mir und meinen schnaubenden Abgang. Kaum ein souveräner Abgang, aber ich war sowohl mit meinem Latein am Ende als auch so knapp davor ihn zu verprügeln (was ich noch nie in meinem Leben getan habe) dass es besser war, ich kratz die Kurve. Ich wollte dem Wirt noch ein Hausverbot für Schlapphut oder die ganze Gruppe vorschlagen, habe es mir aber verkniffen. It's a free country, you know.

Bei der gerade wegen ihrer Werbekampagne und Wortwahl im Vorfeld vielgescholtenen „Toleranzwoche“ der ARD wäre meine Geschichte wahrscheinlich ein Beispiel für die tatsächliche Bedeutung von Toleranz: Dass ich diesem antisemitischen Verschwörungsarschloch keine in die Fresse gehauen habe, ihn nicht angezeigt habe, ich nicht hab rausschmeißen lassen. Manche würden es wohl Feigheit nennen.

Was hättet ihr getan?

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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