Artists for Future – Jess Jochimsen ist dabei

Klimastreik - Künstler zeigen Haltung. Interview mit Jess Jochimsen über Artists for Future, Schulstreiks, Klimawandel, Politik-Profis und Zukunftsvisionen. Wie wär's denn mal schön?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Eine Welle der Solidarität für die Fridays for Future streikenden Schüler schaukelt sich auf. Nachdem sich Eltern mit Parents for Future hinter die Kids gestellt haben sorgten weit über 26.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ihrer Solidarität für Furore. Nun schließen sich Menschen aus Musik, Bildender Kunst, Literatur und Darstellender Kunst zusammen, um das Kernanliegen der Proteste zu unterstützen: Die Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens. Jess Jochimsen, Autor, Kabarettist, Fotograf und Musiker aus Freiburg, ist einer der Erstunterzeichner*.

Eingebetteter Medieninhalt

Wie kam es dazu?

Der Aufruf kam von Michael Feindler, einem jungen, sehr talentierten Kabarett-Kollegen, der übrigens vor kurzem in Freiburg, im Vorderhaus aufgetreten ist. Wir sind in der Szene sehr gut vernetzt, der Aufruf hat innerhalb weniger Tage mehrere Hundert Künstlerinnen und Künstler aktiviert. Natürlich war ich sofort dabei. Ich finde Fridays for Future toll, die ganze Bewegung ist super. Es ist ja eigentlich peinlich, dass es das gebraucht hat, dass die Kinder den Alten auf die Füße steigen. Ich bin auch sehr gespannt, ob das bei der Europawahl Ergebnisse zeitigt. Mich interessiert das zum Beispiel beim Abschneiden der FDP. Denn es sind doch eine ganze Menge Jungwähler und Jungwählerinnen dabei.

Warum gerade bei der FDP?

Naja, der Lindner hat sich als Oberlehrer schon ziemlich weit vorne positioniert. Er hat gesagt, wenn sie nachmittags protestieren, dann stellt er sich auch dazu und demonstriert mit – womit die Pointe ja auf der Hand liegt: Ein Grund mehr, vormittags zu demonstrieren! Es gibt keinen Kollegen, keine Heuteshow, keine Sendung, die das Ding nicht gemacht hat. Es ist zwar nicht mein kabarettistischer Schwerpunkt, aber die Gags liegen ja momentan förmlich auf der Straße, im Klimabereich.

Die Kids haben ja am Karfreitag demonstriert, aber Lindner war nicht da.

Darum geht’s ja auch gar nicht. In der Klimathematik bewegt sich einfach was und man merkt das jetzt auch in der Szene immer mehr. Es gibt ganz viele Festivals, die zumindest klimaneutral arbeiten. Die sind ja jung und trendy, das ist genau das, von dem beispielsweise Harald Welzer immer spricht. Die Event-Leute schreiben sich das gar nicht auf ihre Fahnen, die wollen ein cooles Festival sein. Da gehört das einfach dazu – Handys werden Solar geladen, es gibt keine Plastikflaschen, für Strom wird gestrampelt, – das geht ja alles ganz normal, ohne dass man sagt „hey, wir sind jetzt das grünste Festival.“

Das heißt „klimaschonend“ wird das neue „normal“?

Die Entwicklung ist da. Sogar die Gerüste werden zum Teil per Bahn transportiert, das ist zwar aufwendiger, aber machbar und es sind noch nicht einmal die Konzertticket-Preise teurer. Allen Unkenrufen zum Trotz. Klimaschutz wird auf allen Ebenen Einzug halten. Unsere Kids haben keinen Führerschein. Und die wollen auch keinen. Das ist ihnen nicht wichtig. Das ist nicht mehr das Statussymbol von früher. OK, es sind Stadtkinder. Mit dem ÖPNV auf dem Land sieht’s ganz anders aus. Aber das ändert sich gerade und das ist doch toll.

Wie sieht es mit dem eigenen Nachwuchs aus. Lässt die elterliche Begeisterung für Fridays for Future nach, wenn die Zensuren wackeln?

Bei uns stellt sich die Frage nicht, denn die Schule ist abgeschlossen. Ich bin sowas von fein raus bei dieser Frage. Aber ich habe viele Freundinnen und Freunde die Lehrer sind. Also, bei den meisten kriegt man’s ganz gut koordiniert. Das wird dann in den Lehrplan eingebaut. Bei denen, wo’s wackelt kann man auch mal sagen: “Du weißt, wo es brennt“. Aber man kann so einen Test auch mal verlegen. Unterm Strich ist klar: „Ihr müsst’s halt können“. Und dahin führen viele Wege, wobei die Lehrer, die das unterstützen, wissen, welche Angebote sie da machen können. Ich glaube, ein Schuljahr fällt aus – in G8 gerechnet – einfach durch ein knappes Schuljahr an Fehlstunden, durch „normalen“ Unterrichtsausfall. Da fallen die paar Freitage nicht ins Gewicht. Es sind sicher genug dabei, die werden ihr Abi auch so schaffen. Mag sein, dass es welche gibt, die es cool finden, das nur als Schwänzen zu nehmen, aber ich denke nicht, dass das die Mehrheit ist.

Warum?

Ich war auf der großen Demo in Freiburg am 15. März. Es war kalt und es hat geregnet und im Unterricht wär’s warm und trocken gewesen. Und dennoch waren sau-viele Leute da, fünf oder sechstausend. Am Stühlinger Kirchplatz ging‘s los. Ich war mit anderen Eltern im Parents-for-Future-Block. Ich habe große Hochachtung vor diesem Engagement. Jetzt bin ich eher gespannt, was nun passiert. Dass es überhaupt keine Reaktion geben wird, das kann ich mir fast nicht vorstellen, weil es ja doch eine sehr große Bewegung ist. Es ist einer ganzen Generation ein Anliegen, da kann man nicht dran vorbeigehen.

Es gibt immerhin ein CO2-Budget, dessen Ausstoß wir nach Auffassung der Wissenschaft nicht überschreiten dürfen, wenn wir das irreversible Entgleisen des Klimas vermeiden wollen. Das ist in rund elf Jahren aufgebraucht. Macht dieses Wissen Angst um die Zukunft der Kinder?

Ich bin eigentlich ein positiver Mensch. Und ich glaube, die Veränderung wird passieren.
Man sieht‘s ja in einigen Bereichen schon. Es gibt Technologiezweige, wo es wunderbar klappt. Und dann wieder solche, in der „ach so freien Marktwirtschaft“, wo irre Steuerungen vom Staat das Auto protegieren und über Jahre hinweg Innovationen verhindert haben. Ganz oft sind es keine technischen Hürden, sondern einfach nur der politische Wille. Und es geht drum, dass wir mitgestalten können. Die Transformation muss „by design“ und nicht „by disaster“ laufen.

Wer Forderungen stellt, wird schnell nach dem persönlichen Lebenswandel gefragt und danach, welche Veränderungen man selbst mittragen will.

Das erwischt mich jetzt nicht kalt, denn ich mache schon eine Menge. Ich weiß auch, wo ich sündige. Da geht noch eine Menge. Natürlich habe ich auch das Glück, dass die Orte meiner Sehnsucht alle mit dem Zug erreichbar sind. Ich muss also nicht auf’s Fliegen verzichten. Ich fliege einfach so gut wie nie. Aber die Klima-Debatte eröffnet auch neue Perspektiven: wir haben irgendwann angefangen mit Wandern im Schwarzwald. Das ist super. Das kannte ich nicht, obwohl ich schon so lang hier wohne. Ich muss dafür nicht ins Salzkammergut mit dem Auto fahren, um da zu wandern.
Ich gehöre auch nicht zu denen, die einem Veggieday verteufeln, was angeblich so viele Wählerstimmen gekostet haben soll. Warum denn nicht? Da kann man doch mal drüber diskutieren, die Idee ist doch toll. In der katholischen Kirche war das ok: Freitags kein Fleisch. Warum muss das alles immer so hochmoralisch sein? Man könnte die Diskussion auch ins Schöne drehen und fragen: Wie wär’s denn gut? Wie würde es denn Spaß machen, zu leben? Es ist doch cool, nicht in der Blechkiste zu sitzen und der Stau zu sein. Es ist eigentlich geiler mit dem Fahrrad.

Wie sieht‘s aus, wenn die Veränderungen bis vor die eigene Haustür kommen, wenn dort Windräder gebaut werden sollen?

Ich glaube, die machen Sinn, was die Energiegewinnung betrifft. Der Betreiber hat sich was überlegt, da an diesem Ort. Die machen das ja nicht zum ersten Mal. Ich persönlich finde Windräder ganz schön, tausend Mal schöner als diese großen Schornsteine von Atomkraftwerken. Was die Vögel- und Insekten-Argumente angeht, das kann man nachlesen, dass die Schwachsinn sind. Wenn die Windräder von der Energiegewinnung an diesem Standort sinnvoll sind, wäre ich der letzte, der dagegen ist. Die tun mir nichts. Die sind nicht laut. Die stören auch mein ästhetisches Empfinden nicht. Wieso soll ich sie woanders gutheißen, aber nicht bei mir um die Ecke?
Ich habe jetzt gelernt, wie diejenigen heißen, die sagen „Windräder super, nur nicht, wenn ich da drauf schaue“: Nimbys – not in my backyard. Ich bin ein großer Freund von kleinen, dezentralen Windparks. Zwar sagen ständig alle „Macht‘s doch draußen auf dem Meer, da stört’s niemanden.“ Erstens stimmt das nicht, dass es niemanden stört. Und zweitens sind es immer dieselben großen Player, die da den Reibach machen können. Ich bin für die Dezentralisierung der Stromgewinnung. Und ich kenne keine rationalen Argumente gegen die Windräder im Schwarzwald. Deshalb nochmal: Wegen mir gern! Ich wohn‘ da auch! Ich seh‘ die auch jeden Tag!
Ich finde es eher erstaunlich, dass das so politisiert wird. Die Leute wollen ja keine Atomkraft. Und keine Kohlekraft. Es scheint egal zu sein, was dahin kommt. Nur keine Veränderung! Das ist so zukunftsarm. So wenig Lust darauf, wie man gerechter und toller und mit mehr Spaß leben würde!

Zusperren und hoffen, dass alles wieder so wird wie früher. Klingt nach dem Bühnen-Programm** „heute wegen gestern geschlossen“. Weil gestern einfach alles zu viel war, machen wir heute zu: den Laden, die Grenzen, das Herz, das Hirn …

Genau das ist einer der Hauptpunkte meines aktuellen Programms: dieses „keine Idee von der Zukunft zu haben“. Keinerlei Erzählung, wie es schön wäre. Auch technisch nicht. Es gab mal ein Zeitalter, da hat man von technischem Fortschritt nur so geträumt. Da gibt es ein Buch von meinem Lieblingsfotografen Martin Pahl mit dem Titel „Boring Postcards“. Eine Sammlung aus den 60ern und 70ern von Postkartenmotiven, bei denen Kommunen wie z.B. Freiburg nicht das Martinstor fotografiert haben, sondern den Autobahnknoten von oben, Brücken und schrecklichstes Zeug. Das war damals Fortschritts-Ästhetik. Man war stolz darauf. Heute haben die Menschen andere Perspektiven. Unsere Großeltern haben noch gesagt: “Unsern Kindern soll es einmal besser gehen.“ Und was wir heute zwar nicht laut sagen, aber doch denken ist „Hoffentlich geht’s unseren Kindern in Zukunft nicht allzu viel schlechter als uns jetzt“. Das ist armselig, wenn man die Zukunft der Kinder in Geiselhaft nehmen muss. Visionslos.

*Mehr Infos zum Artists-for-Future-Appell: https://artistsforfuture.org/de/

und zum Who-is-who der Unterzeichner: https://artistsforfuture.org/de/unterzeichnende/

**HEUTE WEGEN GESTERN GESCHLOSSEN - Kabarett. Songs. Dias.

https://www.jessjochimsen.de/termine/alle/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kommentarfunktion deaktiviert

Die Kommentarfunktion wurde für diesen Beitrag deaktiviert. Deshalb können Sie das Eingabefeld für Kommentare nicht sehen.