„Dat is Physik!“

Alternative Fakten: Über Treibhausgase und Flüchtlinge. Wenn Populisten es aus Versehen bis in die Top TV-Satire schaffen ...

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Das will keiner selbst erleben: Man trägt öffentlich eine These vor, ein Satire-Magazin zeigt ungekürzt und unverändert die Kernaussage und die Nation quietscht vor Vergnügen ob der Dummheit ohne Obergrenze, die da zur Schau getragen wurde. Derzeit kursiert eine extrem steile These zu Flüchtlingen und Klimawandel, vorgetragen im Bundestag am 18.1.18 von Dr. Rainer Kraft, AfD: Weil der gemeine Mitteleuropäer einen CO2-Fußabdruck habe, der dem Zehnfachen dessen eines Afrikaners entspreche, verschlimmere man den Klimawandel dadurch, dass man die Menschen nach Deutschland fliehen lasse.

Muss man wirklich so weit über rechtsaußen kommen, um sich argumentativ so extrem zu verrennen? Und ausgerechnet der Mann, der den Flüchtlingen den Klimawandel in die Schuhe schieben will, hat wenige Tage zuvor, mit fundamentaler Unkenntnis physikalischer Zusammenhänge, seiner eigenen Behauptung die Grundlage entzogen: „Es gibt keinen Treibhauseffekt“ fabulierte der klimapolitische (!) Sprecher der AfD wortwörtlich im ARD-Magazin Kontraste vom 18.1.2017: Von der Nische in den Bundestag). Ja was denn nun? Kann man sich tatsächlich in zwei entgegengesetzte Richtungen so heftig verrennen? Und muss man jeweils so weit rechts außen bleiben, damit man nicht mit sich selbst kollidiert? Zumindest rennt man mit weitem Abstand an einer einfachen Erkenntnis vorbei: für etwas, was es nicht gibt, braucht es keine Schuldzuweisungen.

Um die Frage zu klären, ob es den Treibhauseffekt gibt, hilft ein wenig Schulwissen: Es gibt Moleküle, die Infrarot-Strahlen – also den Wärme-Anteil der Sonnenstrahlen - absorbieren können. Das hat übrigens nichts mit politischer Willensbildung auf molekularer Ebene zu tun, sondern ist einzig den Naturgesetzen geschuldet. Grundvoraussetzung für die Fähigkeit zur Infrarot-Aktivität: das Molekül muss aus drei oder mehr Atomen bestehen. Damit fallen die Hauptbestandteile der Luft, nämlich Stickstoff (N2, 78%) und Sauerstoff (O2, 21%) als Klimagase aus. Sie bestehen nur aus jeweils zwei Atomen – in Analogie zu politischen Parteien: da sind sich jeweils zwei Gleiche einig und es gibt keine Flügelkämpfe und innerparteiliche Asymmetrien, die zu hitzigen Deformationen und Schwerpunktgerangel führen.

Anders sieht es bei Kohlendioxid (CO2) aus, aber auch bei Wasserdampf (H2O) oder Methan (CH4): Infrarot-Strahlung führt bei diesen Molekülen zu asymmetrischen Streck- und Beugeschwingungen. Dadurch verschiebt sich innerhalb des Moleküls der Ladungsschwerpunkt – ein bisschen so, als wollte man einen Mini-Hufeisenmagnet in den Spagat zwingen. Weil die Natur es also so eingerichtet hat, dass diese Klimagase Teil der Erdatmosphäre sind und dort als kleine aber effektive Minderheiten die Wärmestrahlung der Sonne absorbieren, können wir überhaupt auf diesem Planeten leben.

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Der Anteil des CO2 beträgt nur 0,04%. Als Rainer Kraft im Chemiestudium nicht aufgepasst hat, waren es noch 0,035%. Bei 0,03% lag er 1945, als europaweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht waren, vor dem Krieg den die Nationalsozialisten angezettelt hatten. Die Geschichten, die sich die Flüchtlinge von damals mit den Flüchtlingen von heute von Mensch zu Mensch zu erzählen haben, sind übrigens fast die gleichen. Unbedingt zuhören, noch bevor man selbst auf die dumme Idee kommt, Flüchtlinge für den CO2-Anstieg verantwortlich machen zu wollen. (Flucht 1945 und heute, ab Feb. 2018 unter https://www.youtube.com/Deutschland3000 )

Zurück zur Naturwissenschaft: Wesentlich erfolgreicher als der Chemiker Rainer Kraft war seinerzeit der Physiker John Tyndall, der schon 1859 diejenigen Spurengase untersuchte, die für den natürlichen Treibhauseffekt verantwortlich sind. Diese Experimente gehen übrigens auf die Entdeckung einer Frau zurück: Eunice Foot musste am 23. August 1856 einen Mann vorschicken, um ihre eigenen Entdeckungen zum Einfluss bestimmter Spurengase auf die Erdtemperatur beim Kongress der Amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Naturwissenschaften (AAAS) vorzustellen. Auch Tydall konnte 3 Jahre später die Absorption von Wärmestrahlung verschiedener Gase messen und den natürlichen Treibhauseffekt von Kohlendioxid experimentell bestätigen. Tyndall stellte fest: “Die Erdatmosphäre lässt den Eintritt der Sonnenwärme zwar zu, doch sie kontrolliert ihren Austritt; und das Ergebnis ist eine Tendenz, die Wärme an der Oberfläche des Planeten zu akkumulieren.“ Einfache Experimente* zur Demonstration des Treibhauseffekts von CO2 werden bereits an Schulen durchgeführt. Man ist geneigt, Klimawandel-Populisten wie Rainer Kraft oder auch den Ex-RWE-Angestellten Sebastian Lüning und Fritz Vahrenholt, die mit Schriften wie „die kalte Sonne“ vorsätzlich Zweifel säen, genervt die Worte des Kabarettisten Jochen Malmsheimer entgegenzuschleudern: “Dat is Physik!“

Voll daneben liegen die kalte-Sonne-Autoren bereits nach wenigen Jahren mit ihren Temperatur-Vorhersagen, wie Prof. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK mit nachfolgender Grafik eindrücklich belegt.

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Der menschengemachte Klimawandel wird jedoch schon seit den 1940er Jahren erforscht. Der Ölkonzern Exxon hat dazu aussagekräftige Studien erstellen lassen, deren Ergebnisse die Umweltorganisation exxonknew.org an die Öffentlichkeit brachte. Der WDR hat dazu eine sehenswerte, entlarvende Doku gesendet (Die geheimen Machenschaften der Öl-Industrie, 8.11.2017). Angesichts der schier erdrückenden Faktenlage braucht man schon Nerven wie Drahtseile, wenn einen vor laufender Kamera das Gefühl beschleicht, dass der Versuch, die Naturgesetze mit der eigenen Beschränktheit auszukontern, gerade kläglich scheitert. Der ARD-Reporter klärt den AfD-„Klima-Experten“ darüber auf, dass kein Leben auf einem gefrorenen Planeten mit Durchschnittstemperaturen von Minus 18°C möglich wäre. Krafts Reaktion ist vermutlich einer der Gründe, warum diese Szene im Netz über 27.800 Mal angesehen wurde: mit dem peinlich-dämlichen Grinsen eines erwischten Kleinkindes erwidert der Merchant of Doubts: „Hähä, also das wage ich wirklich stark zu bezweifeln.“

Okay, bei den 27.800 Klicks sind bestimmt einige Mehrfachaufrufe dabei. Das glaubt man beim ersten Mal hinsehen einfach nicht.

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Bitte nicht zu Hause nachmachen! Hoimar von Dittfurth und Volker Arzt zeigen in der ZDF-Sendung "Der Ast auf dem wir sitzen" anschaulich, atemberaubend und schweißtreibend, wie das CO2 als Treibhausgas wirkt.

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*Versuchsaufbau zur Demonstration des natürlichen Treibhauseffektes von CO2 mittels Temperaturmessung

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*Versuchsaufbau zur Demonstration des natürlichen Treibhauseffektes von CO2 mittels Infrarotkamera

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