Der Tollhauseffekt

Humor hilft - Wenn ein argloser Wissenschaftler mit Hilfe der Naturgesetze eine gigantische PR-Maschinerie gegen sich in Gang setzt.

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Wer als junger Wissenschaftler eine bahnbrechende Veröffentlichung in einem vornehmen Fachjournal platziert, kann unversehens in die Mühlen einer gigantischen PR-Maschinerie geraten, falls er in gutgläubiger Ahnungslosigkeit, direkt aus dem Elfenbeinturm heraus, einer milliardenschweren Industrie ans Bein pinkelt. Diese traumatische Erfahrung verarbeitet der amerikanische Klimatologe Prof. Michael Mann im Buch „der Tollhauseffekt“ zusammen mit dem Washington-Post Karikaturisten Tom Toles.

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Wissenschaft ist keine Demokratie“ insistieren Klimawandelleugner, um ihrer eigentümlichen Vorstellung davon, dass jeder noch so verquaste Fakten-Ignorant gleichberechtigt mit anerkannten Wissenschaftlern ganz vorne an die Bühnenrampe darf, gefühlte Gerechtigkeit einzuhauchen. Der Tollhauseffekt verweist auf ein einprägsames Beispiel, das die Mehrheitsverhältnisse zur Klimakrise anschaulich gerade rückt:

In "Last Week Tonight" demonstriert John Oliver in 140 Sekunden das Kräfteverhältnis in der Klimawissenschaft

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Dass Wissenschaft durchaus demokratische Züge hat, erklärt einer der es wissen muss: Der Klimatologe Michael E. Mann kennt den Betrieb von innen. Im Kapitel „Wissenschaft“ wird nachvollziehbar, wie ein „selbstkorrigierender Mechanismus gewährleistet, dass sich die Wissenschaft, trotz gelegentlicher Fehlentwicklungen, Sackgassen und Fehltritte, insgesamt auf dem Weg zu einem stetig besseren Verständnis der Welt“ befindet. Mann erklärt die bewährte Praxis der kritischen Kontrolle: wer bei Expertenkongressen von den Fachkollegen „gegrillt“ wird und seine Thesen durch anonyme Gutachten, die man als Peer Reviews bezeichnet, in anerkannten Journalen unterbringt, hat die größten Sicherheitshürden im Wissenschaftssystem überwunden. Diese verhindern in den allermeisten Fällen, dass sich Stümper*innen oder Lügner*innen an die Spitze der Forschungselite setzen und dort „Meinung“ als „Wissenschaft“ verkaufen.

Viele Augen sehen mehr als zwei, insofern dienen demokratische Strukturen innerhalb der Forschung durchaus der Wahrheitsfindung. So nimmt es nicht Wunder, dass selbst die Anzahl der Zitate der jeweiligen Arbeit als ein Maß für deren Erkenntnisgewinn gesehen wird. Ein fiktives Beispiel: Wenn Hein Blöd mit der Aussage „CO2 ist kein Treibhausgas“ in der Zeitschrift „rechtsdrehende Physik“ nur einmal zitiert wird, dann hat diese Aussage tatsächlich weniger Gewicht, als wenn die von Michael Mann et.al. 1998 publizierte Hockeyschlägerkurve - welche die Entwicklung der globalen Durchschnittstemperatur während des letzten Jahrtausends zeigt - durch immer neue Messmethoden bestätigt und in anerkannten Wissenschaftsjournalen mittlerweile über X-tausend Mal zitiert wurde. Hein Blöd kann sich also noch so sehr für ein verkanntes Genie vom Format eines Galileo halten, er wird seinen wissenschaftlich anerkannten Rivalen niemals überholen. Er kann ihn allenfalls bremsen. Indem er Zweifel sät.

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Das tut er, indem er den Wissenschaftler*innen unlautere Motive unterstellt, dass sie beispielsweise nur deshalb beunruhigende Nachrichten verbreiten, um Aufmerksamkeit zu heischen und um Fördergelder für ihre Institute abzugreifen. Insider Mann gewährt hier tiefe Einblicke und versetzt seine Leser*innen damit in die Lage, diese Prämisse zu zerpflücken: In der Forschung erregt keine Aufmerksamkeit, wer einfach etabliertes Wissen untermauert. Wiederkäuer haben keine Chance, in führenden Zeitschriften wie Nature oder Science zu veröffentlichen. „Sich in der Welt der Wissenschaft einen Namen zu machen ist nur möglich, indem man etwas Neues oder Überraschendes aufzeigt und der landläufigen Erkenntnis widerspricht. Für die Veröffentlichung von neuartigen und bahnbrechenden Forschungsarbeiten werden Wissenschaftler oft mit Festanstellung und ihre Institute mit Zugriff auf Forschungsstipendien belohnt, die wiederum zu Gehaltserhöhungen führen können.“ erklärt Mann. Wenn also Forscher*innen der Nachweis gelingen würde, dass das Klima sich nicht erwärmt, würden sie genau dafür berühmt werden. Konjunktiv.

Ein Wissenschaftler, der eindeutig erklären könnte, dass die Erderwärmung natürliche und eben keine menschlichen Ursachen hat, könnte jede Menge bedeutende Artikel in den Fachpublikationen veröffentlichen. Er oder sie würde in Nachrichtensendungen auftauchen und auf den Titelseiten von populärwissenschaftlichen Zeitschriften wie Scientific American erscheinen. Solch eine Persönlichkeit würde sicherlich gefördert und vermutlich auch in die Nationale Akademie der Wissenschaften aufgenommen werden und als einer der größten Paradigmenbrecher aller Zeiten in die Geschichte eingehen, als Mitglied des exklusiven „Clubs“ der Galileos, Newtons, Darwins, Einsteins und Wegeners. Ein solcher Wissenschaftler würde, kurz gesagt, sowohl Ruhm als auch Reichtum erlangen.“ Konjunktiv.

Die Leser*innen des Tollhaus-Effektes werden aber nicht nur an die Hand genommen um durch wissenschaftliche Gepflogenheiten geführt zu werden. Sie verstehen auch, warum sich die globale Erwärmung nicht durch einen einzigen Schneeball widerlegen lässt, den irgendein Schreihals im Parlament präsentiert. Sie lernen, wie eben dieser Schneeball exakt in die fortschreitende Klimakrise passt, was es mit dem Jetstream auf sich hat, dem Golfstrom, dem Holozän, den Waldbränden, den Eiszeiten und sie haben mit der Lektüre eine faire Chance, nicht zu denen zu gehören, die eine 15-jährige, hochbegabte Schwedin kürzlich mit den Worten charakterisierte: “Ich habe Erwachsene getroffen, die hatten keinen blassen Schimmer.“

Der Zahn, dass die Welt mit ein bisschen Geoengineering schon irgendwie zu retten sei, wird den Lesern gezogen. Und sie lernen die schillerndsten Figuren der organisierten Klimaleugner-Szene kennen, ihre Motive und ihre immer wiederkehrenden Strategien, welche ihnen die griffige Bezeichnung „Merchants of Doubt“ eingebracht hat. Ihr Job ist es, das lähmende Gift des Zweifels massenhaft unters Volk und in die Köpfe zu bringen.

Die Übersetzungsarbeit vom „Madhouseeffect“ haben Mattias Hüttmann und Herbert Eppel bereits für uns übernommen. Damit der ganze Irrsinn überhaupt erträglich wird, lädt uns Co-Autor und Karikaturist Tom Toles ein, mit ihm hinter die Schmerzgrenze zu gehen, dorthin, wo es wieder lustig wird.

Zum Schluss ein praktischer Hinweis für all die leidgeprüften Opfer von nach Lösungsmitteln stinkenden oder Schleimhaut-reizenden Druckerzeugnissen: für den Tollhaus-Effekt sei hier ausdrücklich Entwarnung gegeben: das Buch wurde mit mineralölfreien Biodruckfarben auf holz-, säure- und chlorfreiem FSC-Papier gedruckt. Die Zeit ist reif für eine „Stiftung Nasentest“.

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Der Tollhauseffekt
„The Madhouse Effect“ von Michael E. Mann und Tom Toles
in der deutschen Übersetzung von Matthias Hüttmann und Herbert Eppel
ISBN 978-3-933634-46-7,
2., durchgesehene Auflage 2018, 272 Seiten
D: 24,90 € (AT: 25,60 €, CH: 29,00 SFr)

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