Reisebericht über "Den letzten weißen Fleck"

Nordkorea Am 23.02.2018 zeichnete Lutz Drescher in einem Vortrag ein vergleichsweise farbiges Bild von einem oftmals nur in "schwarz-weiß" beschriebenen Land

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Es ist kein Zufall, dass auf die Frage nach dem, was man mit Nordkorea verbinde, Stichworte wie „Stalinismus“ und „Raketen“ fallen
Es ist kein Zufall, dass auf die Frage nach dem, was man mit Nordkorea verbinde, Stichworte wie „Stalinismus“ und „Raketen“ fallen

fot: Ed Jones/AFP/Getty Images

Reisebericht über „Den letzten weißen Fleck“

Ein bewegender Abend mit Lutz Drescher zu Nordkorea

Unter unter den progressiven Regierungen in Südkorea unter Kim Dae-Jung (1998-2003) und Roh Moo-Hyun (2003-2008) kam es bereits durch die sogenannte „Sonnenscheinpolitik“ zu einer Annäherung zwischen den beiden koreanischen Staaten.

Im Zuge des bedeutenden Genfer Rahmenabkommen zwischen den USA und der Demokratischen Volksrepublik Korea von 1994 stellte letztere zudem ihr damaliges Atomwaffenprogramm ein. Doch 2002 wurde die Demokratische Volksrepublik Korea von George Bush der „Achse des Bösen“ zugerechnet. Während die Sonnenscheinpolitik noch bis zum Ende der Amtszeit Roh Moo-Hyuns weiterging, machte der konservative Amtsnachfolger Lee Myung-bak (2008-2013) damit Schluss.

In den vergangenen Jahren hat sich die Lage auf der koreanischen Halbinsel weiter zugespitzt. So haben etwa weder die DVRK eingelenkt und die wieder aufgenommene nukleare Aufrüstung gestoppt, noch die USA und die Republik Korea ihre gemeinsamen Militärübungen eingestellt. Auch Park Gyun-Hee (2013-2017) hat wie ihr Vorgänger weiter eine harte Linie gegenüber den Norden walten lassen.

Im letzten Jahr sorgten Provokationen Donald Trumps und die entsprechenden Reaktionen der DVRK einschließlich weiterer Nukleartests für eine weitere Eskalation.

Auch die Nord- Süd-Interaktionen wurden weitestgehend zurückgefahren. Nachdem bereits 2006 die Fährverbindung zwischen Japan und Nordkorea eingestellt worden ist, wurden nicht nur gegenseitige Besuchsmöglichkeiten wieder eingeschränkt, sondern im Februar 2016 auch der Industriepark Kaesong geschlossen.

Anlässlich der Olympischen Winterspiele wurde nun jüngst die Kommunikation wieder aufgenommen.

Bereits zu Beginn seiner Amtszeit hat Südkoreas amtierender Präsident Moon Jae-In den Norden zum Dialog eingeladen. Auch in seiner Berliner Rede vor der Körber-Stiftung vom 06.07.2017 bekräftigte er den Willen zur Annäherung.

Nachdem die DRVK demgegenüber zunächst zurückhaltend war, durfte die Welt letztendlich Zeuge dessen werden, was als „Peace Olympics“, also „Friedens-Olympiade“ gehandelt wurde. Wie tragfähig die Annäherung ist und ob die Skeptiker am Ende nicht doch Recht behalten, wird sich zeigen. Doch dürfte bei dem Versuch, sich in Richtung einer friedlichen Einigung im komplexen Konflikt zu bewegen, die Wieder-Aufnahme von Gesprächen ein wichtiges Element sein.

Gespräche, den Kontakt mit den Menschen – in dieser Hinsicht können die kirchlichen Bemühungen der vergangenen Jahre als progressiv im Vergleich zur Politik betrachtet werden.

Von Begegnungen mit dem stark abgeschotteten und daher so unbekannten Land und den Menschen in Nordkorea, aber auch von Begegnungen zwischen Menschen aus beiden Teilen Koreas außerhalb der koreanischen Halbinsel, davon handelte ein Reisebericht Lutz Dreschers am vergangenen Freitag. Lutz Drescher war bis 2016 Verbindungsreferent für Ostasien und Indien der Evangelischen Mission in Solidarität und seit vielen Jahren bereist er immer wieder die koreanische Halbinsel. Neun Jahre hat er selbst in Südkorea gelebt, viermal hatte er die Gelegenheit den Norden zu besuchen.

Ca. 40 Zuhörerinnen und Zuhörer sind am 23.02.2018 in den Hospitalhof in Stuttgart, einem Bildungszentrum der ev. Kirche der Einladung zu einem Abend zu „Nordkorea - der letzte weiße Fleck“ gefolgt.

Es war nicht überraschend, dass im Hospitalhaus (Stuttgart) auf die Frage nach dem, was man mit Nordkorea verbinde, Stichworte wie „Stalinismus“ und „Raketen“ fielen.

Lutz Drescher, der Referent des Abends, machte bereits zu Beginn seines Vortrags darauf aufmerksam, dass das, was er zu erzählen hätte, vielleicht auch anders zu verstehen sei und dass seine Sicht letztlich nicht die alle Faktoren objektiv betrachtende Wahrheit über Nordkorea sei, dass man immer misstrauisch sein sollte, bei dem, was man „aus“ bzw. „über“ Nordkorea höre.

Er selbst ist 2015 zum letzten Mal dorthin gereist. Im vergangenen Jahr hatte er eine Delegation des Koreanischen Christenbunds aus Nordkorea bei der Generalversammlung der Reformierten Kirchen in Leipzig begleitet.

Sein Vortrag, mit etlichen Fotos illustriert, sollte eine Perspektive zeigen, die zwar ein möglichst umfassendes Bild zeichnet, jedoch bewusst andere Dinge in den Fokus stellt als das, was die Nachrichten hierzulande stets stark zu betonen gewohnt sind. Es ging ihm darum, Farbe in ein Land zu bringen, das sonst meist nur in schwarz-weiß beschrieben wird.

So wurden zwar auch Bilder von Plakaten der Vorgänger Kim Jong-Uns, Kim Jong-Il und Kim Il-Sung gezeigt. Außerdem wurden neben solchen von kommunistischen Denkmälern und Massenveranstaltungen allerdings auch Fotos gezeigt, die die Entwicklungen in Pjöngjang sichtbar machen, die die Gesichter verschiedener Menschen zeigen, von jungen Mädchen, die in bunten Kleidern und mit Blumen im Haar draußen spielen bis zu buddhistischen Mönchen und Kirchenvertretern. Das karge Leben wurde beschrieben, besonders auf dem Lande, dagegen auch solche Entwicklungen wie jene, dass es immer mehr Solarpanels gibt sowie privatwirtschaftlich finanzierte Kioske.

Dass neben der Staatsdoktrin „Juche“ auch Religionen eine Rolle spielen und welche wichtige Rolle etwa die Kirchen bei dem Aufrechterhalten der Kommunikation und des Dialogs spielen, kam zur Sprache, ohne die unterschiedlichen Sichtweisen etwa nord- und südkoreanischer Christen auszublenden.

Erklärungsversuche bestimmter Entwicklungen auf der koreanischen Halbinsel wurden mit Rekurs auf die wechselvolle Geschichte vorgenommen, die lange Zeit eine gemeinsame war, bis nach der Kolonialisierung durch Japan, Korea unter dem Einfluss der Weltmächte getrennt wurde.

In Nordkorea, so Lutz Drescher, ist schließlich vieles symbolisch zu verstehen und beginnt daher erst Sinn zu machen, wenn die Symbole vor dem Hintergrund von Geschichte und Weltauffassung verstanden werden.

Um den Zuhörern die Mentalität der Menschen aus dem Norden näher zu bringen, ging der Referent auf einige der gesamten koreanischen Halbinsel gemeinsame Traditionen wie Konfuzianismus und Schamanismus ein. Er sprach ebenso von den gravierenden Unterschieden, etwa hinsichtlich des Pro-Kopf-Einkommens, der Lebenserwartung und – vor allem der Hungersnot in den 1990er Jahren geschuldet – der Körperröße der Bewohner auf beiden Seiten der Grenze.

Es sei eine große Sehnsucht nach Wiedervereinigung bei den Menschen, vor allem im Norden zu spüren, auch Plakate sprechen davon, sogar auf dem Gelände eines buddhistischen Tempels lässt sich ein zur Form der gesamten koreanischen Halbinsel geschnittener Busch finden.

Im Süden wiederum zeigen sich nicht nur hinsichtlich der Frage nach der Wiedervereinigung Spannungen bis hin zu einer „Teilung“ auch innerhalb des Landes.

Lutz Drescher, der als protestantischer Kirchenvertreter Nordkorea bereist und mit Menschen aus Nordkorea zu tun gehabt hat, hat mehrfach betont, dass die Kirchen den Dialog als das wirksamste Mittel ansehen zu einer Versöhnung auf lange Sicht. Die gemeinsamen Feiern süd- und nordkoreanischer Christen sowie gemeinsames Abendmahl – etwa im vergangenen Jahr in Leipzig - dürften für alle Beteiligten in bleibender Erinnerung sein.

Im Anschluss des Vortrags wurden aus dem Publikum Fragen zur Geschichte des Korea-Konflikts und zu neueren Entwicklungen gestellt.

Dem Referenten hat man die Emotionen abgespürt, die er mit seinen Erfahrungen und Begegnungen verbindet. Er selbst sprach von den starken Emotionen, die dieses Thema bei verschiedenen Menschen auslöst, gerade bei den Menschen aus Süd- und Nordkorea, wo die Wunden des bisher formal noch nicht beendeten Koreakriegs bis heute nicht verheilt sind. Das Publikum war ganz gebannt während des Vortrags – auch hier war innere Resonanz zu spüren.

Selbst wenn - wie Lutz Drescher es zugestanden hat – manches von dem, was er zu berichten wusste, anders verstanden oder anders bewertet werden kann, sind die Eindrücke, die er vermittelt hat doch wertvolle. Denn sie zeigen im Vergleich zu den üblichen Nachrichten ein vielfältigeres Bild von Menschen, Landschaft und markanten Bauten in einem Land, über das wir so wenig wissen, das wohl auch deshalb dazu verführt, zu verallgemeinern und bestimmte Entwicklungen und Aspekte zu übersehen. Die Vielschichtigkeit und damit auch Farbigkeit jenes „letzten weißen Flecks“ und die bleibenden Eindrücke des Dialogs mit den Menschen jenes Landes - diese sind von jenem Abend geblieben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ferdinand Liefert

Dipl.-Theologe (Studium in Greifswald / Marburg / Interreligiöses Studienprogramm in Kyoto ).

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