Hartz IV: SG Leipzig - Verfahrenverschleppung

führt zu Entschädigung! Wie aus verweigerter Leistung von 39,90 € mal eben über 1200 € Schadensersatz werden.

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Verfahrensverschleppung wegen 39,90 € kostet Leipzig nun ein vielfaches...

Der Klageweg wurde von mir beschritten - um dem Jobcenter Leipzig aber auch dem Sozialgericht klarzumachen, dass:
weder falsche Leistungsberechnungen, ungerechtfertigte Kürzungen oder Bearbeitungsverzögerungen - ein Kavaliersdelikt sind! Bei der Klage ging es nicht um Gewinn, sondern schlichtweg darum, dem Hartz IV - System ein weiteren Warnschuss zu verpassen.

Viele Betroffene müssen zu oft - lange kämpfen und darauf warten, dass ihre Ansprüche auf Leistungen anerkannt werden. Dieses staatlich gesteuerte - und selbstverursachte Defizit (u.a. durch Richtermangel) in der Hartz IV - Rechtsprechung, muss endlich beendet werden.

Zur Geschichte:
Vor dem SG Leipzig wurde nach über 30 Monaten Verfahrensdauer ein Vergleich geschlossen wegen unberechtigt einbehaltender Leistungen und ich hatte die Summe von 39,90 € dann in der Folgezeit zurückerhalten. Da das Verfahren selbst aber viel zu lang gedauert hatte, haben mein Anwalt Dirk Feiertag und ich - eine Verzögerungsrüge beim LSG auf den Weg gebracht und eine Schadensersatzforderung in Höhe von 1200 € (pro Monat 100€) + Zinsen, gestellt.

Das LSG gibt der Klage im Prinzip statt und fordert das SG auf, meiner Forderung auf Entschädigung + Prozessgebühren zuzustimmen, da die Rechtslage eindeutig ist.

Damit ist eines deutlich geworden: Der rechtliche Widerstand von Leistungsbezieher ist immer dann zwingend geboten, wenn Jobcenter und Sozialgerichte sich nicht an geltende Gesetzesvorgaben halten oder versuchen - selbige durch "Eigeninterpretationen" auszuhebeln.

Perry Feth

Stellungnahme des Landessozialgerichtes an das einfache Sozialgericht in Leipzig:

L 11 SF 19/19 EK

17.05.2019

Sehr geehrte Damen und Herren,

in dem Entschädigungsklageverfahren

Perry Feth./. Freistaat Sachsen, erlaubt sich das Gericht nach Durchsicht der Akten sowie Prüfung der Sach- und Rechtslage darauf hinzuweisen, dass die Entschädigungsklage des Klägers volle Aussicht auf Erfolg hat und deshalb ein Anerkenntnis abgegeben werden sollte.

Dies ergibt sich aus Folgendem:
1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere sind sowohl die Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 des Ge-richtsverfassungsgesetzes (GVG) als auch die Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG gewahrt.
Nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG kann eine Entschädigungsklage frühestens sechs Monate nach Er-hebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Diese Wartefrist hat der Kläger eingehalten. Denn seine Verzögerungsrüge (vom 23.05.2018) ist im Ausgangsverfahren S 5 AS 759/16 (zuvor: S 21 AS 759/16) am 24.05.2018 beim Ausgangsgericht eingegangen und Entschädigungsklage hat er am 28.02.2019 erhoben.

Die Klageerhebung erfolgte auch innerhalb der Klagefrist. Nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG muss die Entschädigungsklage spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Ausgangsverfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Die Klagefrist begann mit rechtskräftigem Abschluss des Ausgangsverfahrens vor dem SG, zu dem es mit der Annahme des Anerkenntnisses des Jobcenters im Erörterungstermin am 29.08.2018 kam.
Die Entschädigungsklage ist am 28.02.2019 und damit innerhalb von sechs Monaten erhoben worden.

2. Die Klage ist auch vollständig begründet.
Anspruchsgrundlage für den eingeklagten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Dauer
eines sozialgerichtlichen Verfahrens ist § 202 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 198 GVG. Danach wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet (§ 198 Abs. 1 Satz 1
GVG). Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG).

Entschädigung wird für materielle und immaterielle Schäden geleistet. Die Geltendmachung immaterieller Schäden erleichtert das Gesetz, indem es einerseits bei unangemessener Verfahrensdauer einen immateriellen Schaden vermutet
(§ 198 Abs. 2 Satz 1 GVG) und andererseits dessen Höhe in der Regel bei 1.200,00 Euro für jedes Jahr der Verzögerung ansetzt (§ 198 Abs. 2 Sätze 3 und 4 GVG).

Entschädigung enthält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 3 GVG).

a) Die erforderliche Verzögerungsrüge für den eingeklagten Entschädigungsanspruch hat der Kläger im Ausgangsverfahren S 5 AS 759/16 (zuvor: S 21 AS 759/16) am 24.05.2018 erhoben. Aus dem Erklärungsinhalt des Schriftsatzes (vom 23.05.2018) wird auch hinreichend deutlich, dass es sich um eine Verzögerungsrüge handelte. Denn im diesbezüglichen Schriftsatz wird eindeutig „die überlange Verfahrensdauer gerügt“, eindeutig der Begriff der „Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 S. 1
GVG)“ verwendet und ebenso eindeutig ausgeführt, dass „aufgrund der bisherigen Verfahrensdauer und -behandlung für den Kläger Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Dauer abgeschlossen wird“.


b) Das Ausgangsverfahren war auch von unangemessener Dauer im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG. Insgesamt liegt eine entschädigungspflichtige Überlänge des Ausgangsverfahren S 5 AS 759/16 (zuvor: S 21 AS 759/16) von 12 Monaten vor.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfolgt die Prüfung der (Un-)Angemessenheit der Verfahrensdauer im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG in drei Schritten (BSG, Urteil
vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 23 ff.; BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 23 ff.; BSG, Urteil vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - juris RdNr. 33 ff.):
(1) Ausgangspunkt und erster Schritt bildet die Feststellung der in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierten
Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Kleinste relevante Zeiteinheit ist hierbei der Kalendermonat.
(2) In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien zu messen. Dabei ist zu beachten, dass die Verfahrensführung
des Ausgangsgerichts vom Entschädigungsgericht nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen ist.
(3) Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat.

Dabei billigt das BSG den Ausgangsgerichten eine Vorbereitungs-
und Bedenkzeit von bis zu 12 Monaten je Instanz zu, die für sich genommen noch nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer führt.

(zu 1) Die relevante Gesamtdauer des Ausgangsverfahrens betrug insgesamt 30 Monate. Es begann mit der Klageeinreichung am 24.03.2016 und endete mit der Annahme des vom Jobcenter im
Rahmen des Erörterungstermins abgegebenen Anerkenntnisses durch den Kläger am 29.08.2018.

(zu 2) Bei der Messung des Ablaufs des Ausgangsverfahrens S 5 AS 759/16 (zuvor: S 21 AS 759/16) an den Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ist Folgendes festzustellen:
Das Ausgangsverfahren wies einen eher durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad auf. Denn in ihm waren sowohl tatsächliche als auch rechtliche Fragestellungen vom SG zu prüfen.

Der Kläger begehrte die Auszahlung des im Monat Januar 2016 einbehaltenen Aufrechnungsbetrages in Höhe von 39,90 Euro. Diese Aufrechnung resultierte aus einer vorherigen darlehensweisen Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II) auf der Grundlage von § 42a SGB II.

Die Überprüfung der Rechtsmäßigkeit der aufgerechneten Einbehaltung verlangte in tatsächlicher Hinsicht die Durchsicht einer mehrbändigen Verwaltungsakte des Jobcenters im Hinblick darauf, welche Aufrechnung aus welchem Bescheid resultierte
(Aufrechnungsbescheide vom 27.10.2015 und vom 17.11.2015 sowie Änderungsbescheid vom 05.01.2016) und welcher Betrag wann in welcher Höhe tatsächlich aufgerechnet wurde (vgl. die Darlegungen des Jobcenters im Protokoll über den Erörterungstermin am 29.08.2018).

In rechtlicher Hinsicht war zu klären,
- ob sich der Kläger mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage oder lediglich mit einer isolierten Leistungsklage gegen den im Januar 2016 aufgerechneten und einbehaltenen
Betrag zu Wehr setzen konnte,
- ob der vom Kläger tatsächlich angefochtene Änderungsbescheid vom 29.11.2015 überhaupt eine regelnde Verfügung im Hinblick auf die Aufrechnung enthielt oder inwieweit der Änderungsbescheid vom 29.11.2015 lediglich eine wiederholende Verfügung beinhaltete, die keine eigenständige neue Regelung traf, sowie
- ob der Ausschlusstatbestand des § 43 Abs. 4 Satz 2 SGB II vorlag, wonach eine Aufrechnung mit Erstattungsforderungen dann nicht mehr erfolgen darf, wenn bereits für 3 Jahre eine
Aufrechnung erfolgte bzw. hätte erfolgen können.

Die Bedeutung des Ausgangsverfahrens war mindestens durchschnittlich, wenn nicht sogar leicht überdurchschnittlich.

Die für die Beurteilung der Verfahrensdauer relevante Bedeutung des Verfahrens ergibt sich aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen
Interessen der Beteiligten.

Zur Bedeutung der Sache im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG trägt dabei im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung bei.

Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des Klägers und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine weiteren geschützten Interessen auswirkt (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 - juris RdNr. 29).

Aus diesem Grunde wird existenzsichernden Leistungen regelmäßig überdurchschnittliche Bedeutung für ihren Empfänger beigemessen (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris RdNr. 39).

Im vorliegenden Fall waren existenzsichernde Leistungen Gegenstand des Ausgangsverfahrens. Denn die streitgegenständliche, aufgerechnete, Einbehaltung für den Monat Januar 2016 resultierte aus dem aktuellen Leistungsanspruch des Klägers und der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden 3 Kinder in Form von Leistungen zur Grundsicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II).

Das prozessuale Verhalten eines Verfahrensbeteiligten, das nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ebenfalls mit zu berücksichtigen ist, hat im
vorliegenden Fall zu keinen Verzögerungen beigetragen.
§ 198 GVG nennt als Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit mit Blick auf die Prozessakteure
das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter nur beispielhaft.

Darüber hinaus hängt eine Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit wesentlich davon ab, ob dem Staat zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt haben.
Maßgeblich sind Verzögerungen, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens, insbesondere
aufgrund von Untätigkeit (Inaktivität) des Gerichts (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 41).

Im hier relevanten Ausgangsverfahren S 5 AS 759/16 (zuvor: S 21 AS 759/16) vor dem SG sind gerichtliche, sachlich zunächst nicht gerechtfertigte Inaktivitäten in folgenden Monaten festzustellen:
- Juni 2016 = 1 Monat
- August 2016 bis Juni 2018 = 23 Monate = 24 Monate.


Dabei legt das Gericht folgenden konkreten Verfahrensablauf des erstinstanzlichen Ausgangsverfahrens S 5 AS 759/16 (zuvor: S 21 AS 759/16) zu Grunde:
- 24.03.2016 Eingang der Klageschrift mit Klagebegründung und Vorlage der angefochtenen Bescheide + PKH-Antrag
- 04.04.2016 Eingangsbearbeitung beim SG mit Anforderung der Klageerwiderung und der Verwaltungsakten
vom Jobcenter binnen 2 Monaten
- 19.04.2016 Eingang der Klageerwiderung und der Verwaltungsakten
- 27.04.2016 Übersendung der Klageerwiderung an den Kläger zur Kenntnis und Stellungnahme bis zum 31.05.2016 +
PKH-Bewilligung mit Beschluss vom 27.04.2016
- 31.05.2016 Eingang eines Schriftsatzes des Klägers (Inhalt: Verzicht auf Stellungnahme mangels rechtserheblichen Vortrages des Jobcenters)
- 04.07.2016 Übersendung des Schriftsatzes des Klägers an das Jobcenter zur Kenntnis
- 08.06.2017 Eingang einer Sachstandsanfrage des Klägers
- 28.06.2017 Beantwortung der Sachstandsanfrage (Hinweis auf Vielzahl älterer Verfahren)
- 24.05.2018 Eingang der Verzögerungsrüge des Klägers (vom 23.05.2018)
- 04.07.2018 Ladung der Beteiligten zum Erörterungstermin am 29.08.2018
- 29.08.2018 Erörterungstermin mit Anerkenntnis des Jobcenters und Annahme des Anerkenntnisses durch den Kläger
- 06.09.2018 Übersendung des Protokolls des Erörterungstermins an die Beteiligten.

Danach wurde das erstinstanzliche Ausgangsverfahren S 5 AS 759/16 (zuvor: S 21 AS 759/16) zunächst in den Monaten März 2016 bis Mai 2016 vom SG durch wiederholt gerichtlich veranlassten
Schriftsatzwechsel, durch Beiziehung der Verwaltungsakten und durch Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch
gefördert.

Im Monat Juni 2016 kam das Verfahren jedoch bereits zum ersten Mal zum Erliegen. In diesem Monat entfaltete das SG keinerlei gerichtliche Aktivität nach außen, denn der am 31.05.2016 eingegangene Schriftsatz des Klägers (vom 31.05.2016) wurde erst am 04.07.2016 an das Jobcenter weitergeleitet.

Zwar wurde die Weiterleitung in der Akte vom zuständigen Richter bereits am 07.06.2016 verfügt. Dabei handelte es jedoch nur um eine interne Aktenverfügung. Eine auf Aktivität nach außen gerichtete Verfahrenshandlung wurde erst mit der Absendung des Übersendungsschreibens am 04.07.2016 getroffen.

„Liegenzeiten auf der Geschäftsstelle“ sind jedoch ebenfalls dem Beklagten zuzurechnende Zeiten der Verzögerung, weil gerade solche Liegezeiten dokumentieren, dass eine Verzögerung eingetreten ist, die letztlich auf eine unzureichende personelle Ausstattung des SG im nichtrichterlichen Dienst zurückzuführen ist und die damit letztlich in die Organisationshoheit des
beklagten Landes fällt (zutreffend: LSG Berlin/Brandenburg, Urteil vom 26.04.2018 - L 37 SF 146/17 EK AS - juris, RdNr. 40). Der Monat Juni 2016 kann auch nicht als Monat der konkreten Prüfungs und Überlegungszeit und damit als Zeit der aktiven Verfahrensgestaltung erachtet werden.

Zwar steht dem Gericht eine – etwa einmonatige – konkrete Überlegungs- und Bearbeitungszeit zu, wenn
eingereichte Schriftsätze einen gewissen Umfang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - juris RdNr. 57; Röhl in: jurisPKSGG,
1. Aufl. 2017, § 198 GVG, RdNr. 47).

Im vorliegenden Ausgangsverfahren war der am 31.05.2016 eingegangene Schriftsatz des Klägers (vom 31.05.2016) jedoch weder umfangreich, noch befasste er sich inhaltlich mit den streitgegenständlichen Rechts- oder Tatsachenfragen.

Sein Inhalt erschöpfte sich vielmehr in der einsätzigen Mitteilung des Klägers, dass „aus Gründen der Prozessökonomie mangels neuem rechtserheblichem Vortrag auf eine weitere Stellungnahme verzichtet wird“. Für das SG gab es in Anbetracht dieses Schriftsatzes des Klägers daher weder irgendetwas
zu prüfen noch irgendetwas zu überlegen.

Im Monat Juli 2016 entfaltete das SG im Ausgangsverfahren S 5 AS 759/16 (zuvor: S 21 AS 759/16) wieder Aktivität nach außen, indem es den Schriftsatz des Klägers (vom 31.05.2016) am 04.07.2016 an das Jobcenter zur Kenntnis weiterleitete.
Eine sich hieran anschließende etwa 6-wöchige Zuwartensfrist (unter Einschluss des Monats August 2016) kann im konkreten Ausgangsverfahren dem SG allerdings nicht zugestanden werden.

Zwar sind Zeiten der – regelmäßig etwa sechswöchigen – freigestellten oder ausdrücklichen Möglichkeit zur Stellungnahme keine gerichtliche Inaktivitätszeiten (vgl. dazu deutlich: BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris RdNr. 43), weil die Übersendung eines Schriftsatzes, eines Gutachtens
oder eines anderen Ermittlungsergebnisses an die Beteiligten zur Kenntnis (oder zur Kenntnis und freigestellten oder gar ausdrücklichen Stellungnahme) stets die Möglichkeit zur Stellungnahme beinhaltet.

Die Entscheidung des Gerichts, im Hinblick auf eine mögliche Stellungnahme zunächst nicht weitere Maßnahmen zur Verfahrensförderung zu ergreifen, unterliegt grundsätzlich
(noch) seiner Entscheidungsprärogative und ist – mit Ausnahme unvertretbarer oder schlechthin unverständlicher Wartezeiten – durch das Entschädigungsgericht nicht als Verfahrensverzögerung zu bewerten (auch dazu deutlich: BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris RdNr. 43).

Bei diesen berechtigten Zuwartenszeiten handelt es sich auch um – nicht auf die 12-monatige Vorbereitungs - und Bedenkzeit anzurechnende – „nicht … entschädigungsrelevante Liegezeiten“ (BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris RdNr. 43).

Im vorliegenden Ausgangsverfahren kann ein berechtigtes Zuwarten auf eine mögliche, konkludent freigestellte Stellungnahme des Jobcenters zu dem am 04.07.2016 zur Kenntnis übersandten Schriftsatz des Klägers (vom 31.05.2016) jedoch unter keinem Blickwinkel konstatiert werden.

Denn der, am 04.07.2016 an das Jobcenter weitergeleitete, Schriftsatz des Klägers erschöpfte sich – wie bereits hervorgehoben – in der einsätzigen Mitteilung, dass „aus Gründen der Prozessökonomie mangels neuem rechtserheblichem Vortrag auf eine weitere Stellungnahme verzichtet wird“.

Es ist schlechterdings nicht ersichtlich, welche inhaltliche,
sich mit dem konkreten Verfahrensgegenstand befassende Stellungnahme das Jobcenter hierzu hätte abgegeben können oder sollen. Die Wartezeit erweist sich insoweit als schlechthin unverständlich. Der Monat August 2016 kann daher nicht als Zeit des berechtigten Zuwartens gewertet werden.
In den Monaten August 2016 bis einschließlich Juni 2018 schloss sich vielmehr eine Phase ausschließlicher gerichtlicher Inaktivität im Ausgangsverfahren S 5 AS 759/16 (zuvor: S 21 AS 759/16) an.

Diese Inaktivitätszeit wurde auch nicht durch die (ausschließliche) Beantwortung der Sachstandsanfrage
durch das SG am 28.06.2017 unterbrochen.

Denn dieser gerichtliche Schriftwechsel beinhaltete keine das konkrete Ausgangsverfahren fördernde Prozesshandlung und kann daher nicht als, auf Verfahrensfortführung gerichtete, Zeit der gerichtlichen Aktivität bewertet werden (vgl. dazu explizit: Sächsisches LSG, Urteil vom 22.02.2018 - L 11 SF 45/16 EK - juris RdNr. 62), zumal er keine verfahrensleitende Verfügung traf und sich inhaltlich lediglich in der Mitteilung erschöpfte, „dass noch zahlreiche ältere Verfahren aus den Jahren 2011 bis 2015 anhängig sind, die vordringlich bearbeitet werden“ und „ein genauer Entscheidungstermin noch nicht benannt werden kann“.

In den Monaten Juli 2018 und August 2018 wurde das SG im erstinstanzlichen Ausgangsverfahren S 5 AS 759/16 (zuvor: S 21 AS 759/16) wieder aktiv, in dem es im Juli 2018 die Beteiligten zum Erörterungstermin lud sowie im August 2018 den Erörterungstermin mit den Beteiligten durchführte
und auf eine gütliche Erledigung des Verfahrens hinwirkte.
(zu 3) Die Gesamtabwägung ergibt eine entschädigungspflichte Überlänge des erstinstanzlichen Ausgangsverfahrens S 5 AS 759/16 (zuvor: S 21 AS 759/16) von insgesamt 12 Monaten.

Und zwar vor folgendem Hintergrund:
Zwar ist – wie soeben ausgeführt – eine gerichtliche Inaktivität von 24 Monaten im erstinstanzlichen
Ausgangsverfahren S 5 AS 759/16 (zuvor: S 21 AS 759/16) feststellbar. Wird hiervon aber die dem
SG zuzubilligende Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten abgezogen, ist eine Unangemessenheit
der Verfahrensdauer nur von 12 Monaten im Ausgangsverfahren S 5 AS 759/16 (zuvor: S 21 AS 759/16) festzustellen.

Grundsätzlich ist jeder Instanz des Ausgangsverfahrens eine 12 Monate umfassende Vorbereitungs- und Bedenkzeit zuzubilligen, die nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden muss (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 27 und 45 ff.; BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 33; BSG, Urteil vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R - juris, RdNr. 36; BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris RdNr. 33 und 39).

Diese Vorbereitungs- und Bedenkzeit kann am Anfang, in der
Mitte oder am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt 12 Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 46). Denn aus dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit folgt kein Recht auf sofortige Befassung des Gerichts mit jedem Rechtsschutzbegehren und dessen unverzügliche Erledigung. Bereits aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft ist es gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen.

Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter zugewiesen sind, ist insoweit schon
aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt.

Je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie vom Verhalten des Rechtsschutzsuchenden sind ihm gewisse Wartezeiten zuzumuten. Grundsätzlich muss dabei jedem Gericht eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen (ebenso auch: BGH, Urteil vom 13.03.2014 - III ZR 91/13 - juris RdNr. 34).

Ebenso sind Gerichte – unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes – berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt.

Obwohl die maßgebliche Gesamtabwägung nach den Vorgaben des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG in jedem Einzelfall durchzuführen ist und der Gesetzgeber von der Einführung bestimmter Grenzwerte (Fristen) für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen hat (vgl. BT-Drucks.: 17/3802, S. 18; BSG, Urteil vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris RdNr. 25 ff.; BSG, Urteil vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 2/12 KL - juris RdNr. 25 ff.), lässt es sich zur Gewährleistung möglichst einheitlicher Rechtsanwendung
und damit aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit andererseits nicht vermeiden, in Entschädigungssachen zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen.

Dies jedenfalls dort, wo derartige Konkretisierungen aufgrund vorgefundener Übereinstimmungen sowohl in der Struktur zahlreicher sozialgerichtlicher Verfahren als auch ihrer Bearbeitung durch die Gerichte vertretbar sind.

Das BSG geht zu diesem Zweck aufgrund der besonderen Natur sozialgerichtlicher Verfahren daher von folgenden Grundsätzen aus:

Die persönliche und sachliche Ausstattung der
Sozialgerichte muss einerseits so beschaffen sowie die gerichtsinterne Organisation der Geschäfte (Geschäftsverteilung, Gestaltung von Dezernatswechseln etc.) so geregelt sein, dass ein Richter oder Spruchkörper die inhaltliche Bearbeitung und Auseinandersetzung mit der Sache wegen anderweitig
anhängiger ggf. älterer oder vorrangiger Verfahren im Regelfall nicht länger als 12 Monate zurückzustellen braucht.

Die systematische Verfehlung dieses Ziels ist der Hauptgrund dafür, dass die für Ausstattung der Gerichte zuständigen Gebietskörperschaften Bund und Land mit den Kosten
der Entschädigungszahlungen belastet werden, wenn Gerichtsverfahren eine angemessene Dauer überschreiten. Eine Verfahrensdauer von bis zu 12 Monaten je Instanz ist damit regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet
und gerechtfertigt werden kann.

Diese Zeitspanne muss und wird in der Regel nicht vollständig direkt im Anschluss an die Erhebung der Klage bzw. die Einlegung der Berufung liegen, in der das Gericht normalerweise für einen Schriftsatzwechsel sorgt und Entscheidungsunterlagen beizieht. Die Vorbereitungs- und Bedenkzeit kann vielmehr auch am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt 12 Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein.

Für diese Zwölfmonatsregel spricht unter anderem die Regelung des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG; danach kann eine Klage zur Durchsetzung des Anspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG frühestens 6 Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden.

Eine gewisse Vorbereitungs- und Bedenkzeit der Gerichte akzeptiert auch der EGMR, dessen Rechtsprechung maßgeblich dem ÜGG zugrunde liegt. Wie die Analyse seiner Urteile zeigt, beanstandet der Gerichtshof regelmäßig nicht die Dauer solcher Verfahren, die nicht besonders eilbedürftig sind und die je Instanz nicht länger als 2 Jahre und insgesamt nicht länger als 5 Jahre dauern (vgl. Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6 RdNr. 249 mwN; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 6 RdNr. 199).

Nicht jede Periode gerichtlicher Untätigkeit führt nach der Rechtsprechung des EGMR zwingend zu einem Entschädigungsanspruch;
vielmehr ist sie in einem gewissen Verfahrensstadium vertretbar, solange die Gesamtverfahrensdauer nicht als überlang erachtet werden kann.

Die Zeitspanne von 12 Monaten ist regelmäßig zu akzeptieren; nach den besonderen Umständen des Einzelfalls kann ausnahmsweise eine kürzere oder gar keine Vorbereitungs- und Bedenkzeit anzusetzen sein (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris RdNr. 50).

Dies gilt insbesondere bei überdurchschnittlich langer Gesamtdauer des Ausgangsverfahrens; denn je länger das Verfahren insgesamt dauert, umso mehr verdichtet sich die Pflicht des Ausgangsgerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 1/13 R - juris RdNr. 32).

Anlass, die Zeitspanne von 12 Monaten zu reduzieren, besteht vorliegend nicht.

Zum einen kann bereits keine überdurchschnittlich lange Gesamtdauer des erstinstanzlichen Ausgangsverfahrens (30 Monate) konstatiert werden. Zum anderen sind atypische Gründe, die für eine Verkürzung der grundsätzlich 12-monatigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit im konkreten Fall sprechen würden, weder vorgetragen, noch ersichtlich.

In diese Bewertung fließen dabei auch die – oben erörterten – Einzelfallumstände des konkreten Verfahrens mit ein. Das Ausgangsverfahren hatte zwar für die Kläger einerseits eher leicht überdurchschnittliche Bedeutung. Es wies andererseits aber auch einen mindestens durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad auf. Diese beiden Komponenten heben sich damit nahezu gegenseitig auf, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt eine besondere Einzelfallspezifik nicht konstatiert werden kann.

Die 12-monatige Vorbereitungs- und Bedenkzeit begann auch nicht erst mit Erhebung der Verzögerungsrüge am 24.05.2018 zu laufen.

Denn die Verzögerungsrüge markiert nicht den Beginn der Vorbereitungs- und Bedenkzeit, sondern hat Warnfunktion für das mit der Sache befasste Gericht (dazu bereits ausführlich: Sächsisches LSG, Urteil vom 22.01.2018 - L 11 SF 24/17 EK).

Eine Präklusion des (bereits verzögerten) Zeitraums (der gerichtlichen Verfahrensförderung) vor Erhebung der Verzögerungsrüge sieht das Gesetz im Übrigen ausdrücklich lediglich für Fälle vor, die vor Inkrafttreten des ÜGG vom 24.11.2011 am 03.12.2011 bereits anhängig und verzögert waren, wenn die erforderliche Verzögerungsrüge nicht unverzüglich, also binnen drei Monaten nach Inkrafttreten des ÜGG (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris RdNr. 26; Urteil vom 12.02.2015 - B 10 EG 7/14 R – juris RdNr. 41), erhoben wurde (Art. 23 Satz 2 und 3 ÜGG).

Dass der Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zudem auch für den Zeitraum vor der Erhebung der Verzögerungsrüge besteht, folgt darüber hinaus sowohl aus dem Wortlaut („wenn“) als auch der Entstehungsgeschichte des Gesetzes (vgl. dazu bereits: Bundesverwaltungsgericht
[BVerwG], Urteil vom 29.02.2016 - 5 C 31/15 D - juris RdNr. 33).

Der Referentenentwurf vom 15.03.2010 (abgedruckt in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Anhang 5, Seite 413 und 433) und dessen Begründung gingen in Bezug auf § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG davon aus, dass ein Entschädigungsanspruch nur in Betracht komme, „soweit“ die Verzögerungsrüge rechtzeitig zu dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG genannten Zeitpunkt erhoben werde und dass im Fall einer nach diesem Zeitpunkt erhobenen Rüge die Entschädigung für den davorliegenden Zeitraum ausgeschlossen sei.

Der Gesetzgeber ist dem nicht gefolgt. Er hat zum einen in
§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG statt des Wortes „soweit“ den Begriff „wenn“ gewählt. Zum anderen hat er in der Begründung des Gesetzentwurfs darauf hingewiesen, dass es grundsätzlich unschädlich sei, wenn die Rüge erst nach dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG bestimmten Zeitpunkt eingelegt wird (BTDrucks. 17/3802, S. 21).

Daraus ergibt sich zweifelsfrei auch, dass der vor einer wirksam bei dem mit dem Verfahren befassten Gericht erhobenen Verzögerungsrüge verstrichene Zeitraum des Verfahrens vor diesem Gericht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einzustellen ist (BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 3/16 R - juris RdNr. 20; BVerwG, Urteil vom 29.02.2016 - 5 C 31/15 D - juris RdNr. 33; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 1. Aufl. 2013, § 198 GVG, RdNr. 194).

Dem Kläger steht somit gemäß § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG für jeden Monat der unangemessenen Verfahrensdauer für die von ihm erlittenen immateriellen Nachteile eine Entschädigung in Geld von 100,00 Euro monatlich zu, da weder eine Abweichung von dieser gesetzlichen Pauschale geboten ist (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG) noch die Nachteile auf andere Weise wiedergutgemacht werden können (§ 198 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 4 GVG).

Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG, insbesondere durch (bloße) gerichtliche Feststellung
einer unangemessenen Verfahrensdauer, ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung des Nichtvermögensschadens auf andere Weise nach § 198 Abs. 4 GVG scheidet hier aus.

Nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 GVG kann das Entschädigungsgericht die bloße Feststellung der Überlänge des Ausgangsverfahrens aussprechen, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des § 198 Abs. 3 GVG nicht erfüllt sind; davon umfasst sind vor allem die Fälle, in denen eine Entschädigung nicht beansprucht werden kann, weil die Verzögerungsrüge zu früh oder gar nicht erhoben wurde (BTDrucks. 17/3802, S. 22).

Sind dagegen alle Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch erfüllt, kommt eine Kompensation des Nichtvermögensschadens durch die bloße Feststellung der
Überlänge nur ausnahmsweise in Betracht, etwa wenn das Ausgangsverfahren für den Entschädigungskläger keine besondere Bedeutung hatte oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen hat (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 36; Urteil vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris RdNr. 43 ff.).

Dies ist hier nicht der Fall, weil das Verfahren für den Kläger – wie dargelegt – von eher leicht überdurchschnittlicher Bedeutung war und sein Verhalten zu keiner Verfahrensverlängerung geführt hat.

Ebenso wenig liegt ein Ausnahmefall vor, für den § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG die Möglichkeit eröffnet, von der Pauschale des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG (1.200,00 Euro je Jahr bzw. 100,00 Euro je Monat
der Verzögerung) nach oben oder nach unten abzuweichen (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 36; Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris RdNr. 53).

Mehr als ausnahmsweise Korrekturen in atypischen Sonderfällen lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen; das zu beurteilende Ausgangsverfahren muss sich folglich durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von vergleichbaren Fällen abheben (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 36 ff.).

Dies ist vorliegend nicht feststellbar. Auch der geringe Streitwert des Ausgangsverfahren (39,90 Euro [= streitgegenständlicher,
einbehaltener Aufrechnungsbetrag des Monats Januar 2016]) steht dieser Bewertung nicht entgegen.

Denn die Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer ist – wie das BSG bereits entschieden hat – in Verfahren mit niedrigen Streitwerten nicht ohne weiteres auf den Betrag
des Streitwerts begrenzt (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris RdNr. 37 ff.). Nur in atypischen Sonderfällen sind ausnahmsweise Abweichungen von der Entschädigungspauschale des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG möglich.

In Grundsicherungsangelegenheiten ist der geringe Streitwert
indessen keine Besonderheit und als genereller Maßstab der Absenkung daher insgesamt untauglich.

Der Entschädigungsbetrag ist ab Eintritt der Rechtshängigkeit (am 18.04.2019 [= Zustellung der Klageschrift an den Beklagten]) in entsprechender Anwendung der §§ 288 Abs. 1, 291 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen (vgl. BSG Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris RdNr. 54).

Vor diesem Hintergrund erscheint es berechtigt, den erhobenen Entschädigungsanspruch des Klägers anzuerkennen. Zur Vermeidung weiterer Verzögerungen sowie Rückfragen hervorrufender Irritationen erlaubt sich das Gericht den Inhalt des Anerkenntnisses nachfolgend ausnahmsweise im
Wortlaut vorzuschlagen.

Das Anerkenntnis sollte wie folgt formuliert werden:
I. Der Beklagte zahlt, wegen der Überlänge des vor dem Sozialgericht Leipzig unter dem Aktenzeichen S 5 AS 759/16 (zuvor: S 21 AS 759/16) geführten Verfahrens, an den Kläger 1.200,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 18.04.2019.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Es wird um ernsthafte Prüfung sowie schriftliche Mitteilung spätestens bis zum 24. Juni 2019 gebeten, ob das vorformulierte Anerkenntnis abgegeben wird. Nach Annahme des Anerkenntnisses durch den Kläger könnte der Rechtsstreit dann seine endgültige Erledigung finden.


Mit freundlichen Grüßen
Dr. (...)
Richter am Landessozialgericht

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FHP: Freie Hartz IV Presse

Perry Feth: SGB II - Aktivist u.Publizist! Als Eltern müssen wir gegen jede Art von Unrecht in der Hartz IV - Gesetzgebung - Widerstand leisten!

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