Breitband über Nacht

Chinesische Zeiten Unser Kolumnist scheitert daran, einen Bautrupp vor seinem Pekinger Haus viral gehen zu lassen
Ausgabe 39/2018
In China ist die Anzahl von Internetnutzern in den letzten Jahren explosionsartig gestiegen
In China ist die Anzahl von Internetnutzern in den letzten Jahren explosionsartig gestiegen

Foto: Wang Zhao/AFP/Getty Images

Als mal wieder ein Bautrupp kam und die Straße vor meinem Pekinger Mietshaus aufriss, dachte ich mir erst nicht viel dabei. Das passiert derzeit fast jeden Monat, ständig wird alles von neuem umgegraben. „Hallo, Meister, was verlegt ihr denn diesmal?“, frage ich. Die Männer mit den orangen Warnwesten versenken weiße, rechteckige Plastikrohre in den Boden und ziehen dann Kabel durch. „Das ist diesmal Breitband-Internet“, erklärt mir der Vorarbeiter. „Neue Glasfaserkabel.“ Unser Stadtviertel hatte schon Glasfasern – schließlich wohnen wir mitten in Peking. Aber anscheinend sind die veraltet und neue Glasfasern nötig.

Ich wittere die Chance, das Geschehen vor meiner Haustür journalistisch auszuschlachten. Vielleicht käme ja ein interessantes Video dabei raus, das in den sozialen Medien abgeht? „Morgen filme ich die Männer beim Verlegen der Kabel“, denke ich und überlege, wie ich den Fortschritt der Arbeiten in einem Zeitraffervideo zeigen könnte.

Als ich abends nach Hause komme, werkeln die Männer immer noch, sie haben inzwischen Baustellenlampen aufgestellt, und aus einem Minibus steigen weitere Arbeiter. Aber als ich am nächsten Morgen aus dem Haus trete, ist der Bürgersteig wieder zu, die Platten sind neu verlegt. Am Ende der Straße warten noch ein paar Gerätschaften darauf, abgeholt zu werden, aber sonst ist niemand mehr zu sehen.

Es gibt nichts mehr zu filmen, die Arbeiten sind fertig. Nicht nur das: Im ganzen Viertel ist der Breitband-Ausbau beendet – meine Straße war eine der letzten, die die Arbeiter erledigt haben. Mein Video kann ich mir in die Haare schmieren. Ich filme einen verbliebenen Stapel weißer Röhren mit meinem Handy, komme mir aber ziemlich dämlich vor.

China verlegt Breitband in einem ganzen Straßenzug über Nacht. Zwar sind auf der Fläche dieses riesigen Landes die Verbindungsgeschwindigkeiten im Durchschnitt noch niedrig, doch in den Großstädten wie Peking, Shanghai oder Guangzhou ist das Netz äußerst flott. Nun lässt sich über die Qualität chinesischer Bauarbeiten vielleicht streiten, aber auch Südkorea, Japan, Singapur oder Taiwan – wo man mehr Sorgfalt walten lässt – haben schnelle Netze. Als ich 2006 nach Tokio zog, hatte mein Haus bereits Glasfaseranbindung. Die Bewohner teilten sich ein Gigabit pro Sekunde an Bandbreite, ich hatte meist 100 Megabit pro Sekunde zur Verfügung. Das war vor mehr als einem Jahrzehnt – und zehnmal schneller als das Netz in manchen deutschen Haushalten heute.

Das Internet ist heute das Rückgrat der Wirtschaft, Ostasien weiß das. Deutschland rangiert bei den Geschwindigkeiten allenfalls im Mittelfeld. Doch als ich mich neulich in Berlin im Kreis deutscher Freunde über das langsame Internet beklagte, wurden die gleich skeptisch: „Muss das denn immer so schnell sein?“ – „Der Mensch braucht auch mal Ruhe.“ – „Die Kids verbringen schon viel zu viel Zeit im Netz.“ Mag sein, aber die Frage ist doch, wo Deutschland sich als Technikland einordnet: hinter Bulgarien? Oder auf einer Ebene mit Japan, Südkorea und Shanghai? Bei mir persönlich ist das Netz jetzt jedenfalls rasend schnell.

Finn Mayer-Kuckuk berichtet seit 2010 als Korrespondent aus China

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