Lockdown für Ungeimpfte? Warum das nichts als schwarze Pädagogik ist

Österreich Der Ton der Regierung aus ÖVP und Grünen in der Coronakrise wird rauer, doch das Virus bewegt sich völlig außerhalb aller politischen Kriterien. Wie nun mit der Impfung von Kindern verfahren wird, wäre vor Monaten noch unvorstellbar gewesen
Ausgabe 46/2021
Man ist im Impffieber. Wer nicht an die Impfung glaubt, ist ein Staatsfeind
Man ist im Impffieber. Wer nicht an die Impfung glaubt, ist ein Staatsfeind

Foto: Jan Hetfleisch/AFP/Getty Images

Der eigenen Logik gehorchend, waren restriktive Maßnahmen nur eine Frage der Zeit. Nun haben wir ihn also, den partiellen Lockdown für Ungeimpfte. Einmal mehr ist Österreich Avantgarde. Dass etwas geschehen musste, ist unbestritten. Doch die Spitäler sind weniger wegen Corona überlastet als aufgrund der knapp gehaltenen Kapazitäten. Gerade einmal 100 Covid-Intensivpatienten in Wien lassen eigentlich keine apokalyptische Deutung zu. Und man hätte die Kliniken aufrüsten können.

Für die Ungeimpften soll es „ungemütlich werden“, ließ Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) verlauten. Der Sündenbock ist gefunden, und die eigentlich beklagte Polarisierung wird forsch vorangetrieben. Der Ton wird rauer, selbst die Forderung nach Impfpflicht gewinnt an Schärfe und Brisanz. Was etwa an einer aktuell getesteten Ungeimpften gefährlicher sein sollte als an einem ungetesteten Geimpften, müsste man mal erklären. Außer schwarzer Pädagogik fällt den Regierenden wenig ein. Selbst für Geimpfte und Genesene gibt es eine Ablauffrist. Wenn sie sich nicht zeitgerecht boostern, werden sie in den Status der Ungeimpften zurückgereiht.

Wie wird der Teillockdown umgesetzt? Kann er überhaupt kontrolliert werden? Die Polizei möchte nicht so recht und spielt den Ball an die Gesundheitsbehörden zurück. Möglicherweise hat man etwas beschlossen, was gar nicht geht. Was dann? Anfang dieser Woche waren im öffentlichen Raum jedenfalls kaum Änderungen wahrzunehmen. Kontaktbeschränkungen werden sich also in engeren Grenzen halten als projektiert. Erschwerend kommt hinzu, dass in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Verordnungen gelten, zudem kollabierten diverse Teststationen. Die Inzidenzen werden daher vorerst kaum sinken. Die 3G-Regel am Arbeitsplatz, sprich: die tägliche Testung für Ungeimpfte, dürfte noch mehr Infektionen aufdecken, ebenso die 2G+-Regel (geimpft oder genesen und zusätzlich getestet) für bestimmte Bereiche. Inzwischen werden Kinder von fünf bis elf Jahren geimpft, obwohl es noch keine Genehmigung dafür gibt. Weder in Europa noch in Österreich. Das wäre vor Monaten noch unvorstellbar gewesen.

Man ist im Impffieber. Wer nicht an die Impfung glaubt, ist ein Staatsfeind. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein von den Grünen hatte weitere Verschärfungen (nächtliche Ausgangsbeschränkungen für alle) angedacht, scheiterte jedoch am Koalitionspartner ÖVP, der vor allem auch die unmittelbaren Interessen der Wirtschaft im Auge hat. Die Nerven liegen blank, und das Koalitionsklima verschlechtert sich rasant. Trotzdem ist anzunehmen, dass es noch einmal zu einem strengen Lockdown kommt.

Wenn Österreich die auf Zahlen fixierte europäische Öffentlichkeit nicht mit niedrigeren Werten beeindrucken kann, wird vor allem der immens wichtige Wintertourismus abermals unter die Räder kommen. Ein generelles Runterfahren des Betriebssystems ist wohl nur eine Frage von Tagen.

Politik ist jenseits aller Souveränität und Planung gelandet. Lavieren und Taktieren bestimmen das Geschäft. Regieren meint Reagieren. Kann man es überhaupt richtig machen? Das Virus bewegt sich völlig außerhalb aller Kriterien, die Politik tappt mit ihren Maßnahmen oft im Dunkeln. Die deutsche Ampelkoalition, die über Ähnliches nachdenkt, kann sich das österreichische Experiment anschauen, bevor sie genau dasselbe tut – oder doch etwas anderes.

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