Bei Pegida

Kein Spaziergang Die "patriotischen Europäer" demonstrieren noch immer. Ein Bericht aus Dresden

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Bei Pegida

Foto: ROBERT MICHAEL/AFP/Getty Images

Es ist gerade einmal 18:00 Uhr an diesem Montagabend, aber der Tag steckt mir schon merklich in den Beinen. Ich bin stundenlang bei über 30 Grad durch Dresden gelaufen und habe mir diese schöne Stadt angesehen. Jetzt mache ich mich auf den Weg zum Wiener Platz, direkt vor dem Hauptbahnhof gelegen. Dort demonstrieren die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes – Pegida.

Als ich am Wiener Platz ankomme, ist mein erster Gedanke: Nicht besonders viel los hier. Die Gruppe Durchgezählt wird später laut Sächsischer Zeitung schätzen, dass etwa 2400-2800 Menschen an der Demonstration teilgenommen haben. In dieser Größenordnung haben sich wohl auch die letzten „Spaziergänge“, wie Pegida selbst die Demonstrationen nennt, abgespielt. Verglichen mit den circa 25.000 Menschen, die Anfang des Jahres 2015 noch dabei waren, ist das wenig.

Ich setze mich auf eine kleine Steintreppe am Rand der Demonstration und lasse meinen Blick über die Demonstranten schweifen. Die meisten von ihnen sind wohl schon in der Rente oder bewegen sich zumindest stark auf den Renteneintritt zu. Junge Menschen sind hier eine Minderheit.
Viele der Leute haben Flaggen dabei – zum Teil ziemlich skurrile Exemplare. Neben 'normalen' Deutschlandflaggen sehe ich gleich mehrere, die verkehrt herum aufgehängt sind. In manchen Kreisen ist das wohl ein Zeichen von Widerstand. Einige Menschen haben auch Russlandflaggen dabei, zum Teil kombiniert mit der deutschen. Letzteres bringt mich zum Schmunzeln.
Auch die sogenannte Wirmer-Flagge, die heute auf vielen rechten Demos zu sehen ist, kann ich mehrere Male aus der Nähe bestaunen.

Noch während ich die Eindrücke auf mich wirken lasse, wird Musik gespielt. Das ist wohl Pegidas Hymne. Das musikalisch mittelmäßige Liedchen dauert zum Glück nicht lange.
Dann tritt Lutz Bachmann, Kopf von Pegida, ans Mikrofon. Er bringt die „Spaziergänger“ auf den organisatorisch neusten Stand. Lutz Bachmann spricht über die bevorstehenden Demonstrationen zum zweiten Jahrestag von Pegida und zum Tag der deutschen Einheit. Hier soll auch Götz Kubitschek, ein Vordenker der deutschen Rechten, anwesend sein.
Bachmann redet anschließend über einen angeblichen „Prügel-Reporter“ des WDR, der einer „Spaziergängerin“ bei Pegida zwei Rippen gebrochen haben soll. Er konstruiert einen Justizskandal und will ein Verfahren gegen den verantwortlichen Staatsanwalt und Richter anstreben. Später werde ich nach ein wenig Recherche zum Schluss kommen: Es gibt keinen Justizskandal und das, was Bachmann da erzählt, ist wohl im besten Fall einseitig.

Dann tritt Ines ans Mikrofon, sie ist die erste Rednerin des Abends. Ines ist seit Beginn an bei Pegida dabei, war unter anderem Ordnerin. Sie macht ihrem Unmut über die aktuelle Politik Luft. Ines sagt, am Volk werde vorbei regiert und Deutschland lebe seit Jahren keine Demokratie mehr. Ich frage mich, ob sie wohl der Meinung ist, früher sei Demokratie gelebt worden. Wie sie wohl überhaupt Demokratie bzw. Demos definiert? Kurz darauf spricht sie von ihrem kürzlichen Aufenthalt in Nordrhein-Westfalen, sie war in den Großstädten Essen, Köln und Bochum. Sie redet von „degenerierten Bürgern in degenerierten Städten“. Worauf sie das bezieht, bleibt mir schleierhaft. Vielleicht auf den Bürgerstatus der Bio-Deutschen, wie man in diesen Kreisen wohl sagen würde? Ich weiß es nicht.

In den nächsten Minuten erfüllt sie in etwa alle meine Klischees, die ich über diese Menschen habe. Sie spricht über Überfremdungsängste und die sozialen Brennpunkte, natürlich ohne es so zu nennen. Sie nennt es „die Hölle“. Ines redet sich in Rage, regt sich über die bösen Ausländer auf, die „Nachrichten verschickend“ auf dem Domvorplatz in Köln sitzen – und zwar „sabbernd“. Laut Ines warten sie dort nur auf „Opfer in Form von weiblichem Fleisch oder Diebesgut“. Zwischenzeitlich muss Ines aufgrund ihrer emotionalen Rede etwas weinen. Die Menschen (oder: das Volk) auf dem Platz danken es ihr mit Applaus und immer wieder auch mit „Widerstand“- und „Abschieben“-Rufen.

Nachdem die Rede vorbei ist, betritt Lutz Bachmann wieder die Bühne. Er bedankt sich bei Ines und sagt, das sei das Emotionalste, was er bis jetzt hier erlebt habe. Ich muss lachen. Das war das Emotionalste, was er in zwei Jahren Pegida eerlebt hat? Da tut er mir fast ein bisschen leid, der arme Lutz.
Selbiger ruft die Demonstranten anschließend zum „Spazierengehen“ auf. Kurz darauf bewegt sich die Demonstration auf den S-Bahn-Gleisen an mir vorbei. In der Gruppe sehe ich noch eine Flagge des Deutschen Reichs und ein paar Meter weiter einen Mann, der ein Shirt mit der Aufschrift „Deutsch-Südwestafrika“ trägt. Hinter ihm fährt ein körperlich behinderter Mann im Rollstuhl mit einem T-Shirt, auf dem ein Adler abgebildet ist. Es ist der Reichs- oder Parteiadler aus der NS-Zeit. Welcher von beiden es ist, kann ich in der kurzen Zeit nicht genau ausmachen.

Ich habe genug gesehen. Ich gehe noch einige Meter neben dem Demonstrationszug her und biege dann in die Parallelstraße ab. Aus der Hauptstraße höre ich ab und zu Rufe wie „Merkel muss weg“. Nach ein paar hundert Metern vernehme ich hinter mir den Namen Festerling. Ich drehe mich mehr oder weniger neugierig um und sehe Lutz Bachmann mit zwei stämmigen Typen hinter mir, die wohl seine Bodyguards sind. Er schenkt mir keine Beachtung und läuft zügig an mir vorbei.

Er redet also noch immer über Tatja Festerling, die sich im Streit von Pegida getrennt hat (oder rausgeworfen wurde). Bei der Dresdener Oberbürgermeisterwahl hatte sie noch fast 10 Prozent der Stimmen bekommen, heute fährt sie durch Europa und rennt durch südosteuropäische Wälder, um Flüchtlinge abzuwehren. Wenn diese Menschen nicht so verdammt gefährlich wären, ich könnte wirklich herzhaft über sie lachen.

Als ich mich wieder in Richtung Hotel bewege, denke ich über das Erlebte nach. Der junge Mann im Rollstuhl geht mir nicht mehr aus dem Kopf.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.meinungsmache.org

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Geschrieben von

Franz Hausmann

Sozialwissenschaftler, Autor, Hobbygärtner. Buch "Koks am Kiosk? Eine Kritik der deutschen Drogenpolitik" gibts beim Schmetterling Verlag.

Franz Hausmann

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