Scharf und international

Iran, Israel Scharf, schärfer, aufs schärfste wird der iranische Angriff auf Israel verurteilt. An anderer Stelle urteilt die internationale Gemeinschaft nicht ganz so hitzig. - Wie Doppelstandards alles nur schlimmer machen.

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Samstagabend war es soweit: Der Iran hat Israel erstmals mit Drohnen und Raketen angegriffen.
Es war dies die erwartbare Reaktion auf den (sehr mutmaßlich) israelischen Angriff auf die iranische Botschaft in Syrien von Anfang April, bei dem mindestens 13 Menschen getötet worden waren.
Der iranische Gegenangriff hingegen konnte fast zur Gänze von Israel abgewehrt werden. Es gab keine Toten, nur eine verwundete Person. Ein Beduinenmädchen war von herabfallenden Splittern der Luftraumabwehr verletzt worden.

Was dann passiert ist:
Der Angriff vom Samstag wurde sogleich verurteilt.
Scharf, schärfer, aufs schärfste. Superlativ.
Die internationale Gemeinschaft reagierte empört und erbittert und würzte verbal kräftig nach.

So verurteilte der österreichische Präsident den Angriff des Iran „auf das Schärfste“.
Die EU-Kommissionspräsidentin: „Ich verurteile den unverhohlenen und ungerechtfertigten Angriff auf Israel aufs Schärfste. Und ich fordere den Iran und seine Stellvertreter auf, diese Angriffe unverzüglich einzustellen.“
„Mit aller Schärfe“ verurteilte natürlich auch der deutsche Kanzler die schweren iranischen Luftangriffe auf israelisches Staatsgebiet und sprach von einer „unverantwortlichen und durch nichts zu rechtfertigenden Attacke“, mit der der Iran „einen regionalen Flächenbrand riskierte“.
Frankreichs Außenminister blies ins selbe Horn: „Mit der Entscheidung zu einer solchen beispiellosen Aktion unternimmt der Iran den nächsten Schritt seiner destabilisierenden Aktionen und geht das Risiko einer militärischen Eskalation ein“.
Dann noch der britische Premierminister verurteilte den iranischen Angriff auf Israel – was wohl, na klar: „auf das Schärfste“.
Detto der niederländische Amtskollege: „Die Niederlande verurteilen die Angriffe des Iran aufs Schärfste. Eine weitere Eskalation muss verhindert werden“.
Die internationale Schärfe reichte gar bis Japan. „Wir sind tief besorgt und verurteilen diese Art der Eskalation scharf“, erklärte das Außenministerium in Tokio.
Der US-Präsident sprach dezidiert von einem „dreisten“ iranischen Angriff, den es nun zu beantworten gelte.
(Alles nachzulesen hier: https://orf.at/stories/3354396/)

Hingegen, zum Vergleich:
Anfang April, als das Konsulargebäude der iranischen Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus bombardiert worden war, suchte man die scharfen Worte vergeblich.
Es gab keine empörte Verurteilung.
Dieser Angriff wurde nicht „feig“ genannt oder „ungerechtfertigt“, „unverantwortlich“, „beispiellos“, „dreist“.
Kaum jemand warnte vor und sprach von „Eskalation“ oder davon, dass Israel mit diesem Angriff einen kriegerischen Flächenbrand riskierte.
Kaum jemand forderte die israelische Führung auf, derlei Angriffe unverzüglich einzustellen.

Indem die Politik- und Medienschaffenden mit ihren scharfen Worten immer nur an der einen Seite einhaken, geben sie der Eskalationsspirale ihrerseits nochmal neuen Drall.
Die selektive Betroffenheit, das selektiv gelesene Recht ist heuchlerisch, ist unrecht und macht alles nur schlimmer.
So geht das jetzt schon die ganze Zeit und überall:
Zuschauen, wie wechselseitig provoziert wird, um just in jenem Moment, da eine missliebige Gegenseite schließlich auszuckt, eine Gewalt und diese Seite dann zu „verurteilen“, während bei anderen Gewalttaten und Seiten systematisch weggeschaut wird.

Dass der Iran den Angriff von Monatsanfang nicht einfach so auf sich sitzen lassen konnte, war den meisten Beobachtern klar und ist eigentlich nichts, was diese aufgeregte Empörung verdient hätte.
Die vergleichsweise harmlose Antwort, die von Israel ohnehin erfolgreich abgewehrt werden konnte und kaum jemanden verletzt, niemanden getötet hat, kann man unter diesen Umständen fast schon als eine Art Friedensangebot und potentiell glimpflichen Schlusspunkt werten. In diesem Sinne hatte Teheran dann auch verkündet, dass man das Kapitel hiermit für beendet erkläre.
Jedoch anstatt darauf einzugehen, ätzt man nun an dieser Stelle nochmal größenwahnsinnig und spöttelnd über die geringe Schlagkraft der iranischen Raketen und wertet es nachgerade als Schwäche der iranischen Führung, dass sie noch nicht mal einen einzigen Israeli zu töten vermochte.
Es folgt ein kindisches „Ätschibätsch, hat gar nicht weh getan!“ und „Mehr habt ihr nicht drauf?!“, wo man eigentlich froh sein müsste, dass die iranische Antwort doch relativ milde ausgefallen ist.
Das – und die Verurteilungen „aufs schärfste“, dazu die Ankündigung wieder neuer „Vergeltung“, "Vergeltungsschläge", Rachegelüste...

Immer nur weitere Provokationen, Einseitigkeiten, Doppelstandards; immer neuer Drall für die Eskalationsspirale: Das ist alles, was ich sehe.
In aller Schärfe.


Weitere Quellen:

https://www.tagesschau.de/ausland/asien/angriff-botschaft-iran-israel-100.html

https://www.derstandard.at/story/3000000215754/israel-am-tag-danach-armee-sieht-strategische-gelegenheit

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