Aufs Örtchen

Wundersamer Alltag Die Beschilderungen an Toilettentüren fallen ganz unterschiedlich aus. Das kann den Restaurantbesucher irritieren, meint unser Kolumnist
Liebevolle Gestaltung der Toilettensymbolik findet man auch außerhalb von Restaurants
Liebevolle Gestaltung der Toilettensymbolik findet man auch außerhalb von Restaurants

Foto: OrtegaAnt

Manchmal verstehen wir wildfremde Menschen ohne Worte. Geht z.B. jemand mit suchendem Blick durchs Restaurant, gibt es zwei Möglichkeiten: Sind die Augen auf die besetzten Tische gerichtet, dann sucht er einen Bekannten, gleitet der Blick aber eher über Wände, Treppen und Türen, dann sucht er die Toilette. Fraglos und meist wortlos weist der Kellner oder ein anderer freundlicher und wissender Gast ihm den Weg. Woher weiß der Hilfsbereite, was des anderen Ziel ist? Er könnte ja auch auf dem Wege zum Ausgang oder zur Küche sein. Vielleicht will er schauen, wo das Essen bleibt, oder er will sich bei den Köchen für das vorzügliche Mal bedanken.

Wenn ich so einem Suchenden stumm den Weg weise, dann denke ich nicht lange nach. Sein Verhalten passt zu meinem eigenen Erfahrungsmuster, ich suche selbst in Restaurants und Biergärten selten etwas anderes als die Toilette, also vermute ich, dass es anderen Gästen ebenso geht. Es sind diese alltäglichen Kleinigkeiten an denen ich merke: Ich bin unter meinesgleichen, die sich an die gleichen kulturellen Regeln halten wie ich. Solche Regeln machen vieles einfach, gerade wenn sie selbstverständlich sind. Man muss nicht lange fragen, man muss nichts erklären, und kann trotzdem das Wissen der völlig unbekannten Menschen nutzen. Hilfsbereitschaft ist überhaupt nur möglich, weil wir diese selbstverständlichen Regeln haben. Wenn jeder erst lange erklären muss, was gerade sein Problem ist, dann kann manches in die Hose gehen, dann ist der Zug schnell abgefahren.

Aber diese Regeln sind ziemlich eng gesteckt. Das kann man ebenfalls bemerken, wenn man im Restaurant nach den Toiletten sucht. Habe ich sie – mit oder ohne Hilfe – gefunden, stehe ich zumeist vor zwei Türen, von denen ich mich für eine entscheiden muss. Sie sind mit Buchstaben oder Symbolen versehen, im besten Fall erblicke ich eine stilisierte Frau, erkennbar an einer Erweiterung im Bereich der Hüften und der Beine, die ein Kleid oder ein Rock sein soll, während der Mann eine symbolische Hose anhat. Wenn das so ist, dann habe ich es leicht, mich zu entscheiden; ebenso, wenn ein „D“ für „Damen“ die eine Tür ziert, während die andere mit einem „H“ für „Herren“ versehen ist. Aber leider ist die moderne Welt komplizierter. Die Begriffe Damen und Herren sind vielleicht altmodisch geworden und werden in kreativen Restaurants zunehmend gemieden und ein Gastronom, der sich als aufgeklärter Zeitgenosse zeigen will, weiß auch, dass Frauen nicht mehr unbedingt Röcke und Kleider tragen, jedenfalls nicht in der deutlich erkennbaren Glockenform. Knapp sitzende Miniröcke sind jedoch als reduzierte Symbole an der Toilettentür nicht mehr von einer Hose zu unterscheiden.

„D“ für „Damen“

Ganz moderne Restaurantgestalter verzichten aufs Symbolische und heften Fotos von mehr oder minder prominenten Personen an die Toilettentüren. Gern genommen wird hier Einstein mit herausgestreckter Zunge, nach dem Pendant an der Frauentoilette habe ich noch nicht zu schauen gewagt. Oder es werden die übersetzten Bezeichnungen des Landes angeschrieben, auf dessen Gerichte sich das Restaurant spezialisiert hat. Leider gibt es nur wenige englische Spezialitätenrestaurants, dafür umso mehr italienische, französische, spanische, thailändische, chinesische. All diese Abweichungen von der gewohnten Symbolik irritieren mich, erschweren die Entscheidung für die richtige Tür und erhöhen das Risiko einer Katastrophe.

Man sieht: Multikulturalität hat ihre Schattenseiten, und Modernität sowieso. Die Regeln einer kulturellen Gemeinschaft sind etabliert und durch Erfahrungen bestätigt. Man nennt sie auch Traditionen. Wenn auf Traditionen kein Verlass mehr ist, dann steigt die Unsicherheit und die Gefahr von Fehlentscheidungen.

Gleichzeitig führt an kulturellem Wandel offenbar kein Weg vorbei: Wenn Frauen keine Glocken-Röcke mehr tragen oder Männer beginnen, in weiten Hosen herumzulaufen, versteht das traditionelle Symbol bald niemand mehr, und das „D“ verliert genauso an Prägnanz wie das „H“ wenn keiner mehr „meine Dame“ oder „werter Herr“ mehr sagt. Aber wahrscheinlich hat das auch etwas Gutes: Wo die Unsicherheit steigt, wächst die Notwendigkeit, miteinander zu reden, zu fragen und Antworten zu geben. Wir laufen dann nicht mehr mit Scheuklappen und Kopfhörern durch die Welt, sondern kommen – der Not gehorchend – wieder miteinander ins Gespräch.

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Geschrieben von

Jörg Friedrich

Naturwissenschaftler, IT-Unternehmer, Philosoph

Jörg Friedrich

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