Erdogan schweißt Libyer zusammen

Libyen/Türkei/Krieg. Mehrheit im türkischen Parlament stimmt für militärische Intervention in Libyen. Libyen erhebt sich.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Stimmen aus Libyen

Nach der Entscheidung des türkischen Parlaments, für ein Jahr Erdogan freie Hand für ein militärisches Eingreifen in Libyen zu geben, sind viele hochkarätige Akteure dabei, auf die politische Bühne Libyens zurückzukehren. Dies wird nicht ohne Wirkung auf die weitere Entwicklung in Libyen bleiben.

So meldete sich gestern Ayscha Gaddafi, die Tochter des ermordeten Oberst Muammar Gaddafi, zu Wort. In Dschamahirija-News wurde sie mit den Worten zitiert: „Wenn türkische Soldatenstiefel unseren Heimatboden entweihen, der vom Blut unserer Märtyrer getränkt ist, und wenn ihr nicht in der Lage seid, Euch gegen den türkischen Eindringling zu stellen, dann tretet zur Seite und lasst die Frauen Libyens das Kommando übernehmen.“

Auch Stämme, die sich bisher neutral verhielten, sind nun entschlossen, den Kampf gegen die Türkei aufzunehmen. Die großen Stämme al-Abidat, al-Brasa, ad-Dressa, al-Hassuna, al-Trahana, Wirfala, al-Hassa, al-Zintan, al-Awager, al- Awalad Sulimn, al-Sayan, Shahhat, Asaba, Zawija, al-Obidate (größter Stamm in der Kyrenaika und zweitgrößter Libyens), Garmini und andere beteuerten ihre Solidarität. Auch die Stadt Sabrata hat sich gegen die türkische Invasion erhoben. Milizen in al-Zawia haben die Seiten gewechselt und sich der LNA angeschlossen.
Besondere Aufmerksamkeit gebührt dabei dem Wirfala-Stamm, der bisher immer auf seine Neutralität bedacht war. Nun hieß es in seiner Erklärung: „Wir waren stets darauf bedacht, in diesem Konflikt Neutralität zu wahren. […] Aber jetzt erklären wir, uns gegen die türkische Invasion zu erheben und rufen unsere Söhne auf, die Waffen zu ergreifen und in diesen heiligen Krieg zu ziehen.“

Der Stammesrat von Al-Hasawneh erklärte: Alle Militärs, Unteroffiziere und Soldaten des Stammes müssen zu den Waffen greifen und sich sofort den Kämpfern in Tripolis anschließen, um die türkische Invasion und ihre Agenten zu bekämpfen.

Der Parlamentsvorsitzende Agila Saleh ist in den Fessan, den Süden Libyens, gereist, um sich dort mit Repräsentanten zu besprechen. Der Hohe Tuareg Rat in Ghat rief dazu auf, das Parlament und die LNA zu unterstützen und bis zum letzten Mann gegen die Türken zu kämpfen.

Der Ältestenrat des Zintan-Stammes erklärte seine volle Unterstützung für das gewählte Parlament und die LNA.

Es wird berichtet, dass viele der bisher mit der ‘Einheitsregierung’ verbündeten Milizen in Tripolis ihre Waffen niedergelegt haben und einige von ihnen sich der LNA angeschlossen hätten.

In vielen libyschen Städten fanden Kundgebungen gegen die geplante Invasion der Türkei statt, unter anderen in Bengasi, Tobruk, al-Baida, al-Quba, Bani Walid, Derna, al-Mardsch.
Der Vorsitzende der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis, Sarradsch, wurde dabei als Verräter bezeichnet.

Auch das libysche Parlament warnte die Türkei vor einem militärischen Eingreifen in Libyen. Eine türkische Militärintervention wäre „Hochverrat“, sagte am Donnerstag in Bengasi Ehmajed Huma, Vize-Präsident des gewählten Parlaments. Die UNO und die internationale Gemeinschaft müssten „ihrer Verantwortung nachkommen“ und die Türkei von einem militärischen Eingreifen abhalten, sagte Huma der Nachrichtenagentur AFP.

Erdöl als Waffe

Der Hohe Rat der libyschen Stämme und Städte fordert das libysche Volk auf, die gesamte Öl- und Gasförderung auf allen libyschen Ölfeldern einzustellen. Alle türkischen Unternehmen müssten Libyen verlassen.

Die Gewerkschaft der Erdölarbeiter erklärte ihre Unterstützung für die LNA und rief alle libyschen Erdölunternehmen dazu auf, die Geschäftsbeziehungen mit türkischen Unternehmen zu beenden. Die Arabian Gulf Oil Company (AGOC) hat bereits angekündigt, alle Verträge mit türkischen Gesellschaften auszusetzen.

Ras Lanuf Oil and Gas Manufacturing Company verurteilte die türkische Invasion und erklärte die Aussetzung aller Verträge mit türkischen Gesellschaften.

All dies dürfte erheblich zur Steigung der Erdölpreise auf dem internationalen Markt beitragen.

Die militärische Lage

Währenddessen fliegt die Luftwaffe der LNA weitere Einsätze. Der Mitiga-Flughafen von Tripolis musste geschlossen werden, auch der Flughafen von Misrata wurde unter Beschuss genommen, nachdem bekannt wurde, dass mehrere Transcargoflüge vom belgischen Ostende nach Misrata stattgefunden haben. Dies bestätigt die Unterstützung der EU für die türkische Militärintervention in Libyen.
Auch auf Stellungen von Misrata-Milizen in Sirte wurden von der LNA Luftschläge verübt.
Die LNA meldet die Einnahme der östlich von Tripolis gelegenen Stadt Msallata.

LibyaDesk bestätigte, dass über hundert Syrer momentan mit der al-Nawasi-Brigade in Tripolis kämpfen. RT berichtet: „Seit Jahren hat die Türkei in Syrien turkmenische Dschihadisten herangezüchtet, die in Sachen Brutalität vom sogenannten Islamischen Staat kaum zu unterscheiden sind. Um Ankaras geopolitische Ziele umzusetzen, werden sie auf den nächsten Einsatz in Libyen vorbereitet. […] der türkische Präsident setzt [in Libyen] auch auf die wie Söldner agierenden Turkmenen aus Syrien. Sie sollen die von der UNO anerkannte, aber längst nicht von allen unterstützte Regierung von Ministerpräsident Fayiz as-Sarradsch in Tripolis gegen den befürchteten Ansturm des Generals Chalifa Haftar beschützen. Dieser genießt die Unterstützung Russlands, Frankreichs, Ägyptens, Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate.“

Der französische Radiosender RFI veröffentlichte Fotos und Videos von syrischen Söldnern, die von der Türkei nach Tripolis gebracht wurden. Sie kamen mit nichtregistrierten Flügen der Afriqiyah Airways und Fluggesellschaft Ajniha am Mitiga-Airport an. Ajniha gehört Abdalehakim Belhadsch, der nach 2011 die militärische Kontrolle über Tripolis übernommen hatte. Er ist ein führender LIFG-Islamist mit aktuellem Wohnsitz in der Türkei.

Militärexperten vermuten, dass die Türkei zunächst plant, eine Flugverbotszone und eine Seeblockade einzurichten, türkische Berater und Ausbilder nach Libyen zu schicken und Luftwaffenbasen der LNA zu bombardieren. In Anbetracht der großen Distanz zwischen der Türkei und Libyen und der strikten Ablehnung eines türkischen Einsatzes durch Ägypten, gar nicht zu sprechen von der in Libyen zu erwartenden geschlossenen Front der Gegenwehr, sollte sich Erdogan sehr gut überlegen, ob er wirklich das Risiko einer offenen militärischen Intervention eingeht.

Der Außenminister der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis, Mohammed Siala, telephonierte am 2. Januar mit dem türkischen Außenminister Mevlut Cavusoglu. In den Gesprächen ging es um bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und Libyen. Während des Telefongesprächs bedankte sich Siala für die Entscheidung des türkischen Parlaments.

Der sogenannte Ministerpräsident Sarradsch besitzt überhaupt nicht die Legitimität, ausländische Truppen anzufordern. Er wurde nie, wie es das Skhirat-Abkommen vorsah, vom demokratisch gewählten Parlament bestätigt. Auch ist seine Amtszeit auf maximal vier Jahre beschränkt und somit im Dezember 2019 abgelaufen. Außerdem hätte die Anforderung von ausländischen Truppen durch das ebenfalls von der UN anerkannte libysche Parlament bestätigt werden müssen, so wie sich Erdogan seine Libyen-Intervention vom türkischen Parlament genehmigen lassen musste.

International

Die Parlamente von Ägypten, Saudi-Arabien, den Emiraten und Bahrain lehnten die Entscheidung des türkischen Parlaments, in Libyen militärisch einzugreifen, ab.

Das US-Außenministerium gab bekannt, dass die USA die laufenden Bemühungen des Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen, Ghassan Salama, unterstützen, einen Weg zu finden, der Sicherheit und Wohlstand für alle Libyer schafft.

Auch Israel, Zypern und Griechenland sehen die türkische Militärintervention sehr kritisch.

Der russische Präsident Putin wird kommenden Mittwoch in die Türkei kommen, um offiziell die Ölpipeline Turkish Stream zu eröffnen, die nicht nur die Türkei, sondern auch EU-Länder mit russischem Erdgas versorgen soll. Libyen dürfte dabei zum großen Gesprächsthema werden.

https://twitter.com/MLNA27

https://almarsad.co/en/2020/01/03/ayesha-gaddafi-calls-on-the-libyan-people-to-repel-turkish-invasion/

https://deutsch.rt.com/der-nahe-osten/96358-tuerkei-schickt-rebellen-aus-syrien-nach-libyen

https://almarsad.co/en/2020/01/02/gnas-siala-expresses-gratitude-for-the-turkish-parliaments-vote/

https://deutsch.rt.com/international/96405-konfliktherd-mittelmeer-turkei-plant-militareinsatz

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden