Kurznachrichten Libyen – 30.06.2020

Libyen. Versuch der Deeskalation der militärischen Situation / Ischinger schlägt vor, Deutschland solle Truppen nach Libyen schicken / Kann Sirte neutrale Stadt werden?

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Militärische Lage

+ Die LNA flog am 28.06. östlich von Misrata Luftangriffe auf die von der Türkei unterstützten Milizen der ‚Einheitsregierung‘. Bereits am 28.06. gab die LNA an, im Süden Libyens auf einen Konvoi von Milizen einen Luftangriff geflogen zu haben.
https://www.addresslibya.net/archives/57341

+ 30.06.: Auf dem Marinestützpunkt Abu Sitta in Tripolis ist der Kommandeur der türkischen Seestreitkräfte Admiral Adnan Özbal eingetroffen.
Die Türkei ist bisher das einzige Land, das offiziell und offen in Libyen militärisch interveniert - trotz eines verhängten Waffenembargos.

Libysche Stämme und Städte

+ Der Präsident des libyschen Ältestenrates ruft am 5. Juli zu einer friedlichen Großdemonstration gegen die Türkei auf. Er erklärt auch, dass die Jugend der Stämme an der Seite der LNA kämpfen werde.
https://twitter.com/ObservatoryLY/status/1277667316608708609/photo/1

Libysches Parlament/Übergangsregierung

+ Laut dem libyschen Parlament werden alle libyschen Stämme die LNA unterstützen, um einen Angriff auf Sirte zurückzuschlagen.

+ Der Premierminister der Übergangsregierung (Tobruk), at-Thinni, erachtet es für notwendig, alle mit türkischen Unternehmen unterzeichneten Verträge in Übereinstimmung mit dem Gesetz zu kündigen. Grund seien die feindlichen Aktionen der Türkei gegen das libysche Volk und die LNA.
https://libyareview.com/?p=4331

In Libyen

+ In einem offenen Brief an die UNO, der von Libyern aus allen Landesteilen unterstützt wird, fordert die Bewegung Ihya Libya Wahlen im Dezember und Sirte als Sitz der wichtigsten libyschen Institutionen wie Zentralbank, National Oil Company, Libya Investment Authority, Telco Holding Company und die Nationale Wahlkommission, da die Hauptstadt Tripolis von Islamisten kontrolliert werde. Sirte könne so aus dem Konfliktzentrum gerückt werden und für den Wiederaufbau der Nation stehen. Die Stadt solle eine demilitarisierte Zone unter Aufsicht der UNO sein. Alle militärischen Kräfte zögen sich hinter eine 300-Kilometer-Zone zurück. Sirte gehöre keiner der drei libyschen Teile Kyrenaika, Tripolitanien oder dem Fessan an.
https://almarsad.co/en/2020/06/29/open-letter-to-un-ihya-libya-calls-for-elections-in-december-and-sirte-as-capital-of-sovereign-institutions/
Warum greift die UNO solche vielleicht im Moment sinnvollen Vorschläge nicht auf?

+ Vor dem Hauptquartier der ‚Einheitsregierung‘ wird gegen die mehr als 20-stündigen Stromausfälle in Tripolis protestiert. Forderung: Entlassung des GECOL-Managements und Verhaftung wegen Korruption.
https://twitter.com/LibyaPro2/status/1277958478548496393

+ In einem Interview mit BBC Arabic sagte UN-Generalsekretär Guterres, dass die Einmischung vieler Staaten in Libyen einen Stellvertreterkrieg zur Folge hat. Die Lösung müsse unter Führung der Libyer zustande kommen, wichtigste Bedingung sei ein Waffenstillstand.
Der UNO sei es gelungen, je fünf Militärs von der ‚Einheitsregierung‘ und von der LNA zusammenzubringen, die sich auf einen Vorschlag für einen Waffenstillstand geeinigt hätten.
https://libyareview.com/?p=4361

+ 30.06.: Nun sollen auch jemenitische Söldner auf Seiten der ‚Einheitsregierung‘ und der Türkei in Libyen kämpfen. Laut YemenNewsGate sollen fast 200 Söldnern der Islah-Miliz, die zur jemenitischen Partei der Moslembruderschaft im Jemen gehört, nach Libyen gebracht worden sein. Einige sollen von der LNA bereits gefangengenommen worden sein. Die Türkei soll sich auch vermehrt im Jemen engagieren.
https://www.middleeastmonitor.com/20200629-libya-200-yemen-mercenaries-arrive-to-fight-on-behalf-of-turkey/#.XvtOZcocosA.twitter

+ 29.06.: Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte gibt bekannt, dass die Zahl der syrischen Söldner in Libyen auf über 15.000 gestiegen ist.

‚Einheitsregierung‘/Milizen/Moslembruderschaft/Türkei

29.06.: Die ‚Einheitsregierung‘ tüftelt mit der Türkei an einem Plan, wie die Forderung nach Entwaffnung der kriminellen Milizen umgangen werden kann. Dazu schlägt die libysche Muslimbruderschaft die Schaffung einer „Nationalgarde“ vor. Dies soll zum einen Zeit gewinnen und zum anderen den internationalen Forderungen nach der Auflösung der Milizen entgegenkommen. Bei einer Videokonferenz mit US-amerikanischen Beamten und Mitgliedern der Innenministeriums der ‚Einheitsregierung‘ habe die US-amerikanische Seite auf der Zerschlagung der Milizen und bewaffneten Gruppen bestanden. Der Innenminister der ‚Einheitsregierung‘ und Moslembruder, Fathi Bashagha, vertrat anschließend die Auffassung, nachdem die Milizen zerschlagen seien, könnten deren Mitglieder in eine „Nationalgarde“ eingegliedert werden.
Die Idee einer Streitmacht, deren Mitglieder aus den Milizen rekrutiert werden, stammt ursprünglich vom ehemaligen UN-Sonderbeauftragten für Libyen, Martin Kobler. Deren Aufgabe sollte es sein, das präsidiale Hauptquartier und sonstige wichtige Ziele sowie die Land-, See- und Luftgrenzen zu schützen. Im Februar 2017 griff die damalige ‚Heilsregierung‘ unter der Leitung von Khalifa al-Ghuwail diese Idee auf und gab diesen Streitkräften den Namen „Nationalgarde“. Das Kommando übernahm damals der berüchtigte Dschihadist Khaled asch-Sharif, alias Abu Hazim, vormals militärischen Befehlshaber der Libya Islamic Fighting Group (LIFG).
Auch jetzt ist asch-Sharif, ein Unterstützer von Sarradsch, wieder im Gespräch. Sharif sagte am 27.06. in einer Fernsehsendung, dass die ‚Einheitsregierung‘ entschlossen sei, die libysche Souveränität auf allen Gebieten wiederherzustellen. Die ‚Befreiung‘ der Stadt Sirte, die unter Kontrolle der LNA steht, sei eine dringende Angelegenheit. Augenblicklich hält sich Sharif in Istanbul auf, kam aber letzte Woche zusammen mit türkischen Militärs zu einem geheimen Besuch nach Tripolis. Die Türkei habe ihr Interesse bekundet, unliebsame libysche Milizenführer loszuwerden.
https://www.addresslibya.co/en/archives/57355
Die Schaffung der „Nationalgarde“ verlief 2017 im Sande. Es dürfte auch diesmal interessant werden, ob sich die Milizenführer in Tripolis und Misrata so einfach von den Türken absetzen lassen.

+ 28.06. Damit in Zusammenhang steht die Meldung aus französischen Geheimdienstberichten, dass sich die Türkei und die ‚Einheitsregierung‘ auf ein neues Abkommen zur Ausbildung von Söldnern geeinigt haben. Das türkische Militärunternehmen SADAT habe einen diesbezüglichen Vertrag mit einer libyschen Sicherheitsfirma geschlossen. Federführend sei dabei Fawzi Abu Kattaf, der bei der Moslembruderschaft eine führende Position bekleidet.
https://www.addresslibya.net/archives/57336

https://twitter.com/LNA2019M/status/1277490958762991616

+ Dazu passt die Meldung vom 28.06.: Fathi Bashagha, der Innenminister der ‚Einheitsregierung‘, traf sich mit Abdel-Raouf Kara, dem Kommandeur der RADA-Spezialeinheiten, um die ‚Sicherheitslage‘ zu besprechen. Es ging auch um Aus- und Weiterbildung der RADA-Kräfte.Die RADA kontrolliert den Internationalen Flughafen Mitiga und die umliegenden Stadtviertel.

+ In Tripolis (Hadaba-Projekt) sind zwischen verschiedenen Milizen der ‚Einheitsregierung‘ Kämpfe ausgebrochen.

+ Der Chef der Libyschen Zentralbank, as-Siddiq al-Kabir, ist zu seinem Sultan Erdogan in die Türkei gereist. Dies widerspreche laut einem Mitarbeiter der Zentralbank in al-Bayda jeglichen internationalen Gepflogenheiten. In dem Treffen hätte zumindest der Premierminister der ‚Einheitsregierung‘ Sarradsch teilnehmen müssen, üblich seien solche Treffen innerhalb von Delegationen.
Es sei nach der türkischen Intervention in Libyen zu umfangreichen Änderungen bei Auslandsoperationen gekommen, insbesondere in Bezug auf Überweisungen und finanzielle Einlagen, so wurden von al-Kabir etwa acht Milliarden US-$ für vier Jahre und zinsfrei bei der türkischen Zentralbank eingezahlt. Es kam in den letzten Monaten auch zu Verlagerungen von libyschen Einlagen auf europäischen Banken zu türkische Banken.
https://twitter.com/LibyaReview/status/1277591144726233088
https://libyareview.com/?p=4349
Kabir wurde vom libyschen Parlament formal bereits zweimal seines Postens enthoben – was ohne Konsequenzen für ihn blieb.

27.06. Der libysche Innenminister der ‚Einheitsregierung‘ forderte die EU auf, die Sicherheitsfirma Wagner als Terrorunterstützer zu listen, die „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ begehe. Er behauptete, die Wagner-Truppe sichere libysche Ölfelder. Dies wird von der LNA bestritten.
https://www.aa.com.tr/en/africa/libya-says-mercenaries-threaten-national-security/1891934#

+ 28.06. As-Sarradsch von der ‚Einheitsregierung‘ und der italienische Premierminister Giuseppe Conte haben sich bei einem Treffen in Rom auf die Rückkehr italienischer Unternehmen nach Libyen und die Wiederaufnahme von deren Arbeit geeinigt. Die Italiener wollen auch bei der Minenräumung helfen.
Italien hat 2016 Militär auf dem Luftwaffenstützpunkt Misrata stationiert, angeblich zur Bewachung eines italienischen Militärlazaretts. Dieses steht auch unter dem Schutz italienischer Kriegsschiffe, die in den Häfen von Misrata und Tripolis vor Anker liegen. https://www.addresslibya.co/en/archives/57331

+ 27.06.: Die internationale Moslembruderschaft musste in Washington eine schwere juristische Niederlage gegen den Libyer Dr. Aref Ali Nayed von der Bewegung Ilhya Libya (Libyens Wiederbelebung) einstecken. Das Gericht hat das Verfahren gegen Dr. Nayed, das im Namen „libyscher Familien“ eingereicht wurde, eingestellt. Alle falschen Behauptungen gegen Dr. Nayed mussten fallengelassen und das Zivilverfahren gegen ihn eingestellt werden.
Der US-Libyer Esam Omeish, eine der führenden Persönlichkeiten der Muslimbruderschaft in den USA und ein Unterstützer der Dschihadistengruppe Benghazi Revolutionaries Shura Council (BRSC) hatte in einem Fernsehinterview gesagt, dass die Gerichtsladung „den Kriegsverbrechern gilt, Haftar oder Nayed, der ihn politisch unterstützt und ihn deckt, und Verbindungen zum kriminellen VAE-Regime […] aufrechterhält. Omeish behauptete, an-Nayed sei für Kriegsverbrechen, die Tötung von Zivilisten und Zerstörung von zivilen Einrichtungen verantwortlich. Omeish unterhält auch eine sehr enge Beziehung zum Vorsitzenden des Hohen Staatsrates in Tripolis, Khaled al-Mishri, der ebenfalls Mitglied der Muslimbruderschaft ist. Mishri besuchte im Februar 2019 die USA, und die libysch-amerikanische Allianz von Omeish organisierte für ihn dort mehrere Veranstaltungen. Laut der Libysch-Amerikanischen Allianz der Moslembruderschaft wurde die Klage in den USA auf Anweisung von Fathi Bashagha, dem Innenminister der ‚Einheitsregierung‘ eingereicht.
Aufhorchen lässt, dass auch Jonathan Winer, seiner Zeit US-Gesandter in Tripolis, an dem Prozess teilnahm. Winer wurde vorgeworfen, als US-Gesandter einseitig auf der Seite der Moslembrüder gestanden zu haben.
Die Lobby der Moslembruderschaft versucht verstärkt, über ihre Verbände, Medien, sozialen Plattformen und mittels elektronischer Armeen und Trolle die öffentliche Meinung mittels Verleumdung und Diffamierungen zugunsten der Moslembruderschaft zu beeinflussen. Dr. Nayed hatte vor wenigen Tagen die Muslimbruderschaft als faschistische Organisation beschrieben.
https://almarsad.co/en/2020/06/27/muslim-brotherhood-global-network-loses-a-legal-battle-against-nayed-in-washington/

+ Auch die TAZ weiß jetzt: „Erdoğan lässt seine Armee derzeit nicht nur im Nordirak angreifen. Gleichzeitig werden auch die Truppen im nordsyrischen Idlib aufgestockt und türkische Waffen und Soldaten sorgten in Libyen dafür, dass nach monatelanger Belagerung der Hauptstadt Tripolis durch die Milizen [damit ist wohl die LNA gemeint] des General Chalifa Haftar nun die Milizen der Regierung von Fajis al-Sarradsch auf dem Vormarsch sind.
Einzelne dieser Militäreinsätze ist für sich genommen bereits Ausdruck einer neuen, militärgestützten türkischen Politik, doch erst in der Zusammenschau wird deutlich: Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat in den letzten Jahren die jahrzehntealte kemalistische Militärdoktrin, keine Territorien außerhalb der Grenzen anzugreifen oder gar zu erobern, durch eine neue Ideologie ersetzt. Er will die Türkei als Regionalmacht auch militärisch im Ausland etablieren. […] Diese Einsätze gehen einher mit einem Umbau der Armee, der seit Jahren läuft: von einer großen, durch Wehrpflichtige gebildeten Territorial-Armee hin zu einer kleineren, mehr aus Berufssoldaten bestehenden Interventionsarmee. Dazu kommen enorme Anstrengungen im Rüstungsbereich. […]“ Der „Pate der Drohnen“ ist Selcuk Bayraktar, der Schwiegersohn Erdogans.
„Die Türkei hat mittlerweile eigene gepanzerte Fahrzeuge, wird demnächst einen großen Hubschraubträger im Mittelmeer in Dienst nehmen und entwickelt ein eigenes Kampfflugzeug. All das soll eine türkische Dominanz im östlichen Mittelmeer erzwingen, für die türkische Basen in Libyen ein wichtiger Faktor sein werden.
Kein Wunder, dass Griechenland und das griechische Zypern sich von der Türkei bedroht fühlen. Auch Syrien muss sich auf eine langfristige Besetzung seiner nördlichen Territorien durch die Türkei einstellen. Vor wenigen Tagen wurde in den besetzten Gebieten die türkische Lira als offizielle Währung eingeführt.“
https://taz.de/Militaermacht-Tuerkei/!5697129/
Unerwähnt bleibt, dass die Türkei zum einen eine islamistische Agenda der Moslembruderschaft verfolgt, zum anderen ein wichtiger Nato-Partner ist und all diese Einsätze nicht ohne das Einverständnis der Nato-Staaten erfolgt sein könnten. Ob der Westen, die Geister, die er rief, jemals wieder loswird?

Coronakrise

+ 29.06. Die Zahl der bestätigten Covid-19-Fälle hat sich innerhalb des Landes auf 802 erhöht, davon wurden allein 40 Fälle am 29.06. gemeldet.

Migranten

+ Ein Rettungsschiff der NGO Mediterranea Saving Humans hat am 30.06. vor der libyschen Küste 43 Menschen an Bord genommen.
Ein anderes Flüchtlingsboot mit etwa 95 Personen, darunter ein an Bord geborenes Baby, wurde von der libyschen ‚Küstenwache‘ nach Libyen zurückgebracht. Es sollen unterwegs sechs Menschen gestorben sein.
https://www.addresslibya.net/archives/57381

Verschiedenes

+ Der französische Präsident Macron hat auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel am 29.06. das Vorgehen der Türkei in Libyen scharf kritisiert: „Der erste äußere Interventionist in Libyen ist die Türkei. Und ich denke, dass sie heute keine der während der Berliner Konferenz eingegangenen Verpflichtungen einhält, da sie ihre militärische Präsenz in Libyen verstärkt und massiv Dschihad-Kämpfer aus Syrien importiert hat. Ich denke, das ist eine historische und verbrecherische Verantwortung für jemanden, von dem man behauptet, er sei NATO-Mitglied.“
https://deutsch.rt.com/russland/104018-putin-ruft-alle-burger-auf-an-der-abstimmung-teilzunehmen/

+ Der Sicherheitsausschuss des italienischen Parlaments erörterte am 29.06. die Gefahr der türkischen Präsenz in Libyen. Teilnehmer waren u.a. der Direktor des italienischen Geheimdienstes und der Chef des Auslandssicherheitsdienstes. Die ‚Einheitsregierung‘ soll Italien um mehr Mittel gebeten haben, da sie ihre Abhängigkeit von der Türkei verringern wolle.
https://www.addresslibya.net/archives/57352

Die Türkei zieht das Geld aus Libyen raus und Italien soll reinzahlen?

+ Für Deutschland, das am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, hat der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, den Ratschlag, es müsse „mehr internationale Verantwortung“ übernehmen. Nun sei es höchste Zeit, „die Sprache der Macht“ zu erlernen. „Die EU müsse zudem in der Außenpolitik grundsätzlich das Einstimmigkeitsprinzip hinter sich lassen und Mehrheitsentscheidungen ermöglichen, so der ehemalige deutsche Botschafter in den USA.“ Laut RT sagte Ischinger, dass Europa sein militärisches Gewicht so in die Waagschale werfen könnte, damit ein Waffenstillstand erreicht wird“. Die Androhung militärischer Gewalt sei demnach auch in dem von der transatlantischen Gemeinschaft angezettelten libyschen Chaos geboten, um dadurch der Diplomatie zum Durchbruch zu verhelfen. „Wer in internationalen Konflikten nicht mit dem Einsatz
militärischer Mittel drohen kann, dessen Diplomatie bleibt allzu oft Rhetorik“.
https://deutsch.rt.com/international/103985-sprache-macht-ischinger-fordert-androhung/
Wie unglaublich ist das denn? Mit militärischem Eingreifen zum Frieden? Existiert keine UNO-Charta, in der in Artikel 2 Absatz 4 das Gewaltverbot verankert ist: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“
Irak, Mali und jetzt auch noch Libyen?

+ Ägypten ist nicht nur durch die Moslembrüder in Libyen unter Druck, die zu einem Truppenaufmarsch an der libysch-ägyptischen Grenze führten, sondern auch durch das äthiopische Staudammprojekt, dem Renaissance-Damm, welches „die Versorgung mit Wasser und Nahrung, ja die gesamte Existenz der über 100 Millionen Ägypter gefährden, deren Lebensgrundlage total vom Nil abhängt“. So ist Kairo zu 95 Prozent vom Nilwasser abhängig. Bisher konnte noch keine vertragliche Lösung für die aus dem Nil zu entnehmende Wassermenge gefunden werden. DieZeit: „Würde der Fluss nun Mitte Juli für die von Äthiopien angekündigten fünf Jahre deutlich gedrosselt, könnten Felder im Niltal veröden, Trinkwasserbrunnen austrocknen und salziges Mittelmeerwasser in das dicht besiedelte Delta hineindrücken.“
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-06/aethiopien-nil-staubecken-nilwasser-streit-aegypten-sudan/komplettansicht
Ägypten hatte die Befüllung des Staudamms ohne vorherige Abkommen als Kriegserklärung bezeichnet. Ist es Zufall, dass Äthiopien gerade jetzt eine zweite Front gegen Ägypten eröffnet, wo as-Sisi gedroht hat, in Libyen militärisch einzugreifen?

+ The Guardian beschrieb 2014 die Vorgänge in Tripolis, die zur Vertreibung des gewählten Parlaments führten unter der Überschrift: „Libysche Hauptstadt unter islamistischer Kontrolle nach Einnahme des Flughafens von Tripolis – Operation Dawn erobert Flughafen in erbittertem Kampf gegen regierungsfreundliche Milizen nach fünfwöchiger Belagerung der Hauptstadt“.
Interessanter Rückblick! Der Artikel beschreibt, wie islamistische Milizen den Flughafen zerstören und eine eigene Regierung ausrufen.
Dies war der Ausgangspunkt für die Entstehung der ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch und die Übernahme der Hauptstadt durch Dschihadisten und Moslembrüder.
https://www.theguardian.com/world/2014/aug/24/libya-capital-under-islamist-control-tripoli-airport-seized-operation-dawn

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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